Jas Elsner's essay, "Paideia: Ancient Concept and Modern Reception", was brought to my attention by an e-mail with the caption: "PDF By Jas Elsner ", and led me to recapitulate my thoughts about Werner Jaeger and his exposition of Paideia. The threshold issue is one of definition. The term Paideia has a wide spectrum of meaning. My own interpretation of Paideia is rooted in the Septuagint: Isaiah 53:5 αὐτὸς δὲ ἐτραυματίσθη διὰ τὰς ἀνομίας ἡμῶν καὶ μεμαλάκισται διὰ τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν παιδεία εἰρήνης ἡμῶν ἐπ᾽ αὐτόν τῷ μώλωπι αὐτοῦ ἡμεῗς ἰάθημεν; the key words being: παιδεία εἰρήνης ἡμῶν ἐπ᾽ αὐτόν which are translated in KJV Isaiah 53:5 "the chastisement of our peace was upon him"; and Luther's 1545 Bible: Die Straffe ligt auff Jm / Auff das wir Friede hetten Having learned from Goethe: "Denn dass ein Wort nicht einfach gelte Das müsste sich wohl von selbst verstehn." I have no difficulty in harmonizing among themselves, παιδεία of the Septuagint, chastisement in the King James Version Luther's translation of παιδεία as Straffe, Jaeger's interpretation of παιδεία, as Bildung, and Cicero's, as Humanitas. To catalyse this harmony I need only neutralize the presumptive ethical, esthetic and intellectual virtues implicit in Bildung and Humanitas by prepending the prefix "Ein" to "Bildung" thereby translating Bildung into Einbildung with its colloquial meaning: conceit vanity illusion fantasy. [My father often commented on what he perceived as my arrogance with the assertion: "Eine Bildung muss der Mensch haben."] Humanitas is readily incorporated into my perspective when translated as humanness rather than as humanity. Implicit in Werner Jaegers assertions of the significance of Paideia in Ancient Greece, is the assumption that our reconstructions of the past can be objective and realistic, and that at least the diligent scholar will be able to tell "what it was really like." I cannot agree. It seems to me that Leopold von Ranke must have been dreaming when he proposed that history should be written, "wie es eigentlich gewesen," To me, my past is compelling only in my dreams. If, when I am awake, the realities my childhood, of my adolescence, the uncounted actualities of even one hour that has elapsed on any day of the more than 92 years of my life are inaccessible to me, if I cannot even recollect or reconstruct what was on my mind only a few minutes ago this morning when I awoke, how can I possibly ask any one to believe that I can give an account of Ancient Greece 2500 years ago? That I or anyone else should be able to recover or to recapitulate the past as it really was, "wie es eigentlich gewesen", is an illusion. Because the past is irrevocably inaccessible, history can never be other than the telling of stories. Geschichte schreiben ist nichts als Geschichten erzählen. No verbal "historical" account can avoid or escape the characterstics of myth, where I define myth as purportedly substantive communication about an inaccessible past, an account unavoidably molded and modified by the mind of the communicating individual and by the language that is inherently socially engendered. The assertion that all accounts of the past are essentially mythological, entails as its corollary that history is beyond truth and falsehood, jenseits von Wahrheit und Lüge, and that of conflicting histories none can be deemed false and none can be deemed true. The other presumption to which I can no longer subscribe are unconditional standards of arete, of virtue, of the good and of the beautiful. It is an admission which I make with apology and embarrassment when I remember that I was once adamantly persuaded by the validity of Plato's assertion of absolute beauty and of an absolute good, and of Kant's proclamation of a categorical imperative. The critical review of almost any debatable political or military decision persuades me that in the course of a long life, criteria of virtue, of paideia, of Bildung have become for me unreal. I now consider all ethical and cultural coordinates, such as of truth and justice, to be tentative and illusory. I refer to Anaximander to corroborate my conviction that existence and guilt are inseparable. "Ἀναξίμανδρος [...] λέγει δ' αὐτὴν μήτε ὕδωρ μήτε ἄλλο τι τῶν καλουμένων εἶναι στοιχείων, ἀλλ' ἑτέραν τινὰ φύσιν ἄπειρον, ἐξ ἧς ἅπαντας γίνεσθαι τοὺς οὐρανοὺς καὶ τοὺς ἐν αὐτοῖς κόσμους· ἐξ ὧν δὲ ἡ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν φθορὰν εἰς ταῦτα γίνεσθαι κατὰ τὸ χρεών· διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλοις τῆς ἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν, .... Simplicius, Comments on Aristotle's Physics (24, 13) Mea Culpa Du weißt's! Nicht nötig ist's, dass ich's dir sage: Die Zeit bringt Schuld mit jedem ihrer Tage. Ich bin bereit die Schuld auf mich zu nehmen, sie fortzutragen durch mein kurzes Leben. Nicht was ich tue, was ich bin ist Schuld. Die Schuld ist nicht die Tat, sie ist das Sein. und deshalb gibt es nicht Vergütung und kein Büßen. Erträglich wird's nur durch Geduld. Auch mit Bekenntnis ist es nicht getan. Bekennen selbst ist Schuld. Sieh mich nur an! Denn mit Bekennen mache ich mich groß. Die Schuld ist unentrinnbar, lässt nicht los. So ist's, und endlich ausgesprochen sei: Leben ist Schuld, erst Sterben macht mich frei. aus EJM "Sonette an Chronos" These sentiments are corroboated in Chapter 7, "Das siebte Kapitel" of my novel "Döhring", which reflects the conflict of my own unquenchable philhellenism with the world in which I live: Er zitterte, denn er war überzeugt, dass es eine Bärin war, im Begriff ihn anzufallen. War nicht dies Gelände der ausgesuchte Platz für sie, und war nicht dies die Jahreszeit in welcher die Tiere am gefährlichsten sein sollten? Er erstarrte und war regungslos, ob aus Hilflosigkeit, aus Angst oder aus Berechnung, weil, wenn er sich nicht bewegte, die Bärin ihre Angriffslust von ihm abwenden würde, hätte er nicht zu sagen vermocht. Er hatte sich gelobt, vor dem Sterben keine Angst zu haben, und wenn er trotzdem zurückschreckte, so war dies weil sein Gemüt seinem Willen nicht gehorsam leisten wollte. Sein Herz schlug in seinen Hals, und seine Hände waren in kaltem Schweiß gebadet. Er schämte sich seiner Angst aber sie zu bannen war nicht