From: Niels Holger Nielsen Subject: In Erwartung der Elegien Date: Sun, 24 Feb 2019 01:39:34 +0100 To: ernstmeyer@earthlink.net Lieber Herr Dr. Meyer, schon jetzt bin ich gespannt auf Ihre Elegien bzw. elegischen Gedichte. Und ich bin sicher, dass Sie liefern werden, denn dieses Vorhaben dürfte ja besonders eng mit der wunderbaren Vorstellung von der literarischen Produktion als Suche nach der wahren Heimat verknüpft sein. Das gesagt, muss ich Ihnen jetzt aber sehr herzlich danken für Ihren Brief und mehrere davor. Ich hatte immer wieder Anläufe gemacht, auf diese zu zu antworten, um meinen Anteil an unserer Korrespondenz zumindest rudimentär abzudecken. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Ihrem vorletzten Brief erläuterten Sie, warum Ihnen Kierkegaards Konzept der Gleichzeitigkeit/Samtidighet so wichtig ist, eigentlich, dachte ich, eine gute Gelegenheit, mein Verständnis dieses Ideologems ins Spiel zu bringen. Aber ganz ohne Recherche zu dem Sachverhalt ist das natürlich nicht ergiebig. Und als ich dann erst nachgeschlagen hatte, wurde mir klar, wie weit meine privaten Ansichten zu dem Konstrukt von Kierkegaards Denkansatz entfernt sind. Ist Kierkegaard in seinen schwierigsten Fragestellungen eigentlich eher Theologe oder Philosoph? Auf jeden Fall liest sich Schleiermachers “Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern” widerstandsloser. Ich habe dieses Bändlein aus der Deutschen Bibliothek in Berlin, einstmals antiquarisch erworben, zufällig unter meinen Büchern wiederentdeckt. Im Augenblick liegt es in einem Bücherstapel zusammen mit Döhring 1 und Döhring 2 und weiteren Titeln. Ich halte es für eine spannende Frage, wie Inhalte verschiedener Bücher, die ja geistige Kraftquellen sind, beim Rezipienten in einer Synopse zusammengebracht werden können. Alles, was Sie mir in letzter Zeit geschrieben haben, ist von der Stärke der Gedanken bewegt, nirgends vermag ich ein Nachlassen der Intensität zu erkennen. Und wenn die großen Themen sich wiederholen, dann in immer neuen Varianten, die alle zu Anschaulichkeit und Klarheit beitragen. Das nur zu Ihrer Selbstkritik. Sie haben zuweilen darauf hingewiesen, dass Ihnen die Grimm‘schen Märchen in Ihrer Kindheit nicht gefallen haben, Sie vielmehr ob ihrer Grausamkeit geängstigt haben. Wäre es nicht einen Versuch wert, wenn Sie einmal selbst einen Text schrieben, der primär Lesern im Kindesalter zugedacht wäre? Die eigenen Enkel oder Urenkel im Blick, ließe sich viel Wirkung antizipieren. Und es würde sich vielleicht ein reizvoller Kontrast zu Ihrem Elegien-Vorhaben ergeben. Noch etwas zu den Gegebenheiten bei uns in Heidelberg. Meine Frau hat am vergangenen Dienstag ihre zweite Knie-Operation gehabt, wieder in Bad Rappenau. Ich hole sie morgen, Sonntag, hier nach Hause, um sie dann am Montag schon nach Bad Mingolsheim zu bringen, wo sie einige Wochen in einer Rehabilitationsklinik sein wird. Für diese knappen Zeilen, deren Plausibilität wohl nicht immer einleuchtet, kann ich nur um Verzeihung bitten. Aber sonst hätte ich mich wieder nicht hören lassen. Ich hoffe, dass allmählich auch in Belmont das Wetter freundlicher wird, hier bei uns kann man schon von einem “falschen Frühling” sprechen, weil die Temperaturen jahreszeitlich zu hoch ausfallen. Aschenbach erlebt einen solchen in München, und er weckt in ihm die Reiselust. Herzliche Grüße, auch von meiner Frau, Niels Holger Nielsen