1  2 Krötenrettung 3 ============= 4 5 Vorlage für ein Opernlibretto, Theaterspiel, oder Lesedrama. 6 Menschen sind unabänderlich, daher ein Bildungsdrama für Götter. 7 8 Das schriftliche Drama, sei es als Vorlage für eine Bühnen- 9 aufführung oder als Text zu einer Oper, zielt, im Vergleich mit 10 anderen schriftlichen Bemühungen, auf Ergebnisse außerordentlicher 11 Art, insofern diese nicht etwa wie ein Buch als ein Kunstwerk wirken, 12 sondern als ein sich in Echtzeit aufdringendes Geschehen, das unmittelbar 13 ins menschliche Erleben fädelt. Während das augenblickliche Erleben 14 des Einzelnen sich weitgehend jeglichem Zugang entzieht, wird beim 15 Vortrag auf der Bühne die Vorschrift des Verfassers zur unmittelbaren 16 Vorlage für das momentane Erleben nicht nur des Schauspielers oder Sängers, 17 sondern weiterhin auch, und besonders, für das Erleben des Zuschauers 18 oder Hörers der je nach seiner Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit an der 19 Darstellung teilnimmt. Denn wie der Schauspieler durch seine Anstellung 20 gezwungen ist sich in die ihm vorgeschriebene Rolle zu versetzen, so kann 21 der echte Zuschauer nicht umhin das ihm Vorgetragene, wenn auch nur im 22 Stillen, mitzusprechen, mitzusingen, mitzudenken, mitzufühlen, 23 mitzuerleben, in einem dem des Schauspielers vergleichbaren Grad 24 von Leidenschaft. 25 26 Diese Heraufbeschwörung unmittelbaren Erlebens möchte zugleich als 27 Ausgangspunkt und als Ziel meiner Bemühungen gelten. Das Schauspiel 28 erscheint nun in dialektischer Bedeutung, als Bemühung und Gegebenheit 29 die zwischen der Spannung des unüberlegten Geschehens, sei es als 30 Melodrama oder Kasperletheater, und einer Bühne auf welcher das 31 menschliche Erleben in prägnantester Weise zum Ausdruck gebracht wird. 32 Zwischen fesseldem Theater und sinnvollem Theater bestehen Widerspruch 33 und Spannung. Nicht alles Spannende ist unbedingt sinnvoll, und kaum 34 etwas Sinnvolles ist spannend durch seinen Sinn. Ich betrachte es als 35 meine Aufgabe diesen Gegensatz allenfalls in jenem Maße zu schlichten, 36 dass meine Bemühungen bühnenfähig erscheinen. Doch selbst wenn mir 37 dieses Vorhaben nicht gelingt, so hätte der Tonsetzer, oder der 38 Regisseur, wenn es sie geben sollte, die Gelegenheit durch Abänderung, 39 Kürzung, Erweiterung, Verbesserung meines Textes mein Versagen 40 aufzuwiegen. 41 42 Das Erleben von dem ich bestrebe, dass es in diesem Schauspiel zum 43 Ausdruck kommen möchte, umfasst ein Spektrum so breit wie es das eigene 44 lange Leben es mir gezeigt hat, von den primitivsten Anflügen von Lust, 45 Hass, Eifersucht und Grausamkeit zu den erhabensten Aufflügen der Liebe, 46 Ehrfurcht, Anerkennung, Wissen und Verstehen auch um die Kunst, und 47 besonders um diese. Im Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass 48 jenes Erleben dass ich mit meinen Bemühungen zu erreichen versuche, 49 sich über die Begebenheiten des unmittelbaren Alltags weit hinaus erstreckt, 50 und nicht nur die Umstände und Geheimnisse des einsamen Einzellebens 51 und gesellschaftichen Zusammenlebens umfasst, sondern sich auch auf die 52 Gebiete der Geistes- und Naturwissenschaften, der Kunst und des religiösen 53 Lebens zu erstrecken beansprucht. Ich bin mir im Klaren dass mich meine 54 Absicht nicht nur an die Grenzen von herkömmlichem Theater und Oper 55 führen wird, sondern über sie hinaus, und in Bereiche die auch die 56 wohlgesinntesten Interessenten meiner Bemühungen als befremdend anmuten 57 möchten. Ich antworte dem leidenschaftlich Interessierten dass dieses 58 Vorwort eine Einladung meine Bemühungen als Vorlage hinzunehmen ist, und 59 nicht davorzurückzuscheuen, was ich geschrieben habe nach Belieben und 60 Urteil zu kürzen, zu erweitern, zu verbessern und in jeder Weise für 61 eigenen Bedarf und Zweck brauchbar zu machen. 62 63 Im Übrigen veranschaulicht dieser Text verschiedene Begriffe von denen ich 64 im Verlauf eines langen Lebens überzeugt geworden bin. Zu nennen sind 65 Idealisierung und Entidealisierung (Vier Freunde IV,6), Assimilierung als 66 ontische und episteme Gegebenheit, Vergelten und Verstehen als Instrumente 67 der Vergesellschaftung. Ich bediene mich dieser Gelegenheit diese Begriffe 68 vorzustellen. 69 70 Mit dem Begriff Idealisierung bezeichne ich die Neigung (propensity) 71 des Menschen als Einzelner und als Gesellschaftswesen, die Bruchstücke 72 von Empfindungen, Gefühlen und Gedanken die ihn zufällig berühren, zu einem 73 Ganzen mit eigenen Sinn und Bedeutung zusammenzufügen und sich somit eine 74 scheinbare neue eigene Wirklichkeit zu beschaffen. Aus der Gesamtheit von 75 solchen Idealisierungen kommt dann eine vorgestellte Welt zustande darin der 76 Einzelne lebt und handelt. Entidealisierung ist das entsprechende Auflösen 77 der idealisierten Gefüge in einzelne unmittelbare doch unerreichbare 78 Erkenntnis- oder Verständnis- Augenblicke. Die Existenz des Geistes besteht 79 weder in dem Ideal noch in den Bruchstücken aus denen es zusammen gesetzt ist, 80 die es begründen und in welche es sich auflösen lässt, sondern in der Dynamik 81 von Synthese und Analyse welche das Einzelne in ein Ganzes zusammenfügt und 82 das allgemeine Ganze in besondere Einzeleiten auflöst. 83 84 Mit dem Begriff Assimilierung bezeichne ich das Verhalten des Geistes - 85 so wie auch in anderen Hinsichten - des Körpers, als Erwiderung der Umstände 86 worin er sich befindet. Am Auffälligsten erscheint Assimilierung in der 87 Begegnung und im Verhältnis von zwei Personen mit einander, - aber auch in 88 dem Verhalten zu geistigen und körperlichen Umständen worin der Einzelne sich 89 jeweils befindet, kommt Assimilierung zum Ausdruck, so etwa als Erscheinung 90 von naturbedingter Beheimatung, bzw. Oikeiosis. Assimilierung, deutsch 91 Angleichung, bezieht sich nicht nur auf das Geistige, auf Gedanken und Gefühle, 92 sondern auf den Körper, wo, zugegeben die Veränderung nicht unbedingt 93 augenscheinlich ist. Selbstverständlich ist und bleibt das Verhältnis von 94 Geist und Körper eine besondere, getrennte Frage, auf welche das Phänomen 95 der Assimilation keine Antwort bietet. 96 97 Schließlich wirft dieser Schauspielversuch ein weiteres eigenes Licht 98 auf die konkurrierenden Prinzipien der Vergesellschaftung, Agape, sag 99 Wohlwollen einerseits, und Vergeltung andererseits. Einzelheiten ergeben 100 sich dann aus dem Text. 101 102 Das Erscheinenen der drei Musen, Melpomene, Euterpe und Erato, ist 103 vordergründig Entidealisierung insofern es Göttinnen sind die als 104 Dienstmädchen in Möchtegerns Küche erscheinen, möchte aber ebenfalls 105 als Idealisierung des Zustands in der anspruchslosen Küche des 106 anspruchsvollen Möchtegern gedeutet werden. Entidealisierung und Idea- 107 lisierung sind doch nur zwei Seiten eines einzigen Blattes. Auch 108 das Betragen von Dike und Apoll besagt Entidealisierung. Besonders 109 besagt der Wechsel von Leben und Schauspiel die (Ent)idealisierungs- 110 dialektik. Denn dass die vermeintliche Gültigkeit des Lebens sich 111 als Schauspiel erweist, ist entidealisierend; indessen das Schau- 112 spiel auch als Idealisierung des Lebens verstanden werden muss. 113 114 Vorwort an den Tonsetzer 115 ======================== 116 117 Wenn, wie vorauszusehen ist, kein Tonsetzer sich um diese Bemühungen 118 kümmert, dann bleibt es unbestimmt, und überflüssig zu bestimmen, 119 ob das hier Gebotene als ernster Versuch oder als Witz zu betrachten 120 ist. Andernfalls aber schlage ich vor, dass was ich geschrieben habe 121 als vorläufig und als Versuch betrachtet werde, Stoff wovon ein 122 Tonsetzer nach Belieben auswählen möchte, was er zu seiner Arbeit 123 bedarf. 124 125 Diesen üppigen Text hab ich entworfen, und werde fortfahren ihn zu 126 erweitern, abzuändern und hoffentlich zu verbessern, ohne jegliche 127 Erwartung, dass er je vertont wird, geschweige denn dass die fast 128 unvorstellbare Vertonung jemals auf einer Bühne ihre endgültige 129 Verwirklichung erführe. Dennoch schreibe ich dies Vorwort um meine 130 Bemühungen möglicherweise einem Bearbeiter zugänglich zu machen. 131 132 [Zu Anfang das Bekenntnis, dass ich zwar mit Purcells Dido and Aeneas, 133 mit den großen Passionen, Oratorien, und Kantaten und mit den Messen 134 Bachs, mit Händels Messias, L'allegro ed il penseroso, Acis and Galatea, 135 und Saul, mit Mozarts Requiem, Entführung, Figaro, Don Giovanni, Cosi 136 fan tutte, mit Beethovens Fidelio, Neunter Symphonie, Liedern und Missa 137 Solemnis, mit Schuberts und Schumanns Liedern, mit Arabella, Ariadne 138 und dem Rosenkavalier von Strauß vertraut bin, aber mit anderer 139 europäischer Vokalmusik fast überhaupt nicht. Diese Tatsachen mögen 140 mein Geständnis belegen, dass meine Anmaßung ein Opernlibretto zu ver- 141 fassen, unbegründet ist. 142 143 Wenn ich es dennoch tue, so liegt meiner Bemühung die Tatsache zugrunde, 144 dass es dem Menschen notwendig ist zu sprechen, dass es dem Sprechenden 145 notwendig ist gehört zu werden, dass es dem Schreibenden notwendig ist, 146 dass was er schreibt, gelesen wird. Ich schreibe aus dem Bedürfnis gele- 147 sen zu werden; und dies Bedürfnis würde im äußersten Maße befriedigt 148 wenn die Sängerin oder der Sänger meine Worte verinnerlichte um sie 149 einem Publikum auswendig vorzutragen. Dass es ein Wunschtraum ist dem 150 ich verfallen bin, wär' ich der Erste zuzugeben.] 