Plato, Republic, excerpt from Book II, translated by Benjamin Jowett Now, if we are to form a real judgment of the life of the just and unjust, we must isolate them; there is no other way; and how is the isolation to be effected? I answer: Let the unjust man be entirely unjust, and the just man entirely just; nothing is to be taken away from either of them, and both are to be perfectly furnished for the work of their respective lives. First, let the unjust be like other distinguished masters of craft; like the skilful pilot or physician, who knows intuitively his own powers and keeps within their limits, and who, if he fails at any point, is able to recover himself. So let the unjust make his unjust attempts in the right way, and lie hidden if he means to be great in his injustice (he who is found out is nobody): for the highest reach of injustice is: to be deemed just when you are not. Therefore I say that in the perfectly unjust man we must assume the most perfect injustice; there is to be no deduction, but we must allow him, while doing the most unjust acts, to have acquired the greatest reputation for justice. If he have taken a false step he must be able to recover himself; he must be one who can speak with effect, if any of his deeds come to light, and who can force his way where force is required his courage and strength, and command of money and friends. And at his side let us place the just man in his nobleness and simplicity, wishing, as Aeschylus says, to be and not to seem good. There must be no seeming, for if he seem to be just he will be honoured and rewarded, and then we shall not know whether he is just for the sake of justice or for the sake of honours and rewards; therefore, let him be clothed in justice only, and have no other covering; and he must be imagined in a state of life the opposite of the former. Let him be the best of men, and let him be thought the worst; then he will have been put to the proof; and we shall see whether he will be affected by the fear of infamy and its consequences. And let him continue thus to the hour of death; being just and seeming to be unjust. When both have reached the uttermost extreme, the one of justice and the other of injustice, let judgment be given which of them is the happier of the two. ========================== Platon: Sämtliche Werke. Band 2, Berlin [1940], S. 7. Entstanden etwa in der Mitte der siebziger Jahre des 4. Jahrhunderts v. Chr. Erstdruck (in lateinischer Übersetzung durch Marsilio Ficino) in: Opera, Florenz o. J. (ca. 1482/84). Erstdruck des griechischen Originals in: Hapanta ta tu Platônos, herausgegeben von M. Musuros, Venedig 1513. Erste deutsche Übersetzung (in Auszügen) durch G. Lauterbeck unter dem Titel »Summa der Platonischen Lere, von den Gesetzen und Regierung des gemeinen Nutzes« in: G. Lauterbeck, Regentenbuch, Leipzig 1572. Erste vollständige deutsche Übersetzung durch Johann Friedrich Kleuker unter dem Titel »Die Republik oder ein Gespräch über das Gerechte« in: Werke, 2. Band, Lemgo 1780. Der Text folgt der Übersetzung durch Wilhelm Siegmund Teuffel (Buch I-V) und Wilhelm Wiegand (Buch VI-X) von 1855/56. Sodann das Urteil selbst über das Leben derjenigen, von denen wir reden, werden wir nur dann imstande sein richtig zu fällen, wofern wir den Gerechtesten und den Ungerechtesten einander gegenüberstellen, sonst nicht. Wie stellen wir sie nun einander gegenüber? Folgendermaßen: Nehmen wir weder dem Ungerechten etwas von seiner Ungerechtigkeit noch dem Gerechten etwas von seiner Gerechtigkeit, setzen wir vielmehr beide als vollendet in ihrem Treiben. Fürs erste nun der Ungerechte handle wie die großen Meister: wie z.B. ein ausgezeichneter Steuermann oder Arzt das in seiner Kunst Mögliche und das Unmögliche zu unterscheiden weiß und jenes unternimmt, dieses unterläßt und überdies, wenn er je einmal einen Mißgriff gemacht hat, imstande ist, ihn zu verbessern,- ebenso muß der Ungerechte, wenn er ganz ungerecht sein soll, seine ungerechten Handlungen so geschickt angreifen, daß man sie nicht bemerkt; einen, der sich ertappen läßt, muß man für einen schlechten halten; denn die äußerste Ungerechtigkeit ist: gerecht zu scheinen, während man es nicht ist. Man muß nun dem vollendeten Ungerechten die vollendetste Ungerechtigkeit[50] zuteilen und nichts davon nehmen, sondern zugeben, daß er, während er die größten Ungerechtigkeiten begeht, sich den größten Ruf hinsichtlich der Gerechtigkeit erworben hat, und falls er je einen Mißgriff begeht, ihn zu verbessern imstande ist, indem er überzeugend zu sprechen vermag, wenn etwas von seinen Ungerechtigkeiten zur Anzeige kommt, und Gewalt anzuwenden, wo immer Gewalt erforderlich ist, durch Mut und Stärke und den Besitz von Freunden und Mitteln. Nachdem wir diesen in solcher Art aufgestellt haben, wollen wir den Gerechten in der Erörterung neben ihn stellen, einen geraden und edlen Mann, der, wie Aischylos sagt, nicht gut scheinen, sondern sein will. Das Scheinen also muß man wegnehmen. Denn wenn er gerecht scheint, so werden ihm als einem so Scheinenden Ehren und Geschenke zufallen, und es ist dann ungewiß, ob er wegen des Gerechten oder um der Ehren und Geschenke willen so ist. Man muß ihn also alles andern außer der Gerechtigkeit entkleiden und seine Lage als der des Vorigen entgegengesetzt darstellen: während er nämlich keine Ungerechtigkeit begeht, soll er den größten Schein der Ungerechtigkeit haben, damit er hinsichtlich der Gerechtigkeit geprüft sei, ob er sich nicht erweichen lasse von der Verleumdung und deren Folgen; und er bleibe unwandelbar bis zu seinem Tode, sein Leben lang ungerecht erscheinend, in Wirklichkeit aber gerecht, damit beide, wenn sie die äußerste Grenze erreicht haben, der eine in der Gerechtigkeit, der andere in der Ungerechtigkeit, beurteilt werden, wer von beiden der glücklichere sei.