in seiner Macht. Zu sterben, sagte er sich, wäre er bereit. Nur zerissen zu werden, die Weise des Todes, befürchtete er. Er machte sich auf alles gefaßt. Er horchte, und sein Gehör war schärfer denn je. Auf der Chaussee hoch am Bergeshang sah er die Scheinwerfer eines Autos, und hörte von jenseits der Fichten das schwache ferne Geräusch des Motors verhallen. Dann war wieder alles still. Da geschah es ein weiteres Mal, das Knistern und Krachen im Gebüsch. Er erstarrte aufs Neue, dann drehte er sich langsam um und sah dass sich etwas Schwarzes auf ihn zu bewegte. Als es seinem Blick gelang das Dunkel zu durchbohren, sah er eine Gestalt von Menschengröße, eine Bärin also, schon auf ihren Hinterpfoten, im Begriff ihn anzufallen und ihn zu zerreißen. In den Lichtschein welcher aus dem Fenster des Puppenbergwerks einen schmächtigen Streifen der Nacht erkennbar machte war ein Mann von mittlerer Größe getreten. Döhring mutmaßte, dass der Mann absichtlich, um sichtbar zu werden, sich aus dem allumfassenden Dunkel in die enge Lichtschneise gestellt hatte. Er mochte in Döhrings Alter sein, oder etwas darüber. Sein Kopf war von einem schweren Schopf krausigen Haares umgeben, dessen Farbe in dem künstlichen Dämmerlicht unbestimmbar blieb. Ein langer Vollbart verbarg sein Kinn und seine Brust. Wie er soeben seinem Ohr gezweifelt hatte, so zweifelte Döhring jetzt seinen Augen. Die akustische Täuschung wurde durch eine visuelle Halluzination ergänzt, und Döhring wusste, dass es mit ihm zu Ende ging. Der Fremde hatte ein gutmütiges Aussehen trug aber eine Uniform ausgefallenster Art, so einzigartig, dass die Krankhaftigkeit von Döhrings Sicht allein schon durch des Mannes Tracht bestätigt wurde. Auf dem Beschlag seines Rockes nämlich erkannte Döhring das zackige Abzeichen der WaffenSS, welches die Gutmütigkeit seiner Erscheinung Lügen strafte. "Ju häff a ferry gutt Feuß," sagte der Mann, "Jur Tschermann iss excellent," als ob Döhring soeben eine ihm von dem Fremden auferlegte Musikprüfung absolviert hätte. In Folgerung aber der Offenbarung von Döhrings germanistischen Sprachkenntnissen, fuhr der Mann nun fort, deutsch zu sprechen. "Ich habe es nie gewagt, die Arie welche Sie mir vorgetragen haben anzustimmen, ich habe zu viel in meinem Leben gesehen, und was ich gesehen habe, macht es mir unmöglich, je wieder ein reines Herz zu beanspruchen." "Ich meine Sie zu verstehen," sagte Döhring. Er war jetzt wieder in dem ihm vertrauten Element der vernunftgemäßen geisteswissenschaflichen Auseinandersetzung und selbst wenn diese Unterhaltung mit einem SS Offizier hier in der Sommernacht des kanadischen Felsengebirges seinen Wahnsinn besiegelte, würde er es sich nicht entgehen lassen mit diesem Menschen eine Aussprache über die Barocklyrik des Christian Friederich Henrici zu führen. Es entstand jedoch eine Pause, indessen Döhring die Außerordentlichkeit dieses Gespräches bedachte. "Ich meine Sie zu verstehen," begann er von Neuem. “Auch ich habe den Glauben an die Reinheit des Herzens verloren." Wieder entstand eine Stille, und diese bestätigte Döhring, dass er einer Täuschung zum Opfer gefallen war. Doch jetzt richtete der Sturmbannführer den Kopf in die Höhe und fragte, "Wie können Sie dann aber diese Arie singen, wie können Sie beten, reinen Herzens zu werden, wenn Sie den Glauben an die Reinheit des Herzens verloren haben? Wollten Sie vielleicht sich selbst in die Irre führen?" Döhring war auf diesen Vorwurf vorbereitet. Er sagte, "Es ist das Wesen der Literatur, müssen Sie wissen, auf die Einbildungskraft der Menschen zu spekulieren. Ich bin von Beruf Literaturhistoriker, und es ist meine Pflicht viele Gedanken vorzutragen, die nicht meine eigenen sind, und viele Gefühle zu beschreiben welche mich selber nie bewegt haben." Dieses Bekenntnis stimmte Döhring zugleich verlegen und ärgerlich. "Aber Sie, angesichts der Uniform die Sie tragen," forderte er, "wie können Sie sich anmaßen von Herzensreinheit zu reden?" "Ich dächte es wäre umgekehrt," sagte der bärtige Mann, und obgleich Döhring seinen Gesichtsausdruck nicht mehr sehen konnte, verwunderte er sich über die Mildheit der Stimme, welche zu der Uniform nicht passte. "Ich dächte," fügte der Fremde hinzu, "dass nur ein Mensch der sie getragen hat, von Herzensreinheit reden darf." Ein Sturm von Unwillen brauste in Döhring auf. Welch eine Schändung des Leidens und des Andenkens der Millionen von Menschen die dieser Mann und seine Kameraden gefoltert und ermordet hatten. Hier in der Nacht der kanadischen Nordwestens erschien sich Döhring der Vertreter aller Gemarterten, und der Sturmbannführer schien ihm die Ausgeburt aller Verfolger. Wieviele Leben hatten er und seinesgleichen nicht ausgelöscht, wieviele Menschen ins Unglück gestoßen. Tatsächlich war es das erste Mal, das Döhring einem Kriegsverbrecher gegenüber stand, und es verwunderte ihn selbst, dass er, der soeben eine so lähmende Furcht vor Bärinnen und Bären empfunden, vor diesem Unmenschen nur Widerwillen, aber keine Angst spürte. Wiesenthal, Simon Wiesenthal, hieß nicht so der Mann der dafür gesorgt hatte, dass dieser Mörder und seinesgleichen der Strafe nicht entgingen? Die kanadischen Behörden würden ihn unverzüglich den zuständigen Gerichten überliefern, und einen Augenblick erwog Döhring, ob er nicht umgehend zur Zentrale der Königlich Kanadischen Berittenen Polizei, der Royal Canadian Mounted Police, fahren sollte um den reuelosen Verbrecher anzuzeigen. Der Mann aber schien seine Gedanken gelesen zu haben. "In ihrem Fach, sollte ich meinen, gilt es doch als eine Binsenwahrheit, dass das Äußere nicht das Innere ist," sagte er. "Aber man kann das Innere doch nur über das Äußere erkennen," protestierte Döhring. "Man kann das Innere überhaupt nicht kennen," sagte der Mensch in der SS Uniform. "Im übrigen trage ich ja diese Uniform nicht zur Schau, ich trage sie nur um mich zu erinnern wer ich bin." "Und wer sind Sie denn eigentlich?" fragte Döhring, erleichtert dass der Mann das Thema der eigenen Identität selbst angeschnitten hatte, und dankbar, dass er ihn noch nicht angezeigt hatte. "Ich bin ein Mensch," sagte der Mann. Döhring wartete, aber der Mann sagte nichts weiter. "Ja, warum tragen Sie dann diese schreckliche Uniform?" forderte Döhring. "Weil ich es in mir fühle, dass auch ich ein