From: Cristina Basili To: Ernst Meyer Subject: AW: am 19. Maerz 2020 Date: Sat, 28 Mar 2020 00:06:15 +0000 Lieber Jochen, Ich hoffe Du bist gesund. Ich bin sehr in Zweifel. Einerseits bin ich überzeugt davon, dass der Mensch nur als Einzelner ein guter ist. Andererseits frage ich mich wenn dies so ist, dann wieso lassen wir uns immer von anderen beeinflussen. Tun wir das wirklich nur aus Angst vor dem Tod? Und halten es auch nur die Menschen alleine aus, die keine Angst vor dem Tod haben? Die Menschen, denen es egal ist, dass sie eines nachts von einem Bär zerfleischt werden? Und sind diese Menschen, die keine Angst vor dem Tod haben, Leute, welche der Meinung sind sie seien schuldig? Oder sind das immer Leute die an die Schuld gar nie geglaubt haben? Ich muss gestehen, die Moral hinter der Albert - Geschichte habe ich nicht ganz nachvollziehen können, wie du auch aus meiner letzten email herauslesen kannst. Vielleicht bin ich einfach zu dumm dafür, vielleicht zu jung, vielleicht beides. Oder es gibt gar nichts zu verstehen. Vielleicht ist es nur eine Geschichte. Vielleicht verstehe ich auch einfach den Zusammenhang der Zeit beziehungsweise der Zeiten nicht. Was haben die Ereignisse des letzten Jahrhunderts mit denen, die wir heute erleben zutun? Was hat der Holocaust mit dem Jahrzehnte später gefundenen von Bären zerfleischten und in SS Uniform- Fetzen gehüllten Leichnam Alberts zutun? Auch wenn er ein echter Nazi gewesen wäre, der zweite Weltkrieg war doch schon lange zu Ende. Gilt er noch immer als schuldig? Schuldig sind die, die als Schuldige verurteilt werden. Demnach wurde Albert erst nach seinem Tod schuldig. Ist der Mensch am Anfang seines Lebens, in der Mitte und am Ende derselbe? Der Name verändert sich zumindest meistens nicht. Man sagt, dass sich der Charakter auch nicht ändert, sondern nur die Persönlichkeit sich entwickelt. Hat diese email derselbe Mensch geschrieben wie die davor? Es ist ein großes Geheimnis dieses Leben und wir stecken mittendrin. Das was bleibt und sich nicht zu verändern scheint in der menschlichen Gesellschaft über die Jahrhunderte ist, dass es eine gewisse Gesellschaft gibt, die auf eine gewisse Weise lebt und gewisse Dinge tut. Und die meisten gehören dazu und andere wenige eben nicht. Manchmal hat die Mehrheit recht, manchmal die Minderheit. Ob der Einzelne recht hat oder nicht ist egal, weil er kann alleine nicht viel anrichten, solange man ihn in seiner Ruhe und seinem Frieden leben lässt. Und solange er nicht berühmt wird, wird es auch nie jemand erfahren ob er recht hatte oder nicht, außer er kümmert sich noch vor seinem Tod sorgfältig darum. Herzlichst, Cristina Von: Cristina Basili Gesendet: Samstag, 21. März 2020 21:24 An: Ernst Meyer Betreff: AW: am 19. Maerz 2020 Ein Problem habe ich beim Verständnis Alberts Rede und zwar kann ich leider die Lust des Menschen zu töten nicht ganz nachvollziehen, auch wenn er meint sie sei natürlich. “...ich bin der Überzeugung, dass jene Menschen welche ihre Mitmenschen quälten und töteten, nicht böse Menschen waren, sondern eben Menschen die ihrer Natur entsprechend handelten, nicht anders als die Bären es tun, wenn sie einen Hirsch erlegen, oder die Raubvögel, wenn sie einen Hasen oder ein Eichhörnchen töten." Sieh, meine Mutter, wie du ja weißt, ist eine vorzügliche Köchin. Sie verwandelt seitdem ich auf der Welt bin und auch schon seit langer Zeit davor alles Mögliche, was sie auf dem Biomarkt findet, in ein köstliches Mahl. Huhn mit Zimt und Gewürzkruste