151 152 Vorwort 153 ======= 154 155 Gertraud Strangfeld, die Tochter meines braunschweiger Grundschullehrers 156 Walter Hirsekorn, ist begeisterte Naturliebhaberin. Kürzlich erhielt ich 157 von ihr einen Brief mit der Beschreibung einer Naturschutzbetätigung die 158 ich zitierenswert finde: 159 160 "Heute ist der letzte Tag unserer Krötenrettungsdienstwoche (oder Kröten- 161 Rettungsdienst-Woche, oder...). Da wir Mitglieder im BUND (Bund für Umwelt- 162 und Naturschutz) sind, helfen wir im frühen Frühjahr bei der Aktion zur 163 Bewahrung der Kröten, die aus ihren Winterquartieren erwachen und den Weg 164 zu ihren Laichgewässern antreten. Dabei müssen sie verschiedentlich befahrene 165 Straßen überqueren und werden dabei in manchmal Massen überfahren.Also 166 richten wir Zäune auf, etwas 35 cm hoch, entlang ihrer Hauptrouten, und 167 graben in Abständen von etwa 15 m Eimer in die Erde, die mit der Kante gleich 168 hoch abschließen. Die Kröten fangen am späten Abend an zu wandern, suchen 169 einen Durchgang und fallen irgendwann in einen Eimer, aus dem sie nicht 170 heraus gelangen. So gegen 21.30 fangen wir an, die Strecke abzusuchen, leeren 171 die Eimer in unseren mitgebrachten Eimer, finden oft noch viele Tiere, die 172 den Zaun noch gar nicht erreicht haben, und tragen alle über die Straße, 173 überklettern die Barriere und einen Graben und bugsieren die Tier durch den 174 Maschendrahtzaun. In warmen, feuchten Nächten  befördern wir mehrere hundert 175 Kröten, in kalten, so wie letzte Nacht, die bei 0 Grad anfing und von grimmem 176 Frost überwältigt wurde, überhaupt keine. Heute abend werden es wohl wieder 177 ein paar mehr sein. In großer Überzahl sind die Männchen, kleine, zierliche, 178 anmutige Erscheinungen, während es nur wenig alleinstehende oder-wandernde 179 Weibchen gibt. Einige Pärchen finden sich auch. Die Weibchen sind deutlich 180 größer und müssen die Last der Männchen (manchmal sind es tatsächlich mehrere) 181 auf dem Rücken tragen, tun das aber offenbar klaglos. Gelegentlich werden sie 182 auch im Wasser durch den Männeransturm ertränkt. Man kann mit der Natur 183 durchaus nicht immer einverstanden sein." 184 185 186 Personen 187 ======== 188 189 Apoll, Gott der Harmonie, des Friedens, des Glücks, 190 des Lichts und der Seligkeit, Tenor 191 Dike, Göttin des Rechts und der Gerechtigkeit, Mezzo-Sopran 192 Melpomene, Muse, Sängerin von tragischer Dichtung, und von Trauerliedern, 193 Mezzo-Sopran 194 Euterpe‚ Muse, die Erfreuende, die jedermann ergötzt, 195 Vertreterin von Tonkunst, Lyrik und von Poesie, Alt 196 Erato, Muse, die Liebevolle, die Liebliche, weiß von Liebesdichtung, 197 von Lyrik, von Gesang und Tanz, Alt 198 Maga Lump, schwadronierender Gutsbesitzer, Hochstapler, Prahlhans 199 und Schürzenjäger, Bass 200 Baron Ulrich Hieronimus von Krötenheim, verwitweter Gutsbesitzer, 201 Krötenliebhaber, Tenor 202 Moritz Möchtegern, verwitweter Versager, Krötenheims Nachbar 203 und Freund, Bariton 204 Ursula Schönstimm Lump, Opernsängerin und Trophäen-Ehefrau Maga Lumps, 205 eine Frau ohne Schatten, Coloratura Sopran 206 Beamtinnen des Katasteramts, Sopran und Alt, 207 Miliz-Anführer, Räuber, und Verbrecher im Gefolge des Maga Lump, 208 Tenor, Bariton und Bass 209 Erster Patriot, Tenor 210 Zweiter Patriot, Bariton 211 Dritter Patriot, Bass 212 Chor der Krötenseelen 213 Chor der Patrioten 214 215 216 Vorspiel und Nachspiel 217 218 Hinter geschlossenem Vorhang, ein schrilles Pfeifen, danach völlige 219 Stille. Dann hört man stürmischen Applaus, Händeklatschen, Fußstampfen, 220 Gejohle und Gelächter. Der Vorhang öffnet sich und der Applaus verstummt. 221 222 Blick auf einen wüst verwilderten Soldatenfriedhof bestückt mit Fahnen 223 vieler Länder. Die Gräber sind unterschiedlich mit Halbmond, mit Stern, 224 und mit Kreuz angezeigt. Dazwischen liegen schlafende oder gefallene 225 Soldaten mit gestreckten Gewehren. In allen Richtungen, auch über die 226 Soldaten, krabbeln Kröten. Im Hintergrund drei ragende Kreuze. Die Stimmen 227 eines Chorals ertönen als sanftes kaum hörbares Orgelspiel, 228 229 "Ach Herr, lass dein lieb Engelein 230 Am letzten End die Seele mein 231 In Abrahams Schoß tragen, 232 Den Leib in seim Schlafkämmerlein 233 Gar sanft ohn eigne Qual und Pein 234 Ruhn bis am jüngsten Tage! 235 Alsdenn vom Tod erwecke mich, 236 Dass meine Augen sehen dich 237 In aller Freud, o Gottes Sohn, 238 Mein Heiland und Genadenthron! 239 Herr Jesu Christ, erhöre mich, 240 Ich will dich preisen ewiglich! 241 242 (Herzlich lieb hab ich dich, o Herr," 243 3. Vers , Martin Schalling, 1571) 244 245 246 Erster Teil, 111111111111111 247 248 Der Vorhang öffnet sich auf eine einfache Küche in einem Wohnhause. An der 249 Längsseite, drei weite hohe Fenster mit einem Ausblick auf einen verwilderten 250 Garten. Unter dem Fenster ein Tresen mit einem Waschbecken. Möchtegern sitzt 251 schweigend mit gefalteten Händen und mit geschlossenen Augen. Er beugt sich 252 über einen mit schmutzigem Geschirr bestücktem, abgegessenen Küchentisch. Er 253 ist sehr alt, hat struppiges ungeschnittenes weißes Haar, und ist tagelang 254 unrasiert. Nach einer Stille beginnt er zu reden: 255 256 MÖCHTEGERN: 257 Habe nun, ach, 258 dies einzig mir beschiedene lange Leben 259 sinnlos vergeudet, zu keinem Nutzen vertan. 260 Werd jetzt vielleicht bestraft für das Bestreben 261 alles zu denken, alles zu sehen und hören, 262 alles zu wissen und alles zu verstehen. 263 Ich war entschlossen alles selbst zu machen. 264 Mit Leidenschaft wollt ich die Welt erkaufen. 265 Umsonst, alles umsonst. Die einz'ge Frau 266 die mich jemals geliebt, ist längst verstorben, 267 Kinder sind fort, als wie vom Wind verweht. 268 Was übrig bleibt sind nichts als leere Worte 269 die ich zu keinem als mir selber spreche. 270 So muss ich mir die eignen Lieder singen, 271 und eigene Geschichten mir erzählen. 272 Wie anders sollt ich mir die lange Weile, 273 die Einsamkeit vertreiben? Auch beim Geringsten 274 wollen Kraft und Fähigkeit versagen. 275 Wie stell ich's an, dass mir geholfen wird? 276 Weiß keinen Ausweg als zuletzt zu flehen: 277 Engel vom Himmel kommt mir beizustehen. 278 279 Möchtegern schläft ein. Entweder wird die Küche jetzt so dunkel, dass 280 seine schlafende Gestalt nicht mehr erkenntlich ist, oder der Vorhang 281 fällt. Bei erneutem Aufzug, oder bei zunehmender Beleuchtung, sind außer 282 Möchtegern, drei Mädchen zu erkennen, drei Musen vom schneeigen Olymp. 283 Indem sie den Küchentisch abräumen und das benutzte Geschirr zur 284 Abwäsche auf den Tresen stellen, bewegen sie sich im lieblichen Rhythmus 285 eines schlichten Tanzes. Erato mit aufgerollten Hemdsärmeln wäscht das 286 seit mehreren Tagen angesammelte Geschirr. Euterpe trocknet ab, und 287 Melpomene legt das gesäuberte Besteck in eine offene Schublade im Tresen. 288 Sie stellt die gewaschenen Teller, Tassen und Untertassen in einen 289 Wandschrank mit offenen Flügeltüren. 290 291 MELPOMENE, EUTERPE, und ERATO: (zusammen) 292 293 Vom Himmel hoch, da komm'n wir her. 294 Nicht auszuhalten war's da mehr. 295 Dass auf der Erd' es besser ist, 296 Das glaubst Du falls du gläubig bist. 297 298 MELPOMENE: Hab keinen Schimmer; 299 weiß nicht weshalb man uns hierher bestellt. 300 301 EUTERPE: Ich gleichfalls nicht. Weiß aber aus Erfahrung, 302 dass auch die Kleinen oft den Zweck nicht wissen 303 weswegen sie uns rufen. Manchmal sag ich, 304 vielleicht ist's nur aus langer Weil, vielleicht 305 aus schlechter Laune, am wahrscheinlichsten, 306 weil sie untröstlich einsam sind. Veränderlich, 307 selten voraussehbar, wie's Erdendasein 308 sind ihre Stimmungen. Für alle Mängel, 309 alle Schwächen, alles was nicht passt 310 beschuldigt jeder seinen Nächsten, notfalls 311 uns, die Götter, aber niemals sich. 312 313 ERATO: Ein Mensch wie jener der da sitzt ist einsam. 314 Sieht aus als wär ihm seine Frau gestorben. 315 Nun wartet er auf ihre Wiederkehr. 316 Wird lange warten, er wird sterben müssen. 317 Im Tode erst wird er sie wiederfinden. 318 319 EUTERPE: Du hast die Menschen übermäßig lieb. 320 Ich sehe sie als ungezog'ne Kinder 321 die nach Verbotenem zu haschen wagen. 322 Sie grapschen nach des Glückes welken Brüsten 323 ergebnislos, und ohne sich zu schämen. 324 Denn Glück ist unerbittlich, wie gepanzert. 325 Lüsterne Finger stoßen statt auf Wonne, 326 auf spröde Abwehr wie aus Stahl. Doch manchmal, 327 fast durch Zufall, siegt die Streichelei. 328 Dann, ratlos, weiß er nicht was anzufangen 329 mit seiner Beute, mit ersehntem Glück 330 das seine Finger nun betastet haben. 331 332 MELPOMENE: Der Alte sagt und sagt es immer wieder, 333 der Menschen Unglück wäre ihre Schuld. 334 Wir warnen sie vor Fehlern schon im Keimen. 335 Doch sie missachten wohlgemeinten Rat. 336 Sie hören nicht; sie wollen's besser wissen, 337 und schlimmer noch, sie wollen's selber machen, 338 statt's uns zu überlassen. Von Experten, 339 von Sachverständ'gen, wollen sie nichts wissen. 340 Wir Götter zeigen auf den rechten Weg 341 vergeblich, denn sie werden ihm nicht folgen. 342 343 EUTERPE: Den rechten Weg! und guten Rat! Von wegen! 344 Das Lumpgesindel sind die Götter selbst. 345 Im Lügen, im Betrügen, im Verraten, 346 da sind wir nicht zu übertreffen. Ach, 347 wir Götter sind mehr menschlich als wir wähnen. 348 (Sie hält inne, und überlegt.) 349 Die klüg'ren Menschen haben eingesehn, 350 wie unentrinnbar Schmerz und Leiden sind, 351 nicht weniger vermeidbar als der Tod. 352 353 ERATO: Das heiße ich in elegantem Stil, 354 die Not in eine Tugend zu verwandeln. 355 Ja, du hast recht, vielleicht, vielleicht auch nicht. 356 357 EUTERPE: Die Dümmeren der Menschen sagen auch, 358 sie wollten ewig leben. Manche werden 359 schließlich klug; sind dankbar dass sie sterben. 360 361 MELPOMENE: Du sprichst vom Sterben. 362 Die dummen Kleinen, ohne dass sie's ahnen, 363 üben den Tod allnächtlich schon im Schlaf. 364 Der Schlaf gibt ihnen Vorgeschmack vom Sterben. 365 (weist auf Möchtegern) 366 Sieh dort den Schlafenden, den Möchtegern, 367 der übt sich noch lebendig schon im Totsein. 368 Soll'n wir ihn wecken? 369 370 EUTERPE: Nein, lass ihn in Ruh; 371 lass ihm den Schlaf. Es geht ihm besser so. 372 Geweckt zu werden, wär kein Grund zum Dank. 373 374 ERATO: Was wenn er unter einem Albdruck litte? 375 376 EUTERPE: Ja, dann vielleicht wär's gut, das geb ich zu. 377 378 ERATO: Schon der Gedanke macht mir blöde Angst. 379 Vielleicht ist er schon tot. Ich will ihn wecken. 380 Ich will nicht dass er schon gestorben ist. 381 382 MELPOMENE: Sei nicht so albern. 383 Lass ihn schlafen. Sterben muss auch er. 384 Pfusche dem Alten nicht ins Amt. Das Auferwecken 385 ist nicht unsre Pflicht. 386 387 ERATO: Wie du befiehlst. 388 (wird zunehmend unruhig. 389 Dann, nach einer langen Pause, zu Möchtegern) 390 Wach auf, wach auf, du schläfst ja immer noch. 391 Der alte Küchentisch wo du da sitzt, 392 das ist kein angenehmer Schlafensort. 393 394 MÖCHTEGERN: (Rekelt sich, sitzt auf) 395 Es schläft sich hier sehr gut. Lass mich in Ruh. 396 (Nach langem Schweigen und indem er sich besinnt:) 397 398 Arie 399 Vor kurzem schlief ich ein und war allein. 