solcher hätte sein können," antwortete der Mann. "Sie haben also diese Uniform niemals pflichtgemäß getragen?" "Niemals," sagte der Mann. "Ja warum tragen Sie sie denn jetzt?" wiederholte Döhring seine Frage. "Weil ich es in mir fühle, dass auch ich ein solcher hätte sein können," antwortete der Mann zum zweiten Mal. "Da sind Sie wahrhaftig nicht der Einzige," bekräftigte Döhring. "Nur sind die anderen zu feige es zuzugeben. Sie aber sind ein mutiger Mensch." Er fühlte nun eine unverbrüchliche Sicherheit wegen der Gültigkeit seines Urteils. Dies ist ein guter Mensch, sagte sich Döhring, und er war froh, dass er ihm kein Unrecht getan hatte. Und da er seine Güte erkannt hatte, überkam ihn das Bedürfnis mit diesem Menschen zu sprechen, sich ihm zu erklären, um seinerseits in jenes Augen auch als ein guter Mensch zu erscheinen. "Kann man sich denn hier nirgends hinsetzen?" fragte Döhring. Es war eine rednerische Aufforderung, denn es war kalt geworden, viel zu kalt um hier herum zu sitzen, und immer dunkler. Döhring war unsicher, ob es ihm überhaupt gelingen würde, den Weg zum Wagen zu finden. "Meine Hütte liegt nicht weit von hier," sagte der Mensch in der SS Uniform. Wenn Sie mir trotz meiner Aufmachung trauen, folgen Sie mir, und beim Schein der Lampe können wir einander ins Gesicht blicken, und uns ein wenig unterhalten. Hier ist es zu dunkel. Döhring folgte seinem neuen Kameraden in der schwarzen Uniform. Der führte ihn einen schmalen ebenen Pfad über die Wiesen an den Bach, dessen abwechselnd plätscherndes und brausendes Getöse Döhring in der Finsternis wie eine Orgelfantasie anmutete, und einige hundert Meter stromaufwärts an eine kleine Hütte deren erleuchtete Fenster Döhring schon aus der Ferne wahrgenommen hatte. Sie traten ein, und in dem trüben Schein einer Öllampe erkannte Döhring einen Herd, ein Bett, und einen Tisch mit ein paar Stühlen. In der Ecke bemerkte Döhring ein altes Klavier, dessen Deckel mit unzähligen Partituren beschwert war. Der Mensch in der SS Uniform hieß Döhring auf einem Stuhl an dem kleinen niedrigen Esstisch Platz zu nehmen. Er selbst stellte einen Wasserkessel auf den glühenden Ofen und setzte sich neben seinen Gast. Jetzt in der Beleuchtung und in der Wärme seiner Hütte wurde er redselig. "Ich heiße Albert," sagte er. "Ich wohne hier schon seit dreißig Jahren. Als ich zuerst in diese Gegend kam, erwarb ich mir diese Hütte und ein paar Hektaren Land. Jetzt möchte die Parksverwaltung es mir abkaufen, ich aber weigere mich, denn ich will hier leben, und hier will ich sterben. Aber ich habe den Parks Canada mein Grundstück nach meinem Tode vermacht, denn ich habe keinen Erben, und die Parksverwaltung begünstigt mir mein Leben und drückt sogar ein Auge zu, wenn du dir vorstellen kannst, dass eine Parksverwaltung ein Auge zudrücken kann, wenn ich die Tiere füttere, oder mich anderweitig mit ihnen anfreunde. Sonst ist das ja, wie du weißt, streng verboten." "Die Bären auch?" fragte Döhring, denn obgleich oder vielleicht gerade weil es sich herausgestellt hatte dass Albert Ursache der Geräusche gewesen war, welche ihn so erschreckt hatten, wünschte Döhring die Gelegenheit wahrzunehmen, von Albert über die Bären belehrt zu werden. Albert war der einzige Mensch den er getroffen hatte der eventuell zwischen ihm und den Bären vermitteln könnte. "Auch die Bären," bestätigte Albert, "wenn sie im Vorfrühling hungrig sind, stelle ich ihnen regelmäßig ein Fressen hinten in meinen Garten. Sie holen's sich und sind dankbar. Es würde keinem von ihnen je einfallen, mich anzugreifen. Mit den anderen Tieren ist's vergleichbar. Wir leben harmonisch zusammen in einer gemeinsamen Welt." "Aber die Uniform, Albert, die Uniform, die passt doch garnicht zu dir," wendete Döhring ein, bestrebt nun endlich die Ungereimtheit dieser Garnitur zu entwirren. "Doch," behauptete Albert, "die ist auch ein Teil meines Lebens und ein Teil von mir. Ich stamme aus Thüringen. Mein Vater war Gutsbesitzer. Unser Landhof lag am Fuß des Großen Ettersbergs bei Buchenwald, weißt du, nordwestlich von Weimar. Vor meinem Schlafzimmerfenster erstreckte sich der Berg mit dem berüchtigten Konzentrationslager. Ich bin Zeuge von allem was dort geschah. Weiß Gott, ich war nicht daran beteiligt. Weiß Gott, ich habe es nicht gewollt." "Aber dann hast du ja doch keinen Grund dich schuldig zu fühlen," sagte Döhring, und in diesem Augenblick tat ihm Albert sehr leid, und er hätte am liebsten seinen eigenen Anzug mit ihm getauscht. Er sah aber sofort ein, dass dieser seinem neuen Freund nicht passen würde, denn Albert war größer und dicker als er. "Ich habe aber auch nicht versucht, was dort geschah zu unterbinden oder zu verhindern. Wie gerne hätte ich es getan, aber es war schlechthin unmöglich, wenn ich es versucht hätte, hätten sie mich umgebracht. Es war mir genauso unmöglich wie es dir ist, wie heißt du eigentlich," unterbrach er sich. "Ich heiße Jakob," sagte Döhring, und aus Gründen die ihm unklar waren, unterließ er es, seinen Nachnahmen zu nennen. Albert fuhr ohne Unterbrechung fort, "Genauso unmöglich wie es dir ist, Jakob, einen der Gletscher die diese Berge krönen zu entfernen. In unserem Falle war es uns nicht einmal erlaubt fortzuziehen, denn man befürchtete mit Recht, dass wir nicht schweigen würden; man hat uns gezwungen dort zu bleiben, und alles mit anzusehen, bis an das erlösende Ende. Kurz eh die Amerikaner kamen, da haben sich die Wärter und die SS die Kleidung der ermordeten Häftlinge angelegt. Es ist ein tiefes Geheimnis, das du keinem verraten darfst, aber es gibt Menschen die noch heutzutage in KZHäftlingskleidung auf der Weltbühne paradieren, und sich ihren Mitmenschen gegenüber genauso betragen, als schlüge in ihrer Brust das Herz eines SS Mannes. Zu uns ins Haus haben sie ihre Uniformen gebracht, und uns haben sie gezwungen diese zu tragen, um von ihnen und ihrer Schuld abzulenken. Ich selbst habe dann drei Jahre im Gefängnis gesessen, weil man mich in dieser Uniform fand, derselben in welcher du mich getroffen hast." "Aber warum, Albert, hast du dich den amerikanischen Richtern denn nicht erklärt," sagte Döhring, Sie wollten dich doch garnicht bestrafen." "Nein, siehst du, da irrst du dich. Die Richter haben nur eine Absicht. Sie suchen einen Sündenbock, dem sie unser aller Schuld