im Ofen, Reh mit Preiselbeermarmelade und Kürbisbuchteln, Lachs mit Butterkartoffeln, Karfiolauflauf, Ziegentopfenknödel, Lammkoteletten mit Knoblauch in der Pfanne, Bohneneintopf mit Gemüse, Lasagna, sie kann jede Pflanze und jedes Lebewesen in ein ausgesprochen vorzügliches Essen verzaubern. Ja, mit solchem Menü bin ich aufgewachsen. Als ich ein Kind war, so um die sechs Jahre alt, kochte sie das luxuriöseste Essen, sie stand anderthalb Stunden in der Küche um mir einen Kaiserschmarren mit Rosinen und karamellisierten Äpfeln vorzubereiten, obwohl ich sie nie darum gebeten hatte, und ich nahm dann höchstens fünf Bissen davon zu mir, und das auch nur weil es süß war und ich eine Schwäche für Süßes habe. (Der Zucker, nebenbei bemerkt, hat bestimmt keine Seele, aber das wusste ich als Kind nicht). Wenn sie versuchte mich mit ihrem geschmorten Lammkarree zu begeistern, musste ich sie jedes Mal enttäuschen. (Ich glaube an die Seelen von Tieren, auch von Lämmern, aber damals hatte ich keine Ahnung davon. Dass Tiere eine Seele haben fiel mir erst auf, als wir einen Haushund hatten, namens Moritz). Mein Lieblingsessen war frisch gebackenes Brot mit Olivenöl, Salz und einer halben Zwiebel. Es blieb trotz der außergewöhnlichen Vielfalt an Geschmäcken denen ich ausgesetzt war mein Leben lang mein Lieblingsessen. Als ich in die Schweiz zog und zum ersten Mal in meinem Leben einen eigenständigen Haushalt führen musste und für mich selbst sorgte, wurde ich komplett unbewusst fast zur Veganerin. Nur Joghurt und manchmal ein Ei fand sich in meinem Kühlschrank, sonst waren da nur Salate, Obst, Marmelade oder Erdnussbutter, Gemüse und ab und zu Tofu oder ich kochte sehr gerne Linsen. Du musst verstehen, dass dies komplett unbewusst geschah. Ich kam einfach nicht auf die Idee Fleisch zu kaufen oder gar selbst zu schlachten. Erst als nach einpaar Wochen meine Mitbewohnerin mich eines Tages fragte, seit wievielen Jahren ich denn Vegetarierin sei, fiel mir meine neue Ernährungsart bewusst auf. Noch immer bezeichne ich mich aber nicht als Vegetarierin oder gar Veganerin. Wenn man mir gut gekochtes Fleisch auf den Teller gibt, schlucke ich es. Somit komme ich wieder zu dem Schluss, dass die Gesellschaft aus dem Einzelnen einen Menschen mit Sünden macht. In der Natur zählt das Überleben. Der Wolf zerfleischt das Reh nur wenn er sehr hungrig ist, damit er selbst überlebt. Die Menschen hingegen, aber nicht jeder Mensch, sondern nur die in einer Gesellschaft, wo geschlachtet wird, sie quälen und schlachten dann die Tiere, obwohl sie nicht hungrig sind beziehungsweise falls sie hungrig wären auch einfach Salat mit Brot essen könnten. Wölfe können ja nicht Salat anbauen und Brot backen. Auch glaube ich sehr fest daran, dass ein Junge, der außerhalb der Gesellschaft nur mit seinen Eltern und Geschwistern in Frieden aufwächst, inmitten der Natur, von Tieren, Feldern und Blumen umgeben (das geht natürlich nur wenn die Eltern liebevolle, fleißige und friedliche Menschen sind), wenn er erwachsen wird und das erste Mal einer fremden jungen Frau begegnet, er nicht den Gedanken haben wird sie zu vergewaltigen, sondern sie zu lieben. Nicht nur die Handlungen sondern auch die Gedanken eines Menschen hängen von der Paideia ab. Ein sehr interessantes Wort. Tatsächlich bedeutet im Neugriechischen das Verb παιδέυω nicht nur erziehen sondern hauptsächlich auch quälen. Ich glaube, dass in der Antike das Wort positiver besetzt war. Wie kam es zu dieser Abhängigkeit der Erziehung von Lob