400 Bin jetzt zum Traum erwacht. Ihr seid nur Schein. 401 Ich blick umher. Bin ich im Himmel? ja! 402 umarmt von einer und geküsst von dreien! 403 Ich wache auf, vielleicht war's zu viel Wein. 404 Ich wache auf, umringt schwebt Schönheit da. 405 Sonst fern, ihr Himmelstöchter seid ganz nah, 406 ersehnt im Wachen, dann im Traum gerufen. 407 Die Wirklichkeit hat viele, viele Stufen. 408 (Schläft wieder ein.) 409 410 EUTERPE: (indem sie die beiden Seiten eines Tellers sorgfältig trocknet) 411 Das ist wirklich ein starkes Stück, 412 dass man von uns erwartet Dienstmädchen zu spielen, 413 und für die erbärmlichen Sterblichen auch noch die Abwäsche zu machen. 414 415 ERATO: (die in der Lauge des scheinbar geleerten Waschbeckens 416 nachzüglerische Teelöffel und Gabeln fahndet) 417 Das ist, bei der Lotterwirtschaft auf dem Olymp 418 die in diesem Frühjahr herrscht, kaum verwunderlich. 419 Findest du nicht auch? (Nach einer Pause) 420 Nur gut dass das dumme Menschengeschlecht 421 vom Ausmaß des Betruges und der Schmiererei 422 bei unseren göttlichen Geschäften keine Ahnung hat, 423 sonst könntest du der Menschen Verehrung für uns 424 Aufwiedersehen sagen. 425 426 EUTERPE: Meines Erachtens hat diese Lotterwirtschaft 427 mit der Anstellung des neuen Stallknechts zu tun. 428 Das ist ein Lump wie ich noch sonst keinen gesehen habe. 429 Dessen Gemüt ist schmutziger bei weitem 430 als die Schweinekoben die er sauber macht. 431 Das aber kommt ihm nicht in den Sinn. 432 Er benimmt sich als ob er Herkules wäre. 433 434 ERATO: Melpomene und Du und ich sind eng mit Herkules verwandt. 435 Er ist unser Stiefbruder, unehelich wie's üblich ist in unsrer Sippe. 436 Vergiss das bitte nicht. 437 438 EUTERPE: Ich weiß es und verstehe. Was kommt's auf Ehe an? 439 Du, ich, und unsere sieben Schwestern sind auch nicht ehelich. 440 Vom Glashaus sollst du nicht mit Steinen schmeißen. 441 442 ERATO: Ich finde diese unehelichen Ausschreitungen unsers Vaters 443 sind zum Kotzen. Bist nicht auch du von ihnen angewidert? 444 445 MELPOMENE: Sch--- Sch--- Erato und Euterpe, nehmt Euch in Acht; 446 legt Euren Zungen Zügel an. 447 Ihr könnt nie wissen was dem am Küchentische da, 448 im Traume durch die Ohren dringt. 449 wie fest auch immer er zu schlafen scheint. 450 Wenn der berichtet was er überhört, 451 und wenn der Alte euer Denken über ihn erfährt, 452 dann gibts ein solches Donnern, Blitzen und Regnen, 453 dass die dummen Kleinen meinen, 454 das jüngste Gericht des Klimawandels 455 den sie so fürchten, wär über sie hereingebrochen. 456 457 MÖCHTEGERN: (indem er sein Gesicht aus den Handflächen löst 458 und den Oberkörper langsam aufrichtet) 459 Zu spät, ihr schöne Mädchen. Ich habe alles gehört. 460 Ich habe gute Ohren, ein erstklassiges Gedächtnis, 461 und ein hervorragendes Erfindungsvermögen. 462 463 ERATO: Aber Möchtegern, du wirst uns doch 464 keine Schwierigkeiten machen, 465 Wirst uns doch nicht verraten. 466 467 MÖCHTEGERN: Natürlich nicht, doch wie man sagt, 468 die eine Hand wird von der anderen gewaschen. 469 Ich tu es gern für euch, erwarte aber 470 Rücksicht von euch auf mich genommen, 471 anstatt als leere Luft behandelt werden. 472 473 MELPOMENE: Herr Möchtegern, ich bitte Sie 474 Gezwungenheit der Red' nicht zu verübeln. 475 Verpflichtet sind wir nun als Göttinnen einmal 476 wie Göttinnen uns zu betragen. Behördlich 477 ist's uns untersagt wie and're Mädchen 478 mit dem belieb'gen Mann der uns begegnet 479 horizontales Handwerk zu betreiben. 480 481 MÖCHTEGERN: Fräulein Melpomene, Sie überschätzen, 482 oder vielleicht, dass Sie mich unterschätzen, 483 doch die Erpessungsmöglichkeit die Sie, 484 vielleicht sogar mit Anflug von Begierde, 485 mir vorgeschlagen, kommt erst jetzt verspätet 486 mir in den Sinn, infolge ihres Vorschlags. 487 Auch in Betreff auf and're Unternehmen, 488 als ob ich in der Schule ausgebildet würde, 489 fühl ich mich heut, selbst noch im Alter, 490 ein Mensch der lernt, der sich verwandelt 491 und der sich verjüngt. Vorerst kommt's aber 492 auf die Dichtung an. Das, nicht die Liebe, 493 ist's weswegen ich um Hilfe bitte. 494 495 EUTERPE: (zu ihren Musenschwestern) Ich hab's Euch ja immer gesagt. 496 Die Benachteiligung der Frauen bei den Unsterblichen 497 ist maßlos, unerträglich, schlimmer noch, 498 wenn's möglich ist, als bei den Sterblichen. 499 500 ERATO: Ach Euterpe, kannst du denn nie und nimmer 501 von deinem Frauenfreiheitssteckenpferd 502 heruntersteigen? 503 504 EUTERPE: (zu Erato) Du betrachtest ja die Welt fast wie ein Menschenkind 505 in dessen Augen es uns weiblichen Göttinnen verboten ist 506 uns vorbei zu benehmen. 507 Aber den männlichen Göttern ist alles erlaubt. 508 Siehst Du denn nicht wie Zeus seine Gelüste befriedigt? 509 Erst ist's Semele, dann Io, dann Alkmene, 510 Schließlich vergiss nicht unsre Mutter, Mnemosyne, 511 auch außerehelich von ihm befruchtet mit dir und mir, 512 um unsere sieben Geschwister unerwähnt zu lassen. 513 Hesiod gemäß soll er sie neun Nächte lang, 514 die eine nach der anderen, belästigt haben. 515 516 MELPOMENE: Du tust dem Vater unrecht, Hesiod sagt, 517 dass sie zufrieden war, es mitzumachen. 518 Nicht alles was geschieht ist aufgezwungen. 519 520 EUTERPE: Gewiss kann Zeus sich alles erlauben, 521 aber wenn Hera einem wohlgestalteten Jüngling 522 auch nur einen einzigen schmachtenden Blick schenkt ... 523 Dann bestraft sie Zeus indem er ihr 524 den Küchentresengranitbelag entzieht, 525 auf den sie so stolz ist. 526 527 Am Schlimmsten scheint es mir und sehr bezeichnend 528 für die olympsche Frauenunterdrückung 529 dass es verboten ist uns in die Menschen 530 die wir durch Zufall kennen lernen 531 zu verlieben, wie's auf der Erde üblich ist, 532 ja uns mit ihnen zu verbinden, zu begatten, 533 Kinder zu zeugen und Familien zu gründen 534 wie's göttliche und menschliche Notwendigkeit bestimmt. 535 Wie er die Menschenmänner die ihm dienen 536 zu seinen Gunsten vorsätzlich entmannt, 537 so werden wir in seinem Umkreis 538 zu schattenlosen Frauen gebannt. 539 Uns weder Lust noch Liebe wird erlaubt. 540 Künstliche Frauen ohne Schatten 541 die ihre Herrn versteinern. 542 543 ERATO: 544 (nach einer Pause wendet sich zu Möchtegern) 545 Du sagst dir kommt's auf Dichtung, nicht auf Liebe an. 546 Das, und nicht Liebe wär's, worum du uns zu Hilfe riefst. 547 (Streng und entschlossen) 548 Mein guter Freund, in eigenster Person 549 bin ich für dich lebendiger Beweis, 550 dass Liebe von der Dichtung nicht zu trennen ist. 551 552 2.Teil 222222222222222 553 554 KRÖTENHEIM: (ist durch eine Seitentür eingetreten. 555 Weder Möchtegern noch eine der drei Musen 556 hat seinen Eintritt bemerkt.) 557 Entschuldigung, Sie alle bitte ich, 558 ich bitte vielmals um Entschuldigung 559 dies offenbar tiefschürfende Gespräch 560 gestört zu haben. 561 562 (sich an Möchtegern wendend) 563 Du, Möchtegern, mein guter, alter Freund, 564 bedarf sehr dringend deiner treuen Hilfe. 565 (Abgelenkt und verlegen) 566 Ich seh drei Frauen sind hier zu Besuch, 567 War ahnungslos von deinem Glück. So schön 568 als wären sie vom Himmel angekommen. 569 570 MELPOMENE: Woher wir sind, mag unerörtert bleiben. 571 Gekommen sind wir nicht der Schönheit wegen, 572 sondern zu helfen, ins besondre denen 573 die überwältigt sind, auch ihnen. 574 575 KRÖTENHEIM: So fleh ich sie um Hilfe an zugunsten 576 meiner armen Kröten, die Tag und Nacht 577 im Todesstreifen auf der Schnellfahrstraße 578 ermordet werden. 579 580 EUTERPE: (zu Melpomene) Ermordet werden, sagt 581 der Herr? Ich frage dich, Melpomene, 582 ist's möglich eine Kröte zu ermorden? 583 584 MELPOMENE: Eins nach dem anderen, der Reihe nach, 585 Euterpe. 586 (wendet sich zu Krötenheim) 587 Ich bitte sie um ihren Namen, 588 Anreden möcht ich Sie, wie sich's gebührt. 589 590 KRÖTENHEIM: Ulrich Hieronimus, so klingt mein Name. 591 Ich bin der Graf von Krötenheim. Sie alle 592 aber, bitte ich dass sie mich Uli nennen. 593 Denn Graf will ich nicht sein, und Uli ist 594 der Name den meine Feinde in Verachtung, 595 den meine Freunde anerkennend mir 596 entgegenrufen. Die von mir geliebten 597 Kröten aber nie, denn die sind stumm. 598 599 MELPOMENE: Und dieser Herr Möchtegern, der hier wohnt, 600 oder sollte ich sagen, der hier schläft, 601 wäre ihr Freund? 602 603 KRÖTENHEIM: Das stimmt, 604 Sie können es nicht oft genug betonen. 605 606 MELPOMENE: Entschuldigen Herr Graf, 607 Ich gebe meinen zwei Begleiterinnen 608 Gelegenheit, sich ihnen vorzustellen. 609 610 Trio: 611 612 (indem sich Melpomene zu Erato beugt), 613 MELPOMENE: Dies ist Erato. 614 615 ERATO: Ich bin Erato, liebevoll und lieblich. 616 Ich weiß Bescheid von Liebesdichtung, 617 von Lyrik, von Gesang und muntrem Tanz. 618 619 (indem sich Melpomene zu Euterpe beugt), 620 MELPOMENE: Und hier Euterpe. 621 622 EUTERPE: Ich bin Euterpe‚ die Erfreuende, 623 die jedermann ergötzt, Vertreterin 624 von Tonkunst, Lyrik und von Poesie. 625 626 MELPOMENE: Ich selber bin Melpomenē‚ die Sängerin 627 tragischer Dichtung und von Trauerliedern, 628 bin auch die Älteste von uns, und deshalb 629 verantwortlich für was wir tun und sagen, 630 und dass wir uns wie Göttinnen betragen. 631 632 TUTTI: Wir drei, mit unsren andren sechs Geschwistern, 633 sind schön und jung, am heut'gen Tag wie gestern, 634 wir überwachen treu die ew'ge Kunst, 635 wir schmäh'n vorübergehend heiße Brunst. 636 Von weit gepries'nem schneebedecktem Berge. 637 die Kleinen unter uns seh'n wir als Zwerge. 638 Verschmähen aber keineswegs hiernieden 639 im Tiefland unsere Dienste anzubieten, 640 mit Ehre nicht und nicht mit Geld belohnt, 641 der Schönheit willen, die bei Göttern wohnt 642 auch des Empfängers nicht, der Künste willen, 643 den Durst nach Gutem, Edlem woll'n wir stillen. 644 Die heil'ge Liebe ist's die in uns glüht, 645 die in der Schönheit Früchte trägt und blüht. 646 647 ERATO: Baron von Krötenheim, Entschuldigung, 648 statt dessen hätt' ich Uli sagen sollen, 649 was ist's denn, Uli, das dich so bedrückt, 650 weswegen du hierher gekommen bist? 651 652 KRÖTENHEIM: Ach, Fräulein, schönes Fräulein, hört ich recht? 653 Sie sind Erato? 654 655 ERATO: So ist's. Ich bin Erato. 656 Mein Vater, Zeus, die Mutter, Mnemosyne. 657 Im Stammbaum gibt's Familiennamen nicht. 