aufladen können. Du irrst dich in doppelter Weise. Erstens irrst du dich, weil du meinst, dass ich nicht schuldig bin. Ich bin schuldig, und ich will es sein. Und zweitens irrst du dich indem du meinst, dass es möglich wäre die Schuld mit der Strafe auszugleichen. Siehst du, Jakob, es gibt keine Schuld. Wenn es Schuld gäbe, dann wäre es möglich durch Strafe und Buße, durch Reue und Vergebung reinen Herzens zu werden. Weil es aber keine Schuld gibt, ist es für unsereinen unmöglich reinen Herzens zu werden. Deshalb beanstandete ich deine Arie." "Wie kann du sagen, dass du selber schuldig bist, und im nächsten Augenblick behaupten, dass es keine Schuld gibt. Siehst du nicht, dass du dir widersprichst?" forderte Döhring. Alberts Antwort ließ auf sich warten. Dann sagte er, "Der Widerspruch, scheint mir, ist auf deiner Seite, denn du behauptest, wenn ich dich recht verstehe, dass es Schuld zwar gibt, aber dass du unschuldig bist. Was kannst du von Schuld wissen, wenn du sie nie erlebt hast?" Döhring war zu erschöpft ihm zu antworten. "Du wirst mich entschuldigen," fuhr Albert fort, "wenn ich so umständlich und ausführlich darüber rede, aber ich habe ja nun dreißig, vierzig Jahre über dies Thema nachgesonnen. Und heute Morgen ist das erste Mal, dass ich Gelegenheit habe mich auszusprechen." Döhring war fast eingeschlafen. Es war für ihn ein langer, ein sehr langer Tag gewesen, auf dessen Anfang er sich kaum noch besinnen konnte. Bei der Fahrt zum Flughafen war die Sonne durch die Wolken gebrochen. Im Flugzeug hatte er den Fensterplatz für Elsbeth frei gelassen, aber die Fluglinie hatte ihn an Dorothea vergeben. Dadurch hatte er Dorothea getroffen und bald darauf hatte er sie wieder verloren. Weiter wollte Döhring jetzt nicht denken. Er sehnte sich nach nichts als Ruhe und Schlaf. Aber Albert hatte, er sagte es ja selbst, dreißig, oder waren es vierzig Jahre, auf ihn gewartet, und er hatte nun keine Wahl als hierzubleiben, dem ehrlichen alten Mann Gesellschaft zu leisten, und ihm zuzuhören. Auch brauchte Döhring sich an dem Gespräche nur im Geringsten zu beteiligen, denn Albert war aufgelegt sämtliche Unkosten der Unterhaltung zu bestreiten. Der hatte sich, in seiner fadenscheinigen schwarzen Uniform mit den SS Abzeichen auf dem Beschlag des Rockes, mit seinem Schopf roten Haares, dessen Farbe nun im Lampenlicht erkenntlich wurde, und mit seinem dichten roten Vollbart, vom Tisch bewegt, und stand nun, wie ein Pfarrer in schwarzem Talar zu Beginn seiner Predigt, unter der Hängelampe in mitten des kleinen Zimmers, als wären die Gedanken die er jetzt auszusprechen hatte zu gewichtig oder vielleicht zu heilig um im Sitzen verkündet zu werden. Döring aber blieb mit gefalteten Händen am Tische sitzen, und stierte vor Müdigkeit in die Tasse Tee welche Albert ihm vorgesetzt hatte. "Es ist ein großer Fehler," begann Albert, "vorauszusetzen, dass die Welt ohne menschliches Versagen vollkommen wäre. Es ist widersinnig die doch so offensichtliche Unvollkommenheit der Welt der fehlerhaften, der schlechten Handlung des Einzelnen zuzuschieben, und zu behaupten, dass alles in Ordnung wäre, wenn nur der Mensch dem Priester gehorchte, dass es nur Sünde oder Verbrechen ist, wie immer du es nennen magst, welche das Unheil stiftet. Siehst du, Jakob, die Welt ist unvollkommen auch ohne den Menschen, und dass sie vollkommen wäre oder durch seine Anstrengungen vollkommen werden könnte, das ist eine der Welt angedichtete Idealisierung, eine von den Menschen erfundene ethischästhetische Phantasie." Albert schwieg und wartete auf Döhrings Antwort. Nach einer Pause fügte er erklärend hinzu, "Ich glaube die Menschen überzeugen sich, dass die Welt vollkommen sein könnte, nur um sich über die Beschränktheit ihres Wesens hinweg zu trösten und zu täuschen. Die vermeintliche Vollkommenheit einer sündenfreien Welt ist durchaus vergleichbar mit der Vorstellung von der Gerechtigkeit, welche es auch nicht gibt. Und am irrsinnigsten ist die Behauptung des Menschen außer der Natur zu stehen und über sie erhaben zu sein." Albert hielt ein zweites Mal inne und wartete auf eine Antwort, aber Döhring stierte unverwandt in seine Tasse Tee, deren nunmehr nur noch dünne, kaum sichbare Dampfschwaden den kleinen Raum mit ihrem würzigen Aroma schwängerten. "Siehst du, Jakob," fing er von Neuem an, "ich bin der Überzeugung, dass jene Menschen welche ihre Mitmenschen quälten und töteten, nicht böse Menschen waren, sondern eben Menschen die ihrer Natur entsprechend handelten, nicht anders als die Bären es tun, wenn sie einen Hirsch erlegen, oder die Raubvögel, wenn sie einen Hasen oder ein Eichhörchen töten." "Der Mörder, festgenommen und bestraft, ist doch nur ein Sündenbock, den die Menschen dazu bestellen, ihre Schuld abzutragen. Nach der Kreuzigung fühlen sie sich zugleich vor dem Mordanschlag des Verbrechers gesichert und von den mörderischen Gelüsten der eigenen Seele gereinigt. Weil sie gedrungen sind, sich selbst rein zu fühlen, meinen sie das Schmutzige, das Schlechte, das Böse, außerhalb ihrer, in einem menschlichen Opfertier zu erkennen. Wen anders als den gemeinen Verbrecher denkst du denn dass Jesaja mit den Worten gemeint hat, `Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn nichts geachtet.' Siehst du, Jesaja hatte die verborgene Beziehung zwischen dem Verbrecher und dem Heiligen, zwischen dem Gott und dem Teufel, entdeckt. Wie hätte er sonst schreiben können, 'Fürwahr er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.'" Albert verstummte, als wäre die Stimme ihm von der Last der eigenen Worte erdrückt. Plötzlich zuckten Alberts Lippen, wie von einem epileptischen Anfall geschlagen, "Paideia eirenes hemon ep auton," Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. (Jesaja 53:5) stieß er hervor, und Döhring hörte, wie seine Stimme in Schluchzen erstickte. Döhring meinte jetzt wach zu sein, obgleich ihn der Vortrag der ihm, ungeachtet seiner Schläfrigkeit, ins Bewusstsein gedrungen war, die Hütte, deren karge Ausstattung ihm jetzt wieder in die Augen fiel, und vor allem der schwarz uniformierte Pfarrer, dessen Augen sich bei den griechischen Worten der Septuaginta mit Tränen füllten, so ausgeartet anmuteten, dass er die Unterscheidung, ob er nun wache oder träume, als überflüssigen Luxus von sich wies. In