und Strafe? Das wäre eine andere Frage, die mich besonders als Cellopädagogin und zukünftige Mutter beschäftigt. Hat die (christliche) Religion hier eine Rolle gespielt? Es ist sehr interessant, denn die ganz kleinen Kinder, die ich unterrichte, erwarten, wenn sie Cello spielen von mir weder Lob noch Bestrafung. Erst ältere Kinder, die gewohnt sind für ihre Handlungen beurteilt zu werden, erwarten, wenn sie etwas richtig machen, gelobt zu werden. Ganz lustig ist es in den ersten Stunden, wenn die Eltern dabei sind, die immer der Meinung sind, ich müsste ihr Kind mehr loben, wenn es richtig zupft. Ich sage meistens nur ein “Ja, und jetzt spiel das und jenes noch dazu...” und kein “Fantastisch, ganz toll gemacht”. Den Kindern macht das nichts aus, aber den Eltern schon. Die Kinder demotiviert nur das Negative, das Bestrafen, das “Nein”, das “Falsch”, aber das bedeutet nicht, dass das Positive sie motiviert. Meistens, wenn man sie an einem Unterricht lobt, denken sie sie seien gut genug und müssten nicht mehr viel üben bis zur nächsten Stunde, das ist alles, was Kinder durch Lob lernen. Ich habe Benotung und Beurteilung und den Zusammenhang zwischen diesen und dem Lernen und Lehren nie verstanden und werde es auch nie tun. Es ist meiner Meinung nach ein großer Fehler des gesamten Bildungssystems auf unserer Welt die Erziehung mit Lob und Strafe zu koppeln. Aber das ist jetzt schon eine Themaverfehlung, wenn wir anfangen uns mit der Pädagogik zu beschäftigen. “Meine Nächsten” sind alle Seelen. Ja, vielleicht haben Bäume auch Seelen, aber wir Pflücken ja auch nur ihre Früchte, wir sollten nicht den ganzen Baum abroden. Ob Viren Seelen haben kann ich leider nicht beurteilen. Ich glaube sie haben keine Seelen. Man kann darüber philosophieren. Aber man kann nicht darüber philosophieren ob es der Natur entspricht oder nicht seine Mitmenschen zu foltern, zu verletzen und in Gaskammern qualvoll ersticken zu lassen. Solche Verbrechen haben mit dem Willen der Natur nichts zutun, sondern mit dem Willen der Gesellschaft, der Masse. Und wenn man den Menschen als Wesen der Natur bezeichnen möchte, auch noch ein mit einer Seele ausgerüstetes, sollte man die SS Uniformen lieber dort liegen lassen oder begraben wo sie ihre Massenhersteller genäht und getragen haben. Noch nie hat eine Herde von Tieren eine andere Herde auf so unnatürliche Weise grundlos bestraft und fast ausgerottet wie die Nazis die Juden, oder ist mir etwas entgangen? So etwas kommt in der Natur doch nicht vor. Und es ist auch nur geschehen, weil die Menschen so fest wie kein anderes Lebewesen auf Erden der Überzeugung sind, dass wir eine riesige Massengesellschaft brauchen um zu leben. Ein Einzelner hätte dies nicht tun können, nicht einmal als Diktator. Die Millionen Menschen zusammen als Masse waren die Schuldigen, der Einzelne ist unschuldig. Albert ist unschuldig, aber Alberts Gesellschaft ist schuldig, auch wenn sie nicht gehandelt hat, oder gerade eben deshalb. Ja, wir sind Herdentiere, wir brauchen kleine Gesellschaften, aber mehr als tausend Menschen in einer Gemeinde brauchst du innerhalb einer Menschengeneration eigentlich nur um Kriege zu führen, bestimmt nicht zum leben oder überleben. Und das Corona Virus hat sich ja auch deshalb zur Pandemie ausgebreitet. Die Menschen haben es um die ganze Welt getragen. Wenn es nach dem Virus ginge, wäre es auf dem Markt in Wuhan geblieben. Das Virus spaziert nicht und hat auch keine Weltreise gewollt. Wenn es die Menschen endlich schaffen