658 659 KRÖTENHEIM: (zu Erato) Ich möchte ihnen sagen, wie schön Sie sind. 660 Ist es erlaubt? 661 662 ERATO: Zu spät es zu verbieten, 663 das Weitere jedoch bleib unter uns. 664 Wo's nicht gehört wird von Melpomene, 665 denn die ..... Doch womit kann ihnen dienen? 666 667 KRÖTENHEIM: Mein Nam' sagt alles. Er ist nicht umsonst. 668 669 ERATO: Sie müssen sich, wenn ich's verstehen soll, 670 ausführlicher erklären. 671 672 KRÖTENHEIM: Mein Name nennt den Wohnort, mein Zuhause. 673 Das Bauerngut, seit ungezählten Jahren 674 heißt's Krötenheim, und dort ist unsre Wohnung. 675 Gehören tut es aber nicht nur mir. 676 Gehören tut es auch den stummen Kröten, 677 so gut wie, ja, wenn nicht noch mehr als mir, 678 und andren menschlichen Familiengliedern. 679 Die Kröten teilen dieses Gut mit uns; 680 wir teilen uns in ihm mit ihnen, 681 und haben gegenseitig uns gewöhnt. 682 Vielleicht zu sehr, die Zahl der Kröten steigt, 683 sie fühlen sich bedrängt und wollen wandern. 684 Wohin? Wer weiß ob sie es selber wissen. 685 Scheinbar bergab, wie's Wasser fließt, ins Tal, 686 wie's jahrelang ereignislos gelungen. 687 Bis man die breite Straße angelegt, 688 die sie von dem ersehnten Ziele trennt, 689 Sie ist den Tier'n zum Todesstrich geworden. 690 Nun hat der kurze Weg ins bess're Land 691 Unzählige in ihren Tod geführt. 692 Sie tun uns leid, die armen stummen Tiere. 693 Ich wollte sagen blöd, zu arrogant 694 wenn ich die eigne Blödigkeit bedenke. 695 So traurig, so entsetzlich, so bedrückend, 696 dass denen die sich Krötenfreunde nannten 697 Rettungsversuche unabkömmlich schienen. 698 699 Wir haben folgendes Program entworfen. 700 Am Straßenrande einen Zaun gezogen 701 um Kröten ihren Weg auf die Gefahren- 702 straße zu verbauen, Unmittelbar 703 davor auf unsrer Seite sind Gruben angelegt 704 mit eingelass'nen Eimern, dass die Kröten 705 die bei Nacht den Weg nach Süden suchen, 706 statt überfahren werden in die Eimer 707 stürzen und sich retten. So wird der Grubenfall 708 zu ihrem Heil. Dort werden sie am Morgen 709 von uns Rettern, von Mitarbeitern und 710 von mir, gefunden, aufgelesen und 711 in Sicherheit der Eimer zur andren Seite 712 der Gefahr gebracht. So wurden schließlich 713 im Verlauf vergangner Jahre unzähl'ge Kröten 714 von dem erbärmlichen Zerquetschungstod 715 gerettet. 716 717 EUTERPE: Und jetzt nicht mehr? 718 719 KRÖTENHEIM: Wir dürfen 720 es nicht mehr. Es ist uns untersagt. 721 (fängt an zu weinen) 722 Die armen Tiere, Ach, die armen Tiere. 723 724 EUTERPE: Wieso denn das? Von wem denn untersagt? 725 726 KRÖTENHEIM: Das ist die lange traurige Geschichte, 727 schmählicher Rahmen zu dem Krötentod, 728 der jetzt fast wie ein Krötenmord erscheint. 729 Die armen Tiere. Ach, die armen Tiere. 730 731 Krötenlied 732 733 Chor der Krötenseelen 734 (Melodie, Wohlauf Kameraden, Wallensteins Lager) 735 736 (allegro) 737 Ihr wandelt droben in hellem Licht 738 wir kriechen auf nasser Erden. 739 Vorsicht, Vorsicht zerquetschet uns nicht 740 zerquetscht wir zum Ärgernis werden 741 |:Im wäss'rigen schlammigen Totenreich 742 Sind Kröten und Menschen einander gleich:| 743 744 (andante) 745 Wir sind unschuldige Kröten nur 746 verstehen nichts als zu schwimmen 747 drum tötet uns nicht auf grüner Flur 748 Wir quaken mit quakenden Stimmen, 749 |:Im wäss'rigen schlammigen Totenreich 750 Sind Kröten und Menschen einander gleich:| 751 752 (allegro) 753 Wir haben nicht Schönheit, uns fehlt der Geist 754 Doch Seelen sind uns gegeben 755 Hoch über den Wolken erwartet uns einst 756 Das ewige Krötenleben. 757 |:Im wäss'rigen schlammigen Totenreich 758 Sind Kröten und Menschen einander gleich:| 759 760 (Krötenheims Tränen haben sich zu lautem Schluchzen entwickelt) 761 (scherzo) 762 Die Königstocher am Brunnenrand 763 Sie spielt mit dem goldenen Balle. 764 Die Kröte den Ball in dem Brunnen fand 765 Der Brunnen, fast ward ihr zur Falle. 766 |:Im wäss'rigen schlammigen Totenreich 767 Sind Kröten und Menschen einander gleich:| 768 769 (andante) 770 Du Königstochter verstehst wie es kam. 771 Bist nicht in dem Brunnen ersoffen. 772 Du hast den abscheulichen Bräutigam 773 Im Bett dir zuwider getroffen. 774 |:Im wäss'rigen schlammigen Totenreich 775 Sind Kröten und Menschen einander gleich:| 776 777 (maestoso) 778 Ihr Kröten und Menschen habt guten Mut. 779 Statt Kröte ein Prinz auf dem Kissen. 780 Am Ende geht's auch der Kröte gut, 781 Hart an die Wand geschmissen. 782 |:Veredelt des Königes Tochter das Tier 783 Inmitten der Nacht um viertel vor Vier :| 784 785 Ihr wandelt droben in hellem Licht, 786 Wir kriechen auf nasser Erden. 787 Vorsicht, Vorsicht zerquetschet uns nicht, 788 zerquetscht wir zum Ärgernis werden. 789 |:Im wäss'rigen schlammigen Totenreich 790 Sind Kröten und Menschen einander gleich:| 791 792 EUTERPE: (umarmt Krötenheim der im Verlauf des Chors 793 zu schluchzen begonnen hatte. Sie küsst ihm die Tränen ab.) 794 Du guter Krötenheim, du tust mir leid, 795 ganz scheußlich leid, tust du mir. 796 797 MELPOMENE: (zu Krötenheim) Nur keine Sorgen, Uli; 798 Euterpe hat ein gutes, weiches Herz 799 das Menschenunglück nicht ertragen kann. 800 Ob nun ihr Mitleid sich auf dich beschränkt, 801 oder sich auf die Kröten auch erstreckt, 802 bleibt unbestimmt. Ihr ist's unmöglich einem 803 Liebesantrag zu widerstehn. 804 805 EUTERPE: (zu Krötenheim, indem sie ihm in die Augen blickt) 806 Von dir. 807 Der Richtige, wenns einen gibt für mich, 808 der wird auf einmal da stehn, und wird mich anschaun 809 und ich ihn, und keine Winkelzüge 810 werden sein, und keine Zweifel. 811 (dann, nach einer Pause, wie in Gedanken verloren) 812 Hab ich 813 Sie recht gehört? Sie sagten Krötenmord? 814 Wer ist, wer sind die Mörder? 815 816 KRÖTENHEIM: Das sind die jungen 817 Autofahrer, auch ältere sind mit dabei, 818 den Tiere zu zerquetschen, die kleinen Tiere 819 zu zerquetschen, auf jämmerlichste Weise 820 zu töten, zum Sport, zum Spaß geworden ist. 821 So grausig, unbarmherzig, dass mich schaudert, 822 dass ich mich schämen muss, auch nur davon 823 Bericht zu geben. 824 825 EUTERPE: Ich sollte meinen, 826 dass wenn schließlich Sie und ihre Mitarbeiter 827 die die Kröten lieben, die kleinen Tiere 828 auf der andren Seite frei gelassen, 829 was ihnen meistens offenbar gelingt, 830 ohne, es ist zu hoffen und zu beten, 831 sie selber nicht als Straßenopfer fielen, 832 wär' damit nicht das Tagewerk getan? 833 834 KRÖTENHEIM: Nein, leider ist's 835 nicht mehr der Fall. Der andre Straßenrand 836 wo einst die Kröten ihre Ruhe fanden 837 war jahrelang für Tiere Schutzgebiet. 838 839 ERATO: Und ist's nicht mehr? 840 841 KRÖTENHEIM: Nein, leider nicht. 842 843 EUTERPE: Merkwürdig, Uli, findest du nicht auch? 844 Dergleichen Schutzgebiete, meinte ich, 845 bestünden auf unabsehbare Zeit. 846 847 KRÖTENHEIM: So war's auch vorgesehen. Doch wissen Sie, 848 ist es erlaubt dass ich Dich duze? weißt Du, 849 Euterpe, bei uns ist's eine Redewendung, 850 Der Mensch, der denkt, Gott aber ist's der lenkt. 851 852 EUTERPE: Bei uns heißt es: 853 Die Menschen denken, die Götter aber lenken. 854 Es geht wohl auf dasselbe hinaus. 855 856 KRÖTENHEIM: Ein stolzer, reicher und gerissener Mensch 857 das Gegenüber hat gekauft. Ich denk' 858 ein bissel Schmiergeld hat dabei geholfen. 859 Nicht Tiere nur, Beamten müssen leben. 860 Das Schmieren Gang und Gebe ist bei uns. 861 862 EUTERPE: Bei uns geht es genauso. 863 864 KRÖTENHEIM: Doch weiter noch bei uns. 865 Der Nachbar jenseits, der hat sich beschwert. 866 Noch mehr als das. Er hat uns angezeigt. 867 868 EUTERPE: Warum? Was sollt ihr denn verbrochen haben? 869 870 KRÖTENHEIM: Das Fangen wilder Tiere ist verboten. 871 872 EUTERPE: Das Gegenteil doch ist es, was Sie tun. 873 Das Leben retten Sie den wilden Tieren. 874 Setzen sie dann so bald als möglich frei, 875 um dann woimmerhin sie woll'n zu krabbeln. 876 877 KRÖTENHEIM: Das ist was das Gesetz angeht belanglos. 878 Das Kröten-Überfahren ist ja nicht verboten. 879 auch nicht sie anders töten oder quälen. 880 881 MÖCHTEGERN: Was heißt Gesetz? Mag immer nur als Vorwand 882 dienen, die Folge ist politisch, Macht. 883 Gesellschaftliche Kräfte sind im Spiel. 884 Des Richters Urteil spiegelt nie den Wortlaut 885 vom Gesetz, nichts als der Kontrahenten 886 unterschiedliche Beliebtheit. 887 888 KRÖTENHEIM: So ist die Welt. 889 Aus weitrer Perspektiv' scheint Krötenschicksal 890 ein Spiegelbild von unser aller Dasein, 891 Versuche sie zu retten sind zeichenhaft 892 für unsere Ohnmacht. Sind wir beide, 893 Lump und ich, aus nährer Perspektive 894 nicht Spiegelbilder von einander? 895 Es wär mir peinlich mich ihm gegenüber, 896 aufzuspielen. Ich meine dem Herrn Lump. 897 Das will ich unter keinen Umständen. 898 Tatsache aber ist, dass der Herr Lump und ich, 899 verschieden von einander sind. 900 In nicht nur einer Beziehung, sondern in vielen, 901 ich möchte behaupten, in fast allen Beziehungen. 902 903 EUTERPE: Das scheint mir, Uli, ein sehr wichtiger Punkt 904 den wir erläutern sollten. Umso verschiedener 905 wir Göttinnen von Menschen sind, so wertvoller 906 es ist, wenn wir zusammen kommen. 907 908 MÖCHTEGERN: Die große Dialektik von Gleichsein 909 und Verschiedensein weist auf die Sprache 910 die zwischen uns vermittelt. Ich schlage vor 911 dass wir im freundlichen Vernunftgesprächen 912 uns auseinandersetzen mit Herrn Lump, 913 bar jedem Vorgriff was wir lernen möchten, 914 und zu wem wir uns verwandeln ließen. 915 916 MELPOMENE: Der Rat den Moritz uns gegeben hat 917 hat meine Billigung. Ich fänd' es gut 918 eh wir noch weitere Beteiligte 919 in unsere Unterhaltung einbeziehen, 920 wir über die Begründung unsres Denkens 921 ins Klare kommen, und dass die Vorstellungen 922 auf die wir unser Denken gründen 923 unmissverständlich werden. Ich vermute, 924 ein Grauen vor dem Tod der kleinen Tiere 925 liegt unseren Betrachtungen zugrunde. 926 Ein jeder fürchtet sich vorm eignen Tod. 927 Das ist verständlich, scheint natürlich. 928 Es ließe sich behaupten, dass diese Furcht 929 die Vorbedingung für das Überleben 930 im Kampf ums Dasein wäre, der Tauglichsten, 931 der Tüchtigsten, so woll'n's die Darwinisten. 932 In diesem Fall wär am Geeignetsten 933 zum Überleben, der den gehör'ges Maß 934 von Todesangst beseelt. So alle Tiere, 935 alle Menschen wollen ewig leben, 936 obgleich sie eines nicht mehr fernen Tages 937 sterben werden. 