jedem Falle, sei es des Wachens oder Träumens, behauptete sich in Döhrings Gemüt das Verlangen die Ordnung seiner Begriffswelt wiederherzustellen. "Du bist ein guter Mensch, Albert," begann er versöhnlich, "aber in deinen kulturgeschichtlichen Erörterungen bist du fehl gegangen. Das mag vorerst sein, weil du zu viele Jahre diese schwierigen Gedanken mit dir herum getragen hast, ohne sie irgendjemandem auseinander setzen zu können. Paideia," sagte er mit fester Stimme, indem er diesen Begriff wie einen Standarte der Kultur und der Vernunft in die Querwinde der Auseinandersetzung hisste, eine Losung an welcher Albert und er sich orientieren, und welche sie zu einem Einverständnis führen würde, "Paideia ist die spezifisch griechische Deutung all jener erzieherischen Aufwände mit welchen die geistigseelische Kultur eines Volkes von Geschlecht zu Geschlecht vermittelt wird. Mit Strafe, mit Gewalt, hat Paideia nichts zu tun." Albert schien diesen Einwand nicht gehört zu haben. Auf seinem Gesicht spielte jetzt eine kaleidoskopische Folge der Empfindungen. "Die öffentliche Schuld welche den Mörder belastet," begann er von Neuem, "ist nicht dass er getötet hat, denn das Morden ist die Lieblingsbetätigung des Menschengeschlechts, und wir tun es mir großem Jubel, du besinnst dich des Ölkrieges im Persischen Golf. Die Schuld deretwegen der Mörder verfolgt wird, ist nicht, dass er getötet hat, sondern dass er die unrechten Menschen zur unrechten Zeit zu unrechten Zahlen getötet hat. Der Mörder unterscheidet sich von dem Helden lediglich in der Wahl seines Opfers. Der Golfkrieg sollte es sich lehren, falls du es vergessen hattest, mit wieviel Elan und Eleganz, mit welch heuchlerischer Pietät, mit welch unmenschlicher Brutalität man hundertfünfzigtausend Menschen zu schlachten sich brüstet, und dies auf Befehl eines Mannes der den Bürgern die ihn wählten ein gütigeres und milderes Land versprach. Bedenke doch, und wage nicht es zu leugnen, dass die Geschichte der Menschheit aus Mord und Zerstörung besteht, und dass sie mit der Ausrottung der Völker erfüllt wird. Vergiss die guten Christen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts nicht, welche die Völker Afrikas in die Sklaverei verschleppten, und auch nicht die frommen Europäer welche die Indianer ausgerottet haben. Welch Unheil wurde nicht alles von 'guten' Menschen verbrochen, die das Leben und das Leiden des Mitmenschen verkannten. Ihr Vergehen war, dass sie den Mitmenschen als ihnen fremd, als ihren Feind, betrachteten, und aus dieser vermeinten Feindschaft die Berechtigung schöpften ihn zu quälen und zu töten. Aber es ist ein Irrtum, Jakob, es ist der größte Irrtum von allen, zu beanspruchen was recht und unrecht ist aus der Vergangenheit, aus der Geschichte zu entnehmen. Es ist die erschreckende Eigenart der Geschichte, dass wir alle ihr gegenüber unendlich tugendhaft erscheinen. Glaubst du, dass es auch nur einen Christen gibt, der einsieht, dass er heute, nach zweitausend Jahren Kyrie Eleison und nach zweihundertfünfzig Jahren Matthäuspassion, begieriger ist denn je, Christus ans Kreuz zu schlagen? Sie alle jubeln nach der Todesstrafe, und keiner erkennt, dass der den sie kreuzigen in Ewigkeit der gleiche war und der gleiche sein wird." "Selbsttäuschung und Lüge, Selbsttäuschung und Lüge," wiederholte Albert, "Das sind die furchtbaren Fehler davor wir uns hüten müssen. Siehst du, Jakob, der Kern unseres Erlebens ist das eigene Ich, und jeder, wie Lessing gesagt hat, liebt sich selbst am meisten. Er vermag nun aber auch seine Frau, seinen Freund, seine Kinder, seine Eltern, seinen `Nächsten` in vergleichbarer Weise wie sich selbst zu lieben, das heißt ihr Leben so zu beschützen, ihrem Schmerz so vorzubeugen, ihr Glück so zu fördern, als wäre es sein eigenes. Es entsteht aber zugleich zwischen den einzelnen Menschen ein Wettbewerb der sie veranlasst einander zu bekämpfen. Dieser Wettbewerb ist mit der Nächstenliebe unvereinbar, aber er lässt sich dennoch nicht vermeiden, weil auch er Ausdruck des Menschenwesens ist. Furchtbarer als die Feindschaft zwischen Einzelnen ist die Feindseligkeit zwischen den Völkern, zwischen den Menschengruppen, zwischen den Rassen. Die Staaten haben die Menschen zu Soldaten gemacht, denen es erlaubt ist, den Gegner gefangen zu nehmen, ihn zu foltern und zu töten. Der Mensch ist von Natur grausam, Jakob. Wir wollen es nicht wahr haben, aber es ist so. Es gelingt ihm zuweilen, diese Grausamkeit zu verdecken, aber sich ihrer zu entledigen vermag er nicht." Döhring hatte versucht Alberts Vortrag zu folgen, und fand, dass dieser nicht durchweg folgerichtig sei, war aber erschöpft in einem Maße, dass er seinem Urteil nicht traute, und enthielt sich der Kritik. Schließlich vermochte er seiner Müdigkeit nicht mehr zu widerstehen, und schlief ein. Entweder hatte Albert es nicht bemerkt, oder er fuhr trotzdem unbekümmert fort, "Wenn du die Grausamkeit der NationalSozialisten begreifen willst, musst du erst die Grausamkeit der Menschen überhaupt begreifen. Die Grausamkeit des Menschen ist immer Grausamkeit des Einzelnen. Bedenke wie er die Tiere behandelt. Willst du wirklich wissen wer der Mensch ist, so betrachte sein Verhältnis zu den Tieren. Du kannst nicht umhin, in diesem Zusammenhang, noch einmal das schwierigste Thema des Menschenschicksals, das Essen von Fleisch zu bewerten. Willst du es verstehen, so darfst du deinen Blick nicht nur auf die Fleischlichkeit des Menschen beschränken, sondern es liegt dir ob, die Fleischlichkeit der Tiere im allgemeinen zu betrachten. Denn wer ehrlich ist, gibt zu, dass der Mensch nur eines unter vielen Tieren ist, und bei weitem nicht das Höchste, denn das ist der Adler. Und des Menschen Fleisch lässt sich vom Fleisch der Tiere nicht, garnicht unterscheiden. Die Abtrennung des Menschen vom Tier, wenn sie überhaupt, oder insofern sie gültig ist, besteht in der vermeintlichen Geistigkeit des Menschen, und seiner hoffartigen, arroganten, und ganz sicherlich irrtümlichen Ableugnung jeglicher Geistigkeit bei den Tieren." "Was nun das Fleisch selbst anbetrifft, so ist die die Fleischlichkeit des Menschen von der Fleischlichkeit des Tieres in keiner Weise zu unterscheiden. Es ist denkbar, dass ein Physiologe oder ein Biochemiker objektive Unterscheidungen zwischen den