würden einfach einmal einpaar Wochen mit ihren Liebsten zu Hause zu bleiben und einpaar Gedichtbände zu schreiben oder zu lesen oder phrygische Tonleitern zu üben, dann wird das Virus auch von alleine wieder verschwinden, die Ärzte haben sowieso keine Mittel dagegen. Und sobald sie eines finden, kommt eben ein anderes Virus auf den Markt. Gegen wieviele Viren muss man denn in Zukunft ein einzelnes Kind impfen müssen damit es leben darf? Ein Virus führt keinen Krieg gegen ein ungeimpftes Kind. Die Menschenmassen führen ihn. Zeit für Döhrings elftes Kapitel. Entschuldigung, Jochen, ich bin sehr langsam. Aber es macht Spaß eigenen Unsinn niederzuschreiben und dann den anderer zu lesen. Besser als über Kriege zu lesen und sie dann zu führen. Herzlichst, Cristina Von: Ernst Meyer Gesendet: Freitag, 20. März 2020 04:05 An: c.basili@hotmail.com Betreff: am 19. Maerz 2020 c.basili@hotmail.com am 19. März 2020 Liebe Cristina, Dank für Deine Antwort, nicht nur für die bemerkenswerte Tatsache, dass sie umgehend war, sondern auch für die meinem Narzismus schmeichelnde Bestätigung meiner Vermutung, dass die Ablehnung die Dir in Amsterdam begegnete, keineswegs einem Mangel sondern einem Vorteil Deines Spielens anzurechnen ist, als Echo der belanglosen Tatsache dass die Deinem Wesen gemäße Intonation mit der des Concertgebouworkest nicht übereinstimmt, und dass die Vertreter jenes Orchesters die Dich zu "prüfen" beanspruchten, der ihnen geläufigen Intonation zu unsicher waren, um einen Vergleich mit der Deinen zu wagen. Vielleicht aber befinde ich mich auch mit dieser Annahme im Irrtum. Deine Besprechung der Temperierung von moll und Dur Tonleitern würde mich noch spät Abends, wie es nun einmal ist, zu Proben mit dem Umstimmen meines Cembalos anregen, wenn sich nicht so viel andere Vorhaben die mich als weniger hoffnungslos anmuten, dazwischen schöben. Den verschiedenen unkorrigierten grammatikalischen und orthographischen Fehlern in meinem letzten Briefe, magst Du entnehmen, dass ich, als ich ihn absandte müde war, ein bisschen krank und entmutigt. Inwiefern jetzt diese zusätzlichen Bemerkungen die Unlänglichkeiten jenes Schreiben aufzuwiegen vermögen, muss sich herausstellen. Meine Bemerkungen über die Schweitzersche Ehrfurcht vor dem Leben möchte ich mit der Betrachtung ergänzen, dass ein jeder von uns das Leben welches Erfurcht heischt als das eigene Leben erlebt, versteht und deutet, und was ehrend gefürchtet, oder fürchtend geehrt wird, ist eigentlich, und sehr natürlich, das eigene Leiden, die eigenen Schmerzen, der eigene Tod. Tatsache ist aber dass mir, in vielen Umständen, wenn nicht in den meisten, über Tod, Leben, Wohlsein und Leiden des Anderen, des Fremden, des Nächsten, weit größere Macht zukommt als über die eigenen. Daher das Gebot: 34DA aber die Phariseer höreten / das er den Saduceern das maul gestopfft hatte / versamleten sie sich / 35Vnd einer vnter jnen ein Schrifftgelerter / versucht jn / vnd sprach / 36Meister / welches ist das furnemest Gebot im Gesetz? 37Jhesus aber sprach zu jm /Du solt lieben Gott deinen HERRN / von gantzem Hertzen / von gantzer Seelen / von gantzem Gemüte / 38Dis ist das furnemest vnd gröste Gebot. 39Das ander ist dem gleich / Du solt deinen Nehesten lieben / als dich selbs. 