938 Für viele Tiere ist der Tod "natürlich" 939 von anderen Tieren ihnen zugefügt, 940 oftmals als Nahrung. Bekanntlich gab es - 941 oder gibt's auch Menschen die in solcher Weise 942 von einander sich ernährend leben. 943 944 MÖCHTEGERN: In diesem Sinne frage ich Euch alle, 945 ist's unbedingt, dass Leben wünschenswert? 946 ist Leben unbedingt das einzig große Glück? 947 Wäre vielleicht für diese kleinen Tiere 948 der richtige, der zeitgemäße Tod 949 ein größ'res Glück als fortgeführtes Leben? 950 Ich weiß auf diese Frage keine Antwort. 951 Wär' Todes Schmerzenlosigkeit entscheidend,` 952 dann jedenfalls ist's mir nicht augenscheinlich 953 ob nicht die unerwartete Zerquetschung 954 von einem schwerbelad'nen Autoreifen 955 der Art des Sterbens zuzurechnen wäre 956 die subjektiv doch die gelindste wäre, 957 wie grausam auch die Objektivität. 958 Wer möcht es sagen? Jedenfalls nicht ich. 959 960 ERATO: Mein Moritz, dieses Allerschwierigste 961 ertönt so klar und hell aus deinem Munde! 962 Vielleicht sollt's heißen, tönt aus deinem Geist. 963 Um diese Klarheit würd' ich dich beneiden, 964 wär' Neid am Menschlichen uns Göttinnen 965 nicht untersagt. 966 967 MÖCHTEGERN: Mir stellt sich dabei eine zweite Frage: 968 Was ist der Kröten rechte Lebensdauer? 969 Ist's denkbar, dass das Überfahren werden 970 für jüngere Kröten eine Katastrophe, 971 für ältere aber eine Wohltat wäre? 972 Gibt's eine optimale Art zu sterben? 973 Wie sollt' ich sie bei diesen kleinen Tieren, 974 bei anderen Lebenwesen, und vor allem, 975 wie sollte ich das zeitgemäße Sterben 976 was mich den Einzelnen betrifft, erkennen? 977 Es gibt ein objektives Bild vom Leben 978 und vom Sterben, und ein subjektives. 979 Uns aufgegeben ist die beiden Bilder 980 mit einander übereinzustimmen. 981 Wie das zu machen wäre, weiß ich nicht. 982 983 KRÖTENHEIM: Ich heiß es gut, 984 dass du nach diesen düstren Dingen fragst. 985 Mit solchen Sorgen bin ich wohl vertraut. 986 Hab oft mit ihnen und mit ihresgleichen 987 die Nacht verbracht, und habe doch die Antwort 988 nicht gefunden. 989 990 MÖCHTEGERN: Dabei ist's unverkennbar, 991 dass nicht nur Kröten, auch die Krötenretter, 992 Gefahr eingehn beim Straßen Überqueren. 993 Denn ewig droht und lauert, lockt und tröstet 994 das Sterben, verheißt den Frieden und das Nichts. 995 Dies schwierige Problem, Freund Krötenheim, 996 es scheint mir allgemein und ohne Lösung. 997 so viel ich weiß, bisher kaum festgestellt. 998 999 EUTERPE: Die Krötenrettung, wenn ich's recht verstehe, 1000 gibt keine Antwort auf die allgemeine Frage. 1001 Sie ist vielmehr ein dürftiger Verband 1002 der die Entsetzlichkeit des Tods verdeckt, 1003 wenngleich vorübergehend nur. 1004 1005 MÖCHTEGERN: Den Vorschlag einer Konferenz, 1006 zur Auseinandersetzung mit den Nachbarn 1007 auf der entlegenen Straßenseite 1008 heiß' ich, fast mit Begeisterung, gut. 1009 Vielleicht führt vorgesehene Besprechung 1010 zur Einigung. Die wär mir sehr willkommen. 1011 Ich halt' es aber auch für möglich 1012 dass diese vorgesehene Besprechung 1013 noch tiefere Verschiedenheiten 1014 offenbaren wird. Bedauernswert, 1015 wenngleich nur in beschränktem Sinne. 1016 Denn wesentlicher als die Einigung 1017 ist's die gesellschaftliche Lage 1018 worin wir uns jeweils befinden 1019 klar und deutlich anzuschauen. 1020 Ich biet' mich an, den Vorschlag an unsern Nachbarn 1021 der gegenüber wohnt und anders denkt 1022 selbst, eigens zu bestellen. 1023 1024 ERATO: Ich dank' dir, Möchtegern, Dein Angebot, 1025 großzügig ist's und wohlgemeint. 1026 Jedoch, in diesem Fall, so scheint es mir, 1027 ist der Erfolg des Antrags mehr wahrscheinlich 1028 wenn eine meiner Schwestern oder ich 1029 ihn selbst bestellen, denn wir sind unbekannt. 1030 Man wird uns ohne Befangenheit begegnen, 1031 und schöne Frauen sind auch den Härtesten willkommen. 1032 1033 MELPOMENE: Du hast, Erato, deinen Dienst gemeldet, 1034 und du sollst unsre Botin sein, denn 1035 von uns dreien, bist du die lieblichste. 1036 1037 ERATO: Wie du befiehlst. 1038 1039 MELPOMENE: Also ist's abgemacht, es ist entschieden, 1040 dass wir versuchen werden das Morden der Kröten, 1041 nein, nicht das Morden sondern das vielleicht 1042 vermeidbare tödliche Verunglücken der bedauerlichen Tiere 1043 wenn nicht völlig zu unterbinden, dennoch wesentlich zu vermindern. 1044 Und dies zu tun indem wir mit Herrn Lump 1045 und vielleicht auch mit beteiligten Familiengliedern 1046 in Verbindung treten, und mittels Auseinandersetzungen 1047 zu einem Einverständnis kommen. 1048 Vermutlich möchte eine solche Besprechung 1049 im Krötenheim stattfinden oder in der Villa der Lumps, 1050 oder im äußersten Falle hier in diesem Hause. 1051 Der erste Schritt sollte ich meinen wäre uns 1052 mit Herrn Lump in Verbindung zu setzen. 1053 1054 MÖCHTEGERN: Krötenheim, mein Freund, 1055 und ihr meine drei neuen Freundinnen, 1056 ich habe Euren Ausführungen und Erklärungen sorgfältig zugehört, 1057 habe sie überdacht, bin zu einem Beschluss gekommen. 1058 Nein, Anweisungen weiß ich nicht zu geben, 1059 nicht einmal Rat, auch keinen Vorschlag. 1060 Die Gedanken haben ihr eigenes Leben; 1061 sie führen ihre eigene Existenz; 1062 sie wirken an und für sich. 1063 Sie wirken dadurch dass sie bestehen. 1064 Wir sind von Natur aus verschiedene Menschen. 1065 Wir begegnen uns, und dann verstehen wir uns 1066 oder wir missverstehen einander. 1067 Wir müssen uns in unseren Verschiedenheiten auseinandersetzen. 1068 Die Auseinandersetzung wird uns zusammenbringen, wird uns vereinen. 1069 Denn durch das Zusammensein, 1070 besonders aber durch das Zusammenwirken, 1071 werden wir einander gleich. 1072 Deshalb schlage ich vor, 1073 eine Zusammenkunft zwischen dir, Krötenheim, 1074 und deinem Gegner und Gegenüber, Lump. 1075 So schafften wir euch beiden 1076 die Gelegenheit euch auszusprechen. 1077 Ihr mögt's mir glauben oder nicht, 1078 ich aber bin überzeugt 1079 dass die Aussprache unumgänglich 1080 das Einverständnis bewirkt, 1081 besonders wenn uns unsere schönen göttlichen 1082 Beraterinnen zur Seite stehen. 1083 1084 KRÖTENHEIM: Möchtegern, halt ein. 1085 Dein Vorschlag scheint's, verwirklicht sich von selbst. 1086 Denn wenn ich mich nicht irre, seh ich durchs Fenster, 1087 Herr Lump zu uns schon auf dem Wege ist. 1088 Bemühungen ihm zu begegnen werden 1089 nicht nötig sein. Ich hör' ihn an der Tür. 1090 1091 3. Teil 333333333333333 1092 1093 MAGA LUMP: (kommt ins Zimmer unangemeldet und ohne zu klopfen, blickt 1094 umher. Er ist verdattert durch die unerwartete Anwesenheit der drei 1095 anmutigen jungen Frauen. Seine Blicke streifen ziellos durchs Zimmer.) 1096 Kann sein ich bin am falschen Ort. 1097 Ich suchte den Baron von Krötenheim. 1098 1099 KRÖTENHEIM: Der bin ich. 1100 1101 LUMP: Und doch scheint's mir, ich bin am falschen Ort. 1102 Sind Sie nicht Junggeselle, Hagestolz? 1103 Was sollen diese schönen Mädchen hier? 1104 1105 MÖCHTEGERN: Ob falsch, ob richtig, 1106 das bedingt die Perspektive. 1107 Um's klar zu stellen, Sie befinden sich 1108 in meinem Haus, und ich bin Moritz Möchtegern. 1109 Zufällig ist mein guter, großer Freund 1110 Baron von Krötenheim bei mir zu Gast. 1111 Ob er sich ihnen zur Verfügung stellt, 1112 das soll ihm selber überlassen bleiben. 1113 Was ihn zu diesen Frauen zieht, 1114 ist seine Sache, nicht die ihre. 1115 1116 LUMP: Ich suchte Krötenheim in seiner Villa. 1117 Man sagt mir dort, der sei bei Möchtegern. 1118 Nun bin ich hier und find' die Schönheit selbst. 1119 Der Anblick überirdisch schöner Mädchen 1120 macht mich sprachlos. 1121 1122 MELPOMENE: Sie mögen ruhig sein, geehrter Herr. 1123 Wir stellen keine Ansprüche an Sie. 1124 Sind hier um uns Baron von Krötenheim 1125 und seinem Freunde Moritz Möchtegern 1126 behilflich zu erweisen. Der Herr Baron 1127 hat uns von Missverständnissen berichtet, 1128 die zwischen ihnen, hochgeehrter Herr, 1129 und dem Baron entstanden sind. Es wär' 1130 die Krötenwanderung die sie entzweit. 1131 Die Sorgen des Barons sind uns bekannt. 1132 Den Krötenstreit der sich entsponnen hat 1133 entschlossen sind wir fest, dass wir ihn schlichten. 1134 Nun woll'n wir ihre Argumente hören. 1135 1136 LUMP: Ihr Anblick bringt mich gänzlich aus der Fassung. 1137 Wenn ich Sie anschau, lähmt sich die Beschwerde. 1138 Hab fast den Grund vergessen des ich kam. 1139 Nun mach ich den entschlossenen Versuch 1140 die fast verschollnen Sorgen aufzuspüren; 1141 wenn ich versage, gebe ich die Schuld 1142 der holden Schönheit die von Ihnen strahlt. 1143 1144 MELPOMENE: Mein Herr, ihr Einwand ist kaum unerhört. 1145 1146 LUMP: Die Liebe zu den Kröten ist mir gräulich. 1147 Ich find die Tiere so unsagbar hässlich. 1148 1149 KRÖTENHEIM: Was diesen Punkt betrifft ist's mir unmöglich, 1150 mit ihnen übereinzustimmen. 1151 Strahlt denn nicht jedes Wesen, auch die Kröte, 1152 mit eigner gottgegebner Schönheit. 1153 Ist ihnen jemals eingefallen, Nachbar Lump, 1154 dass in der Kröten Sicht, auch Sie vielleicht 1155 nicht unbedingt adonishaft erscheinen? 1156 1157 LUMP: Das glauben Sie doch selbst nicht, Krötenheim. 1158 Sie sagen's mit der Absicht mich lächerlich zu machen, 1159 und dabei werden Sie's der lächerlich erscheint. 1160 So schön ist sie, die Himmelsboten, die mich begrüßen, 1161 und die aus Gründen die mir unerklärlich sind 1162 in diesen Maulwurfstunnel sich verirrt; 1163 Und sie erdreisten sich den heil'gen Glanz 1164 mit Hässlichkeit der Kröten zu vergleichen. 1165 Die Mädchen strahlen eine Himmelsschönheit 1166 die sie und ihre Kröten zu blind sind zu erkennen. 1167 Ach, Sie übersehen ein großes Glück 1168 in dessen Glorie und Glanz die hässliche, 1169 unwürd'ge Krötenbrut als nichts erscheint. 1170 1171 KRÖTENHEIM: Die Kröten hab ich lieb; 1172 so teuer mir wie meine eigenen Kinder, 1173 Sie zu verschmähen lasse ich nicht gelten. 1174 1175 LUMP: Famiienbeziehungen zu Kröten 1176 die mögen ihnen überlassen bleiben. 1177 Ich hab Sie aufgesucht um zu erklären: 1178 Den Krötenfimmelunsinn lehn ich ab. 1179 Hat nicht zu tun mit mir und meinem Wesen. 1180 Ich warne Sie und Ihre Helfer: Fangen 1181 von wilden Tier'n ist durchs Gesetz verboten. 