Bestandteilen des Menschen und Tierkörpers festzustellen beanspruchen möchte, aber selbst wenn dies der Fall wäre, so würden dergleichen Differenzen einen entsprechenden Unterschied im Geistigen kaum belegen. Was das Fleischliche anlangt so ist der Mensch durchaus dem Tier vergleichbar, und muss sich als fleischliches Wesen mit dem Tier durchaus verbrüdert oder verschwistert betrachten." Ernst und eindringlich hatte Albert in seinem schwarzen Talar auf den schlummernden Döhring eingeredet. Jahrelang hatte er die Gedanken welche er jetzt ausführte in seinem Gemüt gezogen, nun indem er sie zum ersten Mal verlautbarte, durchströmte ihn die Scham. Welch ungewöhliche und vielleicht ungehörige Behauptungen hatte er aus dem eigenen Munde vernommen. Er hielt inne. Die Vorstellungen welche er im Begriff war auszusprechen, würden ungewöhlicher noch und ausgefallener, und diese Gedanken einem anderen Menschen vorzutragen, wie immer freunschaftlich und sympathisch jener ihm auch begegnet, war ein Wagnis, mit welchem er die Gefahr lief von seinem Hörer, dessen Zustimmung ihm in seiner Einsamkeit so teuer war, als ausschweifend, wenn nicht gar als verworren zurückgewiesen zu werden. Er blickte in das Gesicht seines Gastes um die Wirkung seiner Worte einzuschätzen und gewahrte dass Döhring schlief. Ein Anflug von Enttäuschung und Missmut wurde von Erleichterung abgelöst, denn er war nun sicher, dass Döhring ihm seine Ausführungen nicht übel genommen hatte, und diese Erleichterung ermunterte Albert zu immer gewagterer Rede. "Siehst du denn nicht wie der Mensch das Schicksal des Schmerzes, der Wollust, und der Verderblichkeit des Fleisches mit den Tieren teilt? Des Menschen Erfahrung seiner eigenen Fleischlichkeit besteht im Wohlgefühl, in der Sättigung, im Schmerz, Hunger, Durst und in der Kälte, in der Wollust und ihrer Befriedigung, im Leiden und in der Angst vor dem Leiden, in der Furcht vor, und in der Vorausnahme von Tod und Verwesung. Sollte er sich in all diesem von den Tieren unterscheiden? Ach, er will sie nicht wahrhaben, seine Fleischlichkeit. Zeitlebens verhüllt er sie in Kleidern und Schminke und Schöntuerei, versteckt sie hinter ästhetischen Vorurteilen, und verdeckt sie nach dem Tode mit Balsam und reichgeschnitztem Sarg. Nie vermag er die Tatsache seiner Fleischlichkeit zuzugeben." "Die Fleischlichkeit des Tieres aber erlebt er ganz anders als die eigene. Die Fleischlichkeit des Tieres erlebt er geschmort oder geröstet oder gebraten, auf dem Teller das Spanferkel in voller Leiblichkeit auf seinem Tisch, verhöhnt mit dem Apfel in der Schnauze, den gekochten Fisch, ein fahler Abglanz seiner einstigen Schönheit auf der Servierplatte ausgestellt, die mit seinen Geschossen aus den Lüften herab gestürze Gans gerupft und gebraten zu seinen Festen, und widerlicher noch als die für seine Mahlzeiten wilden, auf der Flucht erschlagenen, Tiere, sind jene die er sich in seinen Ställen nur zum Schlachten mästet. Schon immer war es bedenkenswürdig, wie der Bauer das mit seinen Kindern schon angefreundete, im Keime geliebte Kalb oder das Zicklein vom Euter der Mutter mit dem Strick in die Scheune zerrt, um ihm dann mit dem spitzen Messer die Halsader aufzuritzen und sein Blut im Topf als Schweinfutter aufzufangen, bis es verblutet zu seinen Füßen endigt, so dass er ihm unbehelligt von Stöhnen und Geschrei den Pelz abschälen kann, ihm das Eingeweide entreißen die Glieder in zierliche Schnitzel aufteilen, die er dann teuer verkauft, oder wo nicht, sich, seiner Frau, seinen Kindern als Festessen auf den Tisch stellt. Ist es nicht das Tierfleisch, welches die Menschen verschlingen, das ihnen Kraft und Mut gibt, einander zu ermorden, mit eben dersellben Ruchlosigkeit mit der sie das Tier getötet haben? Verwundert es dich, dass es sie einst verlockt hatte in ähnlicher Weise einander zu schlachten und zu verzehren? War es doch zuletzt nur eine bisher unbeschriebene Entwicklung ihres Bewusstseins die sie zu dem Beschluss bewog, dies nicht mehr tun zu dürfen. Dennoch halten sie an der Möglichkeit einander zu verzehren fest. Tatsächlich erinnern sie sich ihres Vorrechtes dieses zu tun, indem sie in den heiligsten ihrer religiösen Feiern das Blut und das Fleisch ihres vermenschlichten Gottes zeremoniell zu verzehren beanspruchen." Die Tatsache dass Döhring zu schnarchen begonnen hatte schien Albert in seinen Ausführungen nur zu bekräftigen. "Der Mensch kennt das Wohlgefühl der Sättigung nach dem festlich bereiteten Mahle. Er schätzt die Kraft des Körpers und des Geistes die ihn befähigt Städte und Straßen und Paläste zu bauen, Bücher zu schreiben, Enzyklopädien zusammenzustellen, Wissenschaften zu erfinden, Maschinen, Autos, Flugzeuge, elektorische Rechner, Laser zu bauen und sogar in den Weltraum einzudringen. Aber der Mensch sieht auch was sein Körper sonst noch aus dem Fleische macht, denn er verwandelt es zu Kot, diesem widerlichsten Erzeugnis des Menschen, zu der Verleugnung und Verneinung seiner selbst. Und gerade dieses ist für des Menschen Beziehung zum Fleische bezeichnend, dass dem Menschen sein Auswurf, seine Exkremente so unbedingt, unqualifiziert widerlich sind, dass es ihn drängt sie zu begraben, sie ungesehen fortzuspülen, und seine Ausscheidungen rituell zu verhüllen." "Du isst überhaupt kein Fleisch?" fragte Döhring. Er war soeben von einem unruhigen Schlummer erwacht, und er hatte nicht verstanden, dass Alberts letzte Ausführungen dem Auswurf galten, und dass die Erkundigung nach fleischloser Diät in gerade diesem Zusammenhang nicht recht am Platze war. Albert schenkte dieser Frage nicht weiter Achtung. "Bedenke doch," fuhr er fort, "wie die Menschen ihr eigenstes, persönliches Interesse, ihre Sucht nach Glück und nach Leben, auf die gesammte Gesellschaft, auf die Natur selbst ausdehnen, und meinen, dass alle Geschehnisse auf Erden nach ihrem persönlichen Wohl abgeschätzt werden sollten. Hingegen versuche ich es hin und wieder, die Welt aus einer unpersönlichen Perspektive zu betrachten, eingedenk dass sie unzählige Kerne Bewusstseins enthält, deren jeder einen Anspruch auf Dasein erhebt vergleichbar mit meinem eigenen." "Die erzwungene Behauptung des eigenen Ich hat uns zu dem verhängisvollsten Irrtum dem wir verfallen sind verleitet, zu der Annahme nähmlich, dass zwischen dem Bewusstsein, der