40Jn diesen zweien Geboten hanget das gantze Gesetz vnd die Propheten. (Matthäus 22) [34] Οἱ δὲ Φαρισαῖοι ἀκούσαντες ὅτι ἐφίμωσεν τοὺς Σαδδουκαίους συνήχθησαν ἐπὶ τὸ αὐτό. [35] καὶ ἐπηρώτησεν εἷς ἐξ αὐτῶν νομικὸς πειράζων αὐτόν [36] Διδάσκαλε, ποία ἐντολὴ μεγάλη ἐν τῷ νόμῳ; [37] ὁ δὲ ἔφη αὐτῷ “Ἀγαπήσεις Κύριον τὸν θεόν σου ἐν ὅλῃ καρδίᾳ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ ψυχῇ σου καὶ ἐν ὅλῃ τῇ διανοίᾳ σου:” [38] αὕτη ἐστὶν ἡ μεγάλη καὶ πρώτη ἐντολή. [39] δευτέρα ὁμοία αὕτη “Ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου ὡς σεαυτόν.” [40] ἐν ταύταις ταῖς δυσὶν ἐντολαῖς ὅλος ὁ νόμος κρέμαται καὶ οἱ προφῆται. Dem entsprechend erkläre ich mir Ehrfurcht vor dem Leben des Anderen als die Furcht vor dem eigenen Leiden und vor dem eigenen Tod. Dann wäre Schweitzers philosophisches Dogma ein Echo der uralten Gebotes. Auf die Frage "Wer ist mein Nächster?", welche in der Bibel mit dem Gleichnis vom guten Samariter beantwortet wird, fordert Schweitzer nicht nur Ehrfurcht vor allem menschlichen, sondern gleichfalls vor allem tierischen Leben, und eröffnet somit das Tor zu jenem scheinbar unentwirrbaren Durcheinander das Albert, dem Einsiedler von Bankhead, zum Schicksal wurde. Mein Vater, der seine Gedanken und seine Worte sehr ernst nahm, fragte vergeblich wie weit sich die Schweitzersche Ehrfurcht vor dem Leben erstrecken sollte, dem Leben der Parasiten, Bakterien und heute am "Aktuellsten" auch Viren, die gleichfalls ein "Leben" eigenster Art aufweisen, und die zu "töten" die unverbrüchliche Pflicht des Arztes ist. Wie unlösliche Widersprüche dieser Art zu behandeln wären, ist ein Thema das ich hier und jetzt nicht anzusprechen wage. In meinem letzten Brief war es mir unmöglich Schweitzers großem historischen Werk, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, gerecht zu werden. Auch jetzt nicht, denn ich müsste das Buch bestellen, müsste Wochen damit verbringen es zu lesen und zu bedenken, sollte vielleicht unterlassen es überhaupt zu erwähnen. Von außen betrachtet ist Leben- Jesu-Forschung ein Ausdehnung auf die Gefilde der Religion, oder, wenn man will, auf die Gebiete des Mythos, die Ansprüche Leopold von Rankes und anderer zeitgenössischer Historiker, darzustellen, "Wie es eigentlich gewesen," ins Besondere durch den Zugug und Vergleich aller verfügbaren historischen Quellen. Die Namen Ernest Renan und David Friedrich Strauß als Biographen von Jesus fallen mir ein. Dazu die Liste der von Schweitzer erwähten. Ich habe keines der einschlägigen Bücher gelesen, und will mir keine Betrachtung erlauben, außer darauf hinzuweisen, dass mir Nietzsches scharfe Kritik an Straußens Schriftstil, in seiner zweiten "Unzeitgemäßen Betrachtung" "David Friedrich Strauß, Bekenner und Schriftsteller," unvergessbar ist. Ich lese Nietzsches Kritik als die Gegenklage des beleidigten Naumburger Pastorensohns. Außerdem meine ich von Nietzsches Aufsatz gelernt zu haben, wie man in deutscher Sprache schreibt. Auch denke ich dass Kierkegaards kompromisslose Forderung nach Gleichzeitigkeit (Samtidighed) mit Jesus als Bedingung für den seligmachenden Glauben, sich gegen eben diese Leben-Jesu-Forschung wehrt deren Geschichte Schweitzer erforscht. Aus meiner Sicht ist Schweitzers Geschichte der Leben-Jesu-Forschung ein Weiser auf die umfangreiche Problematik jeglicher Vergangenheitsbewältigung als Bereich des Mythos, wo alles "Geschichte" ist und alle Geschichte nur als Mythos verstanden werden kann. Ich möchte, wenn mir Zeit und Kraft gegönnt ist, in einem Kreis von Liedern an Chronos behandeln. Zu Schweitzers Buch über Bach weiß ich nichts triftigeres zu schreiben, als das alles was Bachs Musik berührt, mir heilig ist. Dir und Deinen Eltern, herzliche Grüße, wie stets, Jochen.