1182 Und wenn sie fortfahren diesen Unrat mir 1183 aufs Land zu schütten, werd ich sie verklagen. 1184 werd ich verlangen dass man sie bestraft. 1185 1186 ERATO: Herr Lump, die Tierchen werden eingefangen, 1187 nur um ihr zartes Leben zu erretten 1188 um zu verhüten dass man sie zerquetscht. 1189 1190 LUMP: Die Kröten zu zerquetschen ist erlaubt. 1191 Dagegen hat's Gesetz nichts einzuwenden. 1192 Im Gegenteil, je mehr, je besser ist's. 1193 Zum öffentlichen Wohl würd' beigetragen. 1194 Verpestet wird mein Land mit Krötenkeimen, 1195 und sie zu töten ist Gesundheitspflicht. 1196 Bin im Begriffe einen dichten Zaun 1197 am Straßenrande aufzuziehn. Der wird 1198 nicht nur die Kröten, auch ihre Retter 1199 mir vom Lande halten, und auf der Straße 1200 so wie sie's verdienen, krepieren lassen. 1201 1202 KRÖTENHEIM: Die Absicht vom Vergleich betreffs der Kröten 1203 scheint versagt zu haben. 1204 1205 MELPOMENE: Keineswegs, 1206 Ich, Herr Baron, schließe das Gegenteil. 1207 Herr Lump, mir scheint, ist ein verständ'ger Herr, 1208 mit dem ich Auseinandersetzung die 1209 erfolgreich und zufriedenstellend wäre 1210 durchaus mir vorzustell'n vermag. Wir sollten 1211 fortfahr'n uns mit ihm zu unterhalten. 1212 Mich dünkt je eher desto besser wär's, 1213 damit der Schwung des Fühlens, der Gedanken 1214 nicht erschlafft. 1215 1216 EUTERPE: Da weiß ich wirklich nicht, 1217 Melpomene, wovon du sprichst. 1218 1219 MELPOMENE: (an Euterpe) Das wirst du einsehn, 1220 liebes Kind, hab nur Geduld. 1221 1222 LUMP: Fräulein Melpomene, Ich bin entzückt 1223 mir vorzustellen, dass Sie und ihre beiden 1224 gleichfalls schönen Schwestern mich besuchten. 1225 Vielleicht sogar noch heute Nachmittag. 1226 Es wäre möglich? 1227 1228 MELPOMENE: Ich wüsste keinen Gegengrund. 1229 Euterpe und Erato, seid ihr bereit? 1230 1231 ERATO: Selbstverständlich, Was immer dazu dienen 1232 möchte den Zwist zu schlichten ist mir recht. 1233 Vorausgesetzt, was sich von selbst versteht, 1234 der Herr Baron und Moritz Möchtegern, 1235 sie beide kommen mit. 1236 1237 LUMP: Dass diese Männer 1238 sie begleiten wäre überflüssig. 1239 1240 ERATO: Im Gegenteil, mir scheint es unabdingbar. 1241 1242 MELPOMENE: Wir kommen alle Fünf. Wenn nicht zusammen, 1243 dann kommt keiner. 1244 1245 LUMP: Wie wunderbar entschlossen, 1246 Fräulein Melpomene. Der zähe Willen 1247 eines starken Mädchens macht unsereinem 1248 den Sieg umso mehr köstlich. 1249 1250 MELPOMENE: Sie reden Unsinn 1251 wozu ich nichts zu sagen hab. 1252 1253 LUMP: Worte 1254 sind überflüssig. Auf Handlung kommt es an. 1255 Jetzt aber will ich mich entschuldigen. 1256 In kurzer Zeit, in einer halben Stund, 1257 erwart ich Sie gewiss, drei schöne Mädchen 1258 bei mir zuhaus, jenseits der Autobahn. 1259 Die beiden Männer mögen, wenn's notwendig, 1260 Sie begleiten. Doch bitte keine Kröten. (Er geht.) 1261 1262 ERATO: Ganz anders als ich ihn mir vorgestellt. 1263 Merkwürd'ger Mensch. 1264 1265 EUTERPE: Ein rechter Schürzenjäger. 1266 Nichts weiter. Ein wenig anders als die meisten. 1267 Nicht unbedingt zu seinen Gunsten. Im Grunde 1268 wollen alle ihrer Art das gleiche. 1269 1270 444444444444444 1271 1272 4.Teil 1273 1274 Lumps Villa ein geräumiger Saal, inmitten ein Tisch, 1275 zahlreiche Sofas, Chaiseslongue, Ruhebänke 1276 1277 LUMP: Wie wunderbar! Sie, oder darf ich sagen Ihr 1278 drei schöne Mädchen, mir zu Besuch gekommen. 1279 Warum ihr hier seid brauch ich nicht zu fragen, 1280 habt meinen Wunschgedanken angenommen. 1281 Ich hatte es erhofft, doch nicht erwartet. 1282 Begleitet von zwei Männern, das ist schade. 1283 Doch keiner einz'gen Kröte, wie grandios! 1284 1285 MELPOMENE: Gekommen sind wir in der Zuversicht 1286 die heikle Krötenangelegenheit 1287 die unsern Freund den Herrn Baron betrübt, 1288 mit freundschaftlicher Hilfe zu entwirren. 1289 Sind überzeugt, dass es gelingen wird, 1290 zu friedlichem Verständnis zu gelangen. 1291 1292 LUMP: Was für ein Unsinn, meine Melpomene. 1293 Die Krötensache ist nur leere Finte, 1294 Gelegenheit zu schaffen schöne Frauen 1295 wie sie es sind, zu finden und zu küren, 1296 umwerben und wenn möglich zu verführen. 1297 Was Kröten anlangt ist kein Einverständnis 1298 nötig. Ich hab ganz anderes im Sinn. 1299 1300 MELPOMENE: Das wäre? 1301 1302 LUMP: Ich bin ein Sammler, suche Kostbarkeiten. 1303 Manch einer sammelt Marken, oder Münzen 1304 Bücher, Gemälde, Kröten, was weiß ich 1305 ich aber bin der Sammler andrer Dinge. 1306 1307 MELPOMENE: Das wären? 1308 1309 LUMP: Schöne junge Frauen, deren Besitz, 1310 deren Gebrauch bewirkt den täglichen 1311 Genuss des Lebens. Jeder Augenblick 1312 bedarf nichts weiter als die Gegenwart 1313 von holden Mädchen. Hier sind ihrer drei. 1314 Nicht besser könnte mich der Himmel segnen. 1315 Doch ich bin in Gefahr sie zu verleiten 1316 ein falsches Bild von mir sich vorzustellen. 1317 Mein Leben ist nicht sinnlich, es ist geistig. 1318 Die Zeit vergeht mit Lesen und Bedenken. 1319 Und unablässig schlag ich eine Seite 1320 nach der anderen um, bis eines Tages, 1321 beim Wenden des gedruckten Blattes 1322 erstaunlich, wenn nicht sogar schrecklich 1323 ein Neues, Unerwartetes erscheint. 1324 In diesem Falle ist's ein neues Ich, 1325 ein neuer Geist und eine neue Seele, 1326 das alles hat mir, wag ich es zu sagen, 1327 Melpomene, die schönste, allerliebste 1328 der Frauen die ich je gespürt, geschenkt. 1329 Durch Sie, durch dich hab endlich ich entdeckt 1330 den Menschen der ich wirklich bin. 1331 Was Größeres hätte ich empfangen können? 1332 Wie könnt ich jemals dir genügend danken? 1333 So etwas haben sie noch nie erlebt. 1334 Es ließe sich vielleicht in Büchern lesen. 1335 1336 MÖCHTEGERN: Wen meinen Sie? 1337 1338 LUMP: Wen ich meine? Sie alle, alle fünf, 1339 nur eben keine Kröten, oder wollten 1340 sie mir sagen, dass Kröten Bücher lesen. 1341 1342 MELPOMENE: Der Vorschlag dass, die Frage ob, 1343 die Kröten Bücher lesen, lieber Lump, 1344 das stammt von ihnen, nicht von uns. 1345 1346 LUMP: Wir sind vom Thema abgekommen. 1347 Worum's sich handelt ist, dass wenn die Seite 1348 umgeschlagen wird, nicht stets dasselbe 1349 manchmal Verschiedenes zu Tage kommt. 1350 Ein neues Blatt wird aufgeschlagen, sagt man, 1351 sei es in einem Buch, sei es im Leben. 1352 Was nun mich selber angeht, ist das Buch 1353 in dem ich unablässig blättere 1354 ein völlig anderes, wenn ich darin 1355 von schönen Frauen statt von Kröten lese, 1356 besonders deren Bilder sehe. 1357 1358 MELPOMENE: Was soll das heißen? 1359 1360 LUMP: Was das soll heißen, himmelsschönes Kind, 1361 ist dass im Lesen des erstaunenswerten, 1362 des Buches das ich bin, du eine neue 1363 Seite um und aufgeschlagen hast, 1364 auf der du heute etwas andres liest 1365 als gestern. 1366 1367 MELPOMENE: Da müssten Sie erklären was das heißen, 1368 was da auf dieser nächsten Seite steht. 1369 1370 LUMP: Was all das heißen soll, mein gutes Kind, 1371 ist dass vorerst, hinfort und zwischen uns, 1372 nicht Sie der ausgesuchte Anspruch ist. 1373 Nicht Sie, nur du und du und nichts als du. 1374 Ihr holde Frauen, himmelsschöne Mädchen 1375 (sich zu den Männern wendend) 1376 Mit Krötenfreunden hat dies nichts zu tun. 1377 Es handelt nämlich nicht um schöne Kröten, 1378 Ausschließlich handelt es um schöne Mädchen. 1379 1380 MÖCHTEGERN: Wen meinen Sie. 1381 1382 LUMP: Du fragst mich wen ich meine? 1383 Schock schwere Not, Kerl, bist du blind. 1384 Kommst angetrabt mit Frauen, und nicht nur einer, 1385 mit dreien, schön wie nur die im Himmel sind. 1386 1387 (zu den Musen) 1388 Ich mach ein Angebot an alle Drei, 1389 nein, mehrere, doch einzeln, nach der Reih. 1390 Besitze einen Schönheitwettbewerb 1391 den man auf Englisch Beauty Contest nennt, 1392 leider Besitzer nur der Preise nicht 1393 der Frauen. Das kommt von selbst wenn man sie kennt. 1394 Ihr solltet dran Bewerberinnen werden. 1395 Ob ihr es wolltet oder nicht ist gleich. 1396 Ich will's und auf nichts andres kommt es an. 1397 Bis jetzt gibt es nur einen ersten Preis, 1398 doch wenn ihr drei dabei seid, muss es drei 1399 der ersten Preise geben. Ich werde sorgen 1400 dass eine jede ihre Kron erhält. 1401 Was sagt ihr nun dazu? 1402 1403 LUMP:(Arie) Ihr schöne Mädchen artig angezogen 1404 vom Himmel auf die Erde seid geflogen 1405 und mit euch ist die Liebe eingezogen 1406 1407 ihr wolltet einen starken Mann hier finden 1408 Euch ewig an sein treues Herz zu binden 1409 und endlich Einsamkeit durch ihn verwinden. 1410 1411 Drei Männer habt nicht nötig, nur den Einen 1412 Denn zwei sind überflüssig, nehmt sonst keinen 1413 Der Eine wird als eure Sonne scheinen 1414 1415 Ein Held braucht sieben Mädchen, es ist klar 1416 Ein Mann auf sieben Jungfrauen, ist's nicht wahr 1417 dass dies des Neuen Testamentes Botschaft war? 1418 1419 Auf Reisen sind die zwei die mir gehören 1420 gut dass sie konzertieren, statt uns zu stören 1421 Doch ihre Sehnsuchtstimmen sollt ihr hören 1422 1423 Lauscht ihren Leidenschaften, wenn sie singen 1424 so wird auch Euch die Liebe einst gelingen. 1425 Denn auf den Einen schmachten Sieben 1426 So ist's von Anfang an geblieben 1427 1428 (Er legt eine Schallplatte auf.) 1429 1430 So singt die Eine: 1431 1432 Seit ich ihn gesehen, 1433 Glaub' ich blind zu sein; 1434 Wo ich hin nur blicke, 1435 Seh' ich ihn allein; 1436 Wie im wachen Traume 1437 Schwebt sein Bild mir vor, 1438 Taucht aus tiefstem Dunkel, 1439 Heller nur empor. 1440 1441 und so ergänzt die andere: 1442 1443 Sonst ist licht- und farblos 1444 Alles um mich her, 1445 Nach der Schwestern Spiele 1446 Nicht begehr' ich mehr, 1447 Möchte lieber weinen, 1448 Still im Kämmerlein; 1449 Seit ich ihn gesehen, 1450 Glaub' ich blind zu sein. 1451 1452 Und nun ist's an euch dreien das fröhlich Singen 1453 Dass ihr vielleicht nicht singen könnt ist gleich 1454 tut nichts zur Sach'. Ich weiß es beizubringen. 1455 und manches sonst, Kommt in mein Königreich 1456 1457 EUTERPE: 1458 Wir sind drei zücht'ge Mädchen vom Olymp 1459 und göttlich, brauchen keine Menschenkrone 1460 gehn nicht wie ihre Dirnen, Oben ohne. 1461 Sie unterschätzen uns Herr Maga Lump 1462 1463 MELPOMENE: (Arie) 1464 Herr Lump, Herr Lump, Sie überschätzen ja. 1465 Sie zoll'n mir Ehren die mir nicht gebühren. 