Seele des Menschen und dem Bewusstsein der Tiere ein qualitativ absoluter Unterschied bestünde, dass Menschsein und Tiersein gänzlich voneinander getrennt wären. So will es schon, aller Augenscheinlichkeit zuwider, die Schöpfungsgeschichte der Bibel. Nicht der Anspruch göttergleich zu sein, sondern die Verleugnung unserer Verwandtschaft mit anderen Wesen ist die Hybris welche uns immer aufs Neue unser Elend gebiert. Mein Bruder der einst diese Uniform bei seiner 'Arbeit' getragen hat war fähig, als ob sie Tiere wären, die Homosexuellen, die Kommunisten, die Sozialisten, die Juden, die Polen, die Russen, zu erschießen, zu vergasen, zu verbrennen, oder anderweitig zu Tode zu quälen, als ob sie Tiere wären, weil er in ihnen seinesgleichen nicht erkennen wollte oder konnte, als ob sie Tiere wären. Der Wissenschaftler der den Versuchsaffen verstümmelt, der Jäger der das Reh erschießt, der Schlächter der dem Rind den Todesstoß auf den Schädel gibt, sie alle vermögen ihrem tötenden Handwerk nachzugehen nur unter der Voraussetzung, dass ihre Opfer Tiere sind, grundsätzlich verschieden von ihnen selbst, von ihren Frauen und Eltern und Kindern. Am klarsten siehst du dieses Verhältnis in der Verfolgungsgeschichte der Indianer und der Neger, welche man, wegen ihrer fremden Erscheinung, wie Tiere behandelt hat, bis man sich zuletzt tatsächlich überzeugt hatte, dass sie nicht Menschen, dass sie Tiere wären. Wahrlich, ich sage dir, du ziehst keine Grenze zwischen dir und dem anderen Lebewesen ohne dein Seelenheil aufs Spiel zu setzen." EJM - Döhring, 7. Kapitel Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder Holdes Blüthenalter der Natur! Ach, nur in dem Feenland der Lieder Lebt noch deine fabelhafte Spur. Ausgestorben trauert das Gefilde, Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick, Ach, von jenem lebenwarmen Bilde Blieb der Schatten nur zurück. Schiller, Götter Grienchenlands Der einzige Weg für uns groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand von Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen. Geschichte der Kunst des Altertums (1764) Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) Heraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Göttin stilles Heiligtum, Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl, Als wenn ich sie zum erstenmal beträte, Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe; Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd. Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten, Und an dem Ufer steh ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele suchend; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brausend mir herüber. Goethe, Iphigenie auf Tauris That having been said, I need to explain why my scepticism of history does not extend to "Paideia" as the literary and intellectual work of art to which Professor Jaeger devoted much of his life, and which stands as an enduring monument to his humanity and to his goodness. Werner Jaeger died sixty-two years ago in 1961 at age 73. I had first heard of him in 1946, during my first year in Harvard College. I didn't enroll in his undergraduate course in Greek literature in translation, because I wanted to read the texts in the original language. Instead I took elementary and intermediate Greek courses with other instructors. We read the Anabasis and Antigone. But when I was awarded a prize for my academic work, I rewarded myself by choosing as my gift the three volumes of Paideia. Six years later, having completed college and a year of graduate study in Comparative Literature. I had married and was enrolled in medical school. My wife was supporting us by teaching at the Buckingham School in Cambridge. Among her students was Therese Jaeger, and at a parent-teachers meeting Werner Jaeger met Terry's teacher, by whom he was so charmed that he instructed his wife Ruth to ask us, my wife and myself, to dinner in their spacious house in Watertown. After the meal, he invited me into his study to inquire about my studies. I told him about my interest in literature and philosophy and my enthusiasm about my work with Karl Viëtor. Then, in the question with which he replied: "Ja, was ist denn eigentlich dieser Viëtorismus?" I thought I heard faint echoes of loneliness and envy. Before we left, Professor Jaeger had invited me to visit him in his study in Widener Library. I don't remember how often I availed myself of his generosity, but some of the things he told me are etched in my memory. I explained that in the absence of meaningful schooling in the backwoods of Virginia where I had grown up, I had become self-taught. Then with disarming humility he told me that the same had happened to him. "Herodot war mein Gymnasium." When I asked Professor Jaeger about philosophy, he recounted to me how Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf, in reply to a similar question, had once admonished him: "Junger Mann, eh Sie zu philosophieren beginnen, machen Sie erst einmal ein Paar Konjekturen." When we were talking about his teacher Paul Natorp, and I asked him about his reaction to Natorp's account of the Sceptics, Jaeger said, "Das hatte ich ganz vergessen." He told me how he had gone from Marburg to Berlin to study with Wilhelm Dilthey, whom he described as being inundated with incomplete manuscripts, having succumbed to old age and alcohol. That was the juncture at which Wilamowitz had discovered Jaeger's facility in Greek and recruited him to the Classics. When I asked about his plans for further volumes of Paideia, Professor Jaeger demurred, citing a very specific, almost filial obligation to devote his time to editing the writings of Gregory of Nyssa. He offered to read Plato's Protagoras with me,and I accepted. On at least two occasions Professor Jaeger invited me for lunch to the Window Shop, a German restaurant on Brattle Street near Harvard Square, which provided congenial employment for German refugees, and Viennese cuisine for its customers. I remember Wiener Schnitzel as a luxury which I never allowed myself before or after. At the time, I was in Harvard Medical School, which like other Harvard departments, was generous in not policing attendance at lectures. Exercises in the afternoons were devoted to clinics, for the presentation