1466 Ich bin hierher gekommen nicht um da 1467 als Schönheitskönigin zu kandidieren, 1468 weder im Wettstreit noch in ihren Betten, 1469 sondern um keine Aussicht zu verlieren, 1470 die Kröten vom Zerquetschungstod zu retten. 1471 1472 LUMP: Krötenproblem hin und Krötenproblem her. 1473 Ich kenne kein Problem mit Kröten mehr 1474 auch nicht mit andren lieblichen Genossen 1475 die schönen jungen Frauen einbeschlossen, 1476 1477 welches sich nicht im Bett im Waagerechten 1478 auf weichem Kissen lösen ließ am Besten. 1479 Im Ruhen von den Müh'n der langen Stunden 1480 umarmt von dir wird Seligkeit gefunden. 1481 1482 Und eine neue Lebenszeit erscheint 1483 die ich auf euern Antrieb aufgeschlagen, 1484 da möget ihr den neuen Lump befragen, 1485 anders als den, den ihr zu kennen meint. 1486 1487 Ich bin ein weiser, hoch belesener Mann 1488 in besten Jahren, der von Anfang an 1489 darüber nachgesonnen, was die Welt 1490 in ihrem Innersten zusammen hält. 1491 1492 der heut sein Ideal verwirklicht findet, 1493 in eueren Gestalten fest gegründet, 1494 und unverkennbar schön, in eueren Stirnen, 1495 in Augenbrauen, Lidern, Wangen, Lippen, 1496 1497 im Glanz der Augen, und in der Musik 1498 des Worts. Das Weitere das unter farbgem Rock 1499 dem eng gestricktem Hemd und leichter Bluse 1500 ein dumpfe Sehnsucht stiftend Sternenbild 1501 1502 in Wolken vor des Geistes Augen schwebt. 1503 Im Stillen zählt mir mein Gedächtnis auf, 1504 was ich gesehen, was Phantasie sich webt, 1505 Ich folg der Seelenwünschelrute Lauf. 1506 1507 doch zaudre ich, an das was tiefer liegt 1508 mich hinzuwagen, besorgt verfrühter Blick 1509 möchte verdrießen. Das Wichtige kommt später. 1510 Ich liebe die Natur, die wilden Tiere 1511 1512 ungezähmt und frei. Am liebsten sind mir 1513 Kröten, fromm gepanzert, fast so schön 1514 wie Frauenleiber in züchtigstem Versteck. 1515 Die finde ich vor allen mir am Schönsten. 1516 1517 MELPOMENE: Herr Lump, ich hab es mir nie träumen lassen, 1518 dass sie ein Dichter sind. 1519 1520 LUMP: Jetzt wissen Sie's. 1521 Doch wichtger noch, ich bin ein Philosoph. 1522 Das höchste der moralischen Gesetze 1523 ist mir die fromme Ehrfurcht vor dem Leben, 1524 kommt, in der großen Arie die ich schrieb, 1525 zu wunderbarem Ausdruck. (Er beginnt zu singen.) 1526 1527 Kröten können sicher weiden, 1528 Wo ein guter Hirte wacht. 1529 Wo Regenten wohl regieren, 1530 Kann man Ruh und Friede spüren 1531 Und was Länder glücklich macht. 1532 1533 (Nach dem Ende der Arie, fährt er fort:) 1534 1535 LUMP: Der gute Krötenhirte, das bin ich; 1536 so wie der wohlregierende Regent 1537 in dessen Ländern Ruh und Friede walten. 1538 Und nun, Fräulein Melpomene, ist's Zeit. 1539 Komm du mit mir in eins der Hochzeitszimmer 1540 die ich für uns hab vorbereiten lassen. 1541 Ich weiß noch viele andre schöne Lieder 1542 die dich ergötzen, will sie singen dir 1543 mich auszuruhn; gemächlich träumen wir 1544 von schönen Kröten und vielleicht von mir. 1545 1546 5. Teil 555555555555555 1547 (Lumps Rückverwandlung) 1548 1549 MELPOMENE: Mein guter Maga, deine liebevolle 1550 und liebenswürd'ge Einladung an mich 1551 zum Zwiegespräch in einem deiner Zimmer 1552 erkenn ich an mit Dankbarkeit, und mit 1553 Gefühl das gegenseitig ist; betone dies 1554 weil ich mich dennoch nicht bereit befinde. 1555 Dir nachzukommen wär für uns Benehmen 1556 olympischer Genehmigung bedürfend. 1557 Vermuten muss ich, dass man uns enttäuscht. 1558 1559 LUMP: Und warum würd' was du olympische 1560 Genehmigung bezeichnest nicht erteilt? 1561 Bin ich den Gipfelhonoratioren 1562 zu wenig vornehm? wenn du, wie du es sagst, 1563 den Bitten die ich stell, mit Gleichgefühl 1564 entgegen trittst, warum fragst du nicht an, 1565 wirst bitten nicht darum, und willst nicht betteln 1566 dass die Allmãchtigen die uns befehlen 1567 nicht unserm Glück entgegen stehen möchten. 1568 Warum lässt du die Ablehnung von Seiten 1569 Der Rückweis deiner Vorgesetzten brauchte 1570 doch keinesweges unbestritten bleiben. 1571 1572 MELPOMENE: Ich will versuchen alles zu erklären, 1573 mein lieber Lump, und ohne dich zu kränken. 1574 Kollegen die ich hab, und Vorgesetzte 1575 auf schneebedecktem hohen Berge, sind, 1576 allwissend in den Sachen die sie kümmern, 1577 Um dein Verhalten in der Krötensache 1578 sind sie verstimmt, um Widersprüchlichkeiten 1579 deiner Rede, die Unwahrheit und Lüge 1580 unerwähnt zu lassen. Der Widerspruch 1581 von schmeicheln und beklagen, hat dich und hat 1582 dein Denken meinen Vorgesetzten so 1583 verdächtigt dass ein Treffen zwischen uns 1584 im Bett von ihnen nicht genehmigt würde. 1585 Dabei erlaub mir zu bekennen, dass meinerseits 1586 ich anderweitig wenig abgeneigt 1587 sein würde deinen Wünschen zuzustimmen. 1588 wenn ich durch höchstes göttliches Verbot 1589 nicht unverbrüchlich abgehalten würde. 1590 1591 LUMP: Melpomene, da willst du mich zum besten haben. 1592 Ich weiß mit Sicherheit, dass Götterwünsche 1593 bewilligt und ermöglicht, ausnahmslos. 1594 Ganz einfach, ich vermag dir nicht zu glauben. 1595 Du sagst ich sei ein Lügner. Ich dir sag, 1596 du bist die Lügnerin. 1597 1598 EUTERPE: Erlaubt mir diesen Kommentar. 1599 Ich denke wer im Glashaus sitzt, 1600 soll Steinewerfen unterlassen. 1601 1602 LUMP: Ich sag ich habe recht, und ins Besondere, 1603 behaupte die Versuche angestellt, 1604 die Kröten zu erretten widerrechtlich. 1605 Gesetzlich ist's verboten wilde Tiere 1606 einzufangen. Hingegen ist das Wandern 1607 auf der Straße den Kröten nicht erlaubt. 1608 Wenn sie Krepieren ist's ihr eignes Pech. 1609 1610 wo Kröten nicht hingehören sind sie verboten 1611 und deshalb ist es erlaubt sie zu töten. 1612 1613 (nach kurzer Überlegung) 1614 Aber ich rede schon wieder von Kröten. 1615 Das ist ein Fehler. Was für ein Unsinn, 1616 in der Gegenwart von drei schönen Mädchen, 1617 oder sollte ich sagen von zweien, 1618 da ja die erste das Recht den Behörden einräumt, 1619 sie geschlechtslos zu machen. 1620 1621 MELPOMENE: Du vergisst aber, 1622 dass es himmlische Behörden sind 1623 welche ihr Vorrecht ausüben. 1624 1625 MÖCHTEGERN: Was mich anbelangt, finde ich das noch schlimmer. 1626 Bedenkt doch in welch erotischen Schlamassel 1627 die jüdischen Christen und die christlichen Juden 1628 sich mit ihrem Leugnen des Geschlechtstriebs 1629 und der Geschlechtsnotwendigkeit begeben haben. 1630 1631 LUMP: Dies eine Mal stimmt Möchtegern mir zu. 1632 Wie aber steht's in dieser Hinsicht 1633 mit den beiden anderen, den schönen Mädchen? 1634 Handelt es sich da auch um körperlose Jungfraun, 1635 fleischlos, nichts als Seele? 1636 1637 EUTERPE: Mein lieber Maga Lump. Du redest wie ein Philosoph. 1638 1639 LUMP: Eine Verleumdung, die ich mir nicht gefallen lasse. 1640 1641 EUTERPE: Keine Verleumdung, 1642 denn du stellst Fragen welche in die Tiefe dringen. 1643 1644 LUMP: Vielleicht verständ'gen wir uns schließlich doch, 1645 weiß aber nicht ob meine Fragen 1646 gerechtes Instrument sein möchten, 1647 die Tiefen deiner Seele zu sondieren. 1648 1649 EUTERPE: Ich glaube wir verstehen uns wohl genug, 1650 bis auf den einen Punkt, 1651 dass ich zwar große Liebe hege 1652 für Göttinnen und Götter, für Menschen, 1653 für Frauen und Männer, für viele Wesen, 1654 Kröten einbeschlossen, aber nicht für dich. 1655 1656 LUMP: Ich bin sprachlos. 1657 So etwas hat mir noch kein Mädchen gesagt. 1658 (wendet sich zu Erato) Du bist Erato. 1659 1660 ERATO: So heiße ich und hab zu dem, 1661 was meine Schwestern dir gesagt, 1662 nichts beizufügen. 1663 1664 MÖCHTEGERN: Erlauben sie mir bitte festzustellen, 1665 die Absicht unseres Hierseins ist Versuch 1666 endlich das Krötenrettungsmissverständnis 1667 das zwischen uns entstanden ist, 1668 das uns entzweit, zu schlichten. 1669 1670 LUMP: Das ist was du dir vorstellst, Moritz Möchtegern. 1671 Was ich mir überlege, hat mit Kröten nichts zu tun. 1672 1673 MELPOMENE: Aber der Krötenrettung wegen sind wir doch gekommen. 1674 Meinst du, dass es uns möglich wäre, 1675 darüber zum Einverständnis zu gelangen? 1676 1677 LUMP: Gewiss, alles ist möglich. 1678 Aber mein Magen knurrt, er beklagt seine Leere. 1679 Ich lade sie alle fünf zu einem Festessen ein. 1680 1681 KRÖTENHEIM: Das ist sehr freundlich von ihnen Herr Lump. 1682 1683 MELPOMENE: Sind wir alle Fünf einverstanden, 1684 Magas Einladung anzunehmen? 1685 1686 FÜNF STIMMEN: Ja. 1687 1688 LUMP: Setzt euch nur an den Tisch. 1689 Für jeden von euch ist ein Platz bereit gelegt. 1690 Der sechste ist für mich. 1691 Bis das Essen kommt, 1692 mögen wir uns über beliebige Themen unterhalten, 1693 über das Wetter, über die Moral der Götter und der Göttinnen, 1694 über schöne Mädchen, über den Spaß am horizontalen Handwerk. 1695 Ein Thema nur sei uns verboten. 1696 Über Kröten und ihre Rettung verbieten wir uns zu reden. 1697 1698 (Eine große Suppenterrine wird von einem Dienstmädchen 1699 auf den Esstisch gestellt. 1700 Aus der Terrine füllt Lump fünf tiefe Suppenteller, 1701 die er, mit den Worten Guten Appetit, seinen Gästen reicht. 1702 Er selber isst nicht mit. Die Suppe schmeckt scheußlich, 1703 aber keiner der Gäste beklagt sich. Nachdem die Fünf 1704 in Stille fertig gegessen haben, fragt ...) 1705 1706 KRÖTENHEIM: Ist es Zeit die Kröttenrettungsfrage zu besprechen? 1707 1708 LUMP: Da ist nichts zu besprechen. 1709 Die Kröten sind in ihre Magen gerettet. 1710 Das war Krötensuppe, oder vielleicht sollte 1711 ich sie Krötenrettungssuppe nennen, 1712 die Sie soeben verzehrt haben. 1713 1714 MELPOMENE: Dann wäre keine Ursache länger zu bleiben. 1715 1716 LUMP: Im Gegenteil, Sie alle sollten lange genug bleiben 1717 um die Bezeugung meiner Anerkennung zu empfangen. 1718 Leider sind meine Backen nicht kräftig genug, 1719 ihnen aus dieser Entfernung ins Gesicht zu spucken, 1720 aber nehmen Sie dies als Ersatz. 1721 1722 (Mit diesen Worten hatte Lump den Inhalt 1723 eines Wasserglases vor ihm auf dem Tisch 1724 Melopeme ins Gesicht geschläudert, 1725 das er dann vier Mal so schnell er vermochte 1726 aus einer Karaffe auffüllte, 1727 um seinen vier anderen Gästen, 1728 Euterpe, Erato, Krötenheim und Möchtegern 1729 gleichfalls symbolisch ins Gesicht zu spucken.) 1730 1731 MELPOMENE: Also wir gehen. 1732 Ich weiß nicht ob Auf Wiedersehen 1733 der passende Abschiedsgruß wäre. 1734 1735 LUMP: Beeilen Sie sich nur nicht. 1736 1737 (Auf diese Worte hin, entnahm Lump erst eine. 1738 dann vier weitere zerquetschte Kröten aus einem Eimer 1739 und schleuderte sie, eine nach der anderen, 1740 Möchtegern, Krötenheim, Erato, 1741 Euterpe und Melpomene in ihre Gesichter.) 1742 1743 MELPOMENE: (zu ihren Begleitern indem sich sich zur Tür wendte.) 1744 Kommt, folgt mir. 1745 (Die fünf gehen ab, und Möchtegern als der Letzte, 1746 schlägt die Tür hinter sich zu.) 1747 1748 6. Teil 666666666666666 1749 1750 MÖCHTEGERN: Euch alle muss ich um Entschuldigung bitten. 1751 1752 MELPOMENE: Du aber warst es nicht, 1753 der uns in die Gesichter spuckte. 1754 Du warst es nicht der uns zerquetschte tote 1755 Kröten an die Köpfe warf. 1756 1757 MÖCHTEGERN: Aber bei mir, in meinem Gemüt, 1758 ist der Vorschlag zu dieser Konferenz, 1759 zu dieser Auseinandersetzung entstanden. 1760 1761 EUTERPE: Trotz des Versagens, trotz der Blamage, 1762 war's dennoch ein sinnvoll vernünftiger Vorschlag. 1763 Die Seelenkrankheit Maga Lumps 1764 ist nicht von Dir gestiftet, 1765 kann Dir nicht angerechnet werden, 1766 kann Deine Schuld nicht sein. 1767 Unmöglich ist es dir, dich zu entschuldigen 1768 für etwas wo dir keine Schuld gebührt. 1769 1770 ERATO: Du meinst auch, Möchtegern, dass Maga Lump 1771 die Schuld nicht angerechnet werden sollte? 1772 1773 MÖCHTEGERN: Doch keineswegs von mir, 1774 denn ich will nicht den Richter spielen, 1775 denn ich darf nicht der Richter sein. 1776 Ob's deine Pflicht, ob's eure Pflicht sein möchte, 1777 auch das ist Urteil, nicht von mir zu fällen. 1778 1779 ERATO: An dir ist etwas das mir sehr gefällt, 1780 wie du dich so geflissentlich des Urteilens 1781 enthältst. 1782 1783 MÖCHTEGERN: Und du, hast du ein Urteil? 1784 1785 ERATO: Ich darf kein Urteil haben. 1786 Mein Amt ist Liebe, zu begreifen üben, 1787 und Urteil hat mit Liebe nichts zu tun. 1788 1789 MÖCHTEGERN: Und deine Schwestern? Acht, wenn ich nicht irre. 1790 1791 ERATO: Gewiss es ist ihr Amt die Künste, 1792 das heißt die Schönheit, zu befördern. 1793 Da ist's notwendig zwischen schön und hässlich 1794 unterscheiden und ein Urteil fällen. 1795 1796 MÖCHTEGERN: Die Kröten, findest du sie schön? 1797 1798 ERATO: Ich weiß es nicht. Erinnere das Märchen. 1799 Zuletzt erscheint der Frosch als Königssohn. 1800 Am Anfang war er alles andere als schön: 1801 "Sie (die schönste der Königstöchter) 1802 sah sich um, woher die Stimme käme, 1803 da erblickte sie einen Frosch, 1804 der seinen dicken, häßlichen Kopf aus dem Wasser streckte." 1805 Das Gegenteil also von schön. Als dann aber der Frosch auf sein 1806 Anrecht bestand, zu ihr ins Bett zu kriechen 1807 da ward das Königskind "erst bitterböse, 1808 holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften 1809 wider die Wand: "Nun wirst du Ruhe haben, 1810 du garstiger Frosch." Als er aber herabfiel, 1811 war er kein Frosch, sondern ein Königssohn 1812 mit schönen und freundlichen Augen." 1813 1814 MÖCHTEGERN: Herr Lump hat einem jeden von uns, 1815 fünf an der Zahl, eine Kröte ins Gesicht geworfen, 1816 und keine hat sich als ein verwunschener Königssohn entpuppt. 1817 1818 ERATO: Das unliebsame Tier war aber ein Frosch 1819 und keine Kröte. 1820 1821 MÖCHTEGERN: Kröten sind garstiger noch als Frösche. 1822 Liebste Erato, ich bekenne mich 1823 garstiger noch als eine Kröte. 1824 Wenn du mich aus allen Kräften wider die Wand schmissest, 1825 vielleicht würde ich mich dann auch in einen Königssohn 1826 verwandeln dem es erlaubt wäre zu dir ins Bett zu steigen. 1827 1828 ERATO: Die Möglichkeit besteht. Das geb ich zu. 1829 1830 MÖCHTEGERN: Dann wäre ein Versuch der Mühe wert, 1831 Meinst Du nicht auch? 1832 1833 ERATO: Was aber würde, wenn es missglückte, 1834 und ich dich schwer verletzte? 1835 1836 MÖCHTEGERN: Ach Erato, ich möchte es so gern, 1837 das ist mein Name. 1838 1839 (Inzwischen sind die Fünf bei Möchtegern zuhause angelangt. 1840 Melpomene hat sich umgehend ans Telephon begeben und 1841 verhandelt mit Apollo.) 1842 1843 APOLLO: (im Telephon) Die Angelegenheit scheint mir belanglos, 1844 ist im Bereiche von Dike. 1845 Ich werd sie schicken. 1846 Umgehend mögt ihr sie erwarten. 1847 1848 (Eine kurze Pause, dann erscheint Dike, die Göttin der Gerichte 1849 des Rechts und der Gerechtigkeit.) 1850 1851 DIKE: Was ich zur Kenntnis nehme, drängt zur Handlung. 1852 So außerordentlich unannehmbar, 1853 dass Menschen Göttertöchtern tote Kröten 1854 ruchlos ins Gesicht zu schleudern wagen, 1855 so unerlässlich ist die amtliche Bestrafung. 1856 Benehmen solcher Art gebührt nur Göttern. 1857 Und dennoch scheint's mir eine Kleinigkeit 1858 den Missstand zu beheben. 1859 Nichts Weiteres ist vonnöten, 1860 als die Berichtigung der Grundurkunden 1861 die Patrioten den Besitz gewähren, 1862 der ihm im Handumdrehn entzogen wird. 1863 1864 MÖCHTEGERN: Ich dachte, Göttin Dike, gnäd'ge Frau, 1865 die Änderung der Bücher wär unmöglich. 1866 Sind die Kataster eingerichtet nicht, 1867 dass sie dem Grundbesitz Beständigkeit 1868 und Zuverlässigkeit verleihen? 1869 Verlässlich möcht ein jeder um den eigenen 1870 und um des Nachbarn Grundbesitz Bescheid 1871 bekommen können. Ist nicht das Grundbuch 1872 in gewissem Maße heilig? Wird's nicht 1873 mit Aufsicht nur und mit Genehmigung 1874 von den Beamten aufgeschlagen und 1875 gelesen? Abgeändert aber nie? 1876 1877 DIKE: Du kleines Unschuldskind, 1878 du heißt doch Möchtegern? 1879 Du hast noch viel, hast sehr viel noch zu lernen. 1880 Denn zwischen Frommheit die wir Götter preisen 1881 und was wir Götter tun ist eine Kluft. 1882 Kein Mensch hat's Recht sie zu beklagen. 1883 Von Menschen nur wird Konsequenz verlangt. 1884 Sie nennen's Wahrheit sagen und nicht lügen. 1885 Sie soll'n vermeiden sich zu widersprechen. 1886 Und weiterhin wird es verlangt von Ihnen, 1887 dass ihre Taten sollten stimmen 1888 mit ihren Worten überein. 1889 Doch dieser Maga Lump erdreistet 1890 sich zu benehmen wie ein Gott, 1891 ein Gott zu werden und ein Gott zu sein. 1892 Und das, mein liebes Kind, du weißt, ist Sünde 1893 die keinem Sterblichen vergeben wird. 1894 Denn Eifersucht, das sollt'st du längst verstanden haben, 1895 sie ist der Götter höchste Leidenschaft. 1896 Und über alles sind wir Götter eifersüchtig. 1897 Das Gottsein unbestritten zu bewahren 1898 das ist worum es uns vor allem geht. 1899 Die Götterkameradschaft stiftet Eifer, 1900 und Eifer ist's der uns von Menschen trennt. 1901 1902 ERATO: Kollegin, ich verstehe dich sehr wohl. 1903 Auch weiterer Versuch ist nicht vonnöten, 1904 mit Möchtegern Verständnis zu erlangen. 1905 Denn ich verstehe was du sagen willst, 1906 und Möchtegern versteht dich weil er mich versteht. 1907 So geh du nur, und spute dich um Dein Geschäft. 1908 Wir warten hier auf den Erfolg 1909 den du uns bald berichten wirst. 1910 1911 7. Teil 777777777777777 1912 1913 Im Katasteramt. 1914 Reihen auf Reihen von Regalen 1915 mit umfangreichen schweren Büchern beladen. 1916 Rechts ein Tresen mit drei Beamtinnen. 1917 Dike erscheint im Katasteramt. 1918 Da die Beamtinnen sie kennen, 1919 ist es ihr nicht nötig sich vorzustellen. 1920 1921 ERSTE BEAMTIN: Hochwohlgeborne Göttin, Frau Dike, 1922 erhabene Verwalt'rin der Gerechtigkeit, 1923 willkommen seien sie endlich wieder 1924 in unsren hohen heiligen 1925 und doch verschlumpten Hallen. 1926 1927 ZWEITE BEAMTIN: Denn wir bedürfen ihres pauselosen Segnens 1928 um Unrechtmäßigkeiten unsrer Unternehmen 1929 die anderweitig so willkürlich scheinen, 1930 entweder zu verbürgen oder zu verbergen. 1931 1932 DIKE: Den Segen sollt ihr nicht entbehren, 1933 vorausgesetzt ihr seid bereit, 1934 uns Göttinnen das Vorecht zu gewähren 1935 willkürliche Bestimmungen zu treffen. 1936 1937 DRITTE BEAMTIN: In dieser Hinsicht sollten sie wahrhaftig 1938 sich von Bedenken ungequält empfinden. 1939 Alltäglich zeigen uns die würd'gen Richter 1940 geschmeidig und mit ehrenvollem Glanz, 1941 wie Recht sich biegen, wie's sich beugen lässt. 1942 Das Mogeln mit der Sprache üben wir 1943 mit unsern Richtern, so lang und gründlich bis es 1944 nahtlos klappt und unerkennbar wird. 1945 1946 ERSTE BEAMTIN: Mit welcher Fälschung, oder sollt ich sagen, 1947 mit welcher Korrektur wär' heut zu dienen? 1948 1949 DIKE: Es handelt sich um einen Maga Lump. 1950 Der hat, mein nachlässiges Versehn ist Schuld, 1951 vor Jahren schon das Vogelschutzgebiet erworben, 1952 Ein Fehler war's, der jetzt berichtigt wird. 1953 1954 ZWEITE BEAMTIN: Meinen Ehrwürden, 1955 die Vögel nun entbehr'n gehör'ger Heimat? 1956 1957 DIKE: Das auch. Besonders aber sind's die Kröten 1958 die Maga Lump verfolgt. 1959 1960 ZWEITE BEAMTIN: Nur Kröten und nichts weiter? 1961 1962 DIKE: Ich bitte Sie nicht zu vergessen, 1963 dass Tiere gleich sind in der Götter Augen. 1964 Das Ausschlaggebende jedoch war nicht 1965 ein Angriff auf die Kröten; Verschmähen war's 1966 der Götter selbst von Seiten Maga Lumps. 1967 1968 ERSTE BEAMTIN: Was sie nicht sagen! 1969 Wie stelle man sich solchen Angriff vor? 1970 1971 DIKE: Ihn vorzustellen hieße ihn verstärken. 1972 Sie mögen sich auf was ich sag' verlassen. 1973 Hoffe zugleich, dass sie verstehen, Befehle 1974 die ich gebe nicht bestreitbar sind. 1975 1976 ZWEITE BEAMTIN: Ein jeder hier ist sich im Klaren 1977 wie wesentlich gefälscht die Bücher sind. 1978 Die heikle Frage, jetzt an Sie gestellt: 1979 muss nicht der Eintrag ins gefälschte Buch 1980 gleichfalls gefälschet sein, um als wahrhaftig 1981 zu erscheinen? 1982 1983 DIKE: Die Sorge die du hast ist Überfluss. 1984 In dieser Hinsicht steht es umgekehrt. 1985 Die Richter sind das Vorbild für uns Götter. 1986 Was immer auch ein Richter sagt und schreibt, 1987 wie unwahrhaftig sich's erweisen möchte, 1988 ist wahr, weil es ein Richter war, der's schrieb. 1989 Entschuldigt nun, indes ich meine Arbeit tue. 1990 (Dike geht fort zu den Grundbücherregalen.) 1991 1992 ERSTE BEAMTIN: Welch eine liebenswürd'ge Frau. 1993 Wenn ihresgleichen hier Beamtin wäre, 1994 wenn sie uns täglich zur Verfügung stünde, 1995 würd' unsere Arbeit schneller vor sich gehen. 1996 1997 ZWEITE BEAMTIN: Sie kommt zurück. 1998 Die Richtergöttin lässt nicht auf sich warten. 1999 2000 DIKE: Erledigt, abgetan. 2001 Verständige Kollegen