to students of "interesting cases". Even then I was appalled and offended by the violation of the patients' privacy. More to the point, different instructors presented the patients unselected, as they appeared in the clinics. Since many patients had the same illness, there was endless repetition of the same symptoms, the same diagnosis, the same dogma, a patient post Caesarian section could not be subsequently trusted with normal delivery, even a small malignancy required radical mastectomy, etc. It seemed that the greater the uncertainty of prognosis, the more hazardous the disease and the contemplated treatment, the more dogmatic and passionate were the teachers' assertions. Sceptics are considered heretics also in the religion of science. Such were the clinics from which I absented myself in order to participate in the seminars to which Professor Jaeger had invited me. They were three in number: on Aristotle's Metaphysics, on the Greek hymns, and on Longinus' Peri Hypsous. I remember Professor Jaegers referring to me with gentle irony as "ὁ ἰατρός" who had lost his way into a classics seminar. Jaeger's demeanor at these exercises was in remarkable contrast with that of my college teacher Karl Viëtor who had at one time hired me as his research assistant to excerpt from the late 19th Century periodical literature, references to Nietzsche for a book he was preparing to write. Viëtor's lectures were theatrical presentations of great effectiveness. He confided to me that originally he had prepared himself for his career with elecution lessons. Jaeger, on the other hand, made no rhetorical efforts at all. He spoke informally, as if conversing with individual visitors to his office. His opening sentence in the Metaphysics seminar has hovered unforgettably over all my literary efforts in the ensuing seventy years. To his assembled graduate students and to the visiting ἰατρός, Jaeger said simply: "Now I will teach you how to read." He then proceeded to collate each sentence, each phrase and sometimes each word, with instances in other sections of the Metaphysics, letting the text speak for itself without any attempt at comprehensive construction or interpretation; all this consistent with his contention that the text (which he had edited for the Oxford University Press) was not the presentation of an organized thesis, but a random collection of notes. In the seminar on the Greek hymn, I remember being impressed with the melodiousness of Professor Jaegers reading some of the hymns of Callimachus and some of the Homeric Hymns and with the "edle Einfalt und stille Größe" of his interpretations. For the seminar on Longinus' Περì Ὕψους (Peri Hypsous,) in response to Professor Jaegers request that I make a presentation about the Sublime, das Erhabene, in German literature, I gave a short talk about Hölderlins poem Die Eichbäume: Die Eichbäume Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges! Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich, Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen. Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel, Der euch nährt' und erzog, und der Erde, die euch geboren. Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen, Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel, Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute, Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet. Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen. Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben. Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich, Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen! My exposition was received, like the other contributions to the seminar, without criticism and without praise. It was only some years later, that I was embarrassed to discover having overlooked an essay, "Das Erhabene in der deutschen Literatur," in Karl Viëtor's book "Geist und Form" which even then stood on my shelves. Of late, however, I conclude that my referring to Die Eichbäume as a model of the interpretation of the sublime by the Weimar classicists was altogether apposite. What impresses me as remarkable today as I review my memories of the seminar, is Professor Jaeger's implicit, if not explicit assumption that the profound existential meaning we assigned to the sublime in 1952, should have remained constant over the course of twenty centuries for the many writers who commented on it, comparable to the apparently rhetorical meaning of the Sublime for the author of Peri Hypsous in 100 CE. Perhaps Professor Jaeger's imputation of an unchanging meaning to Peri Hypsous was analogous to his reliance of an unchanging meaning of Paideia for the authors of pre-Socratic Greece, of the Hellenistic Period and even of early Christianity, as he intimated in his last publication: Early Christianity and Greek Paideia, Cambridge, Belknap Press of Harvard University Press, 1961, where he cited even Jesus of Nazareth as an exponent of Paideia. If Werner Jaeger were alive today, I might be at a loss of words. I would want that nothing I might say should hurt his feelings, but I could not deny that my understanding of his Paideia, or should I write, of our Paideia, had changed. As I observed him, Werner Jaeger's professional existence at Harvard was lonely. His competence, so much greater than that of his colleagues, isolated him. All of them were envious. Some of them were openly contemptuous of his work. Eric Havelock considered Paideia a mantle for fascism. Willard van Orman Quine denied students in the Philosophy Department academic credit for work they did with Jaeger. Jaegers last words in "Early Christianity and Paideia" suggest to me that he and I could now agree that Wilamowitz' subordination of philosophy to philology was a mistake. Not all of us can be philologists, but none of can live without breathing, or without thinking, or without philosophy, however much the pretentiousness of that word might embarrass us. I am confident that if Jaeger were living today, his presence would so modify my thoughts, that when I explained them to him, we would be united in agreeing with the statement that Goethe inscribed into Ottilie's Tagebuch: "Gegen die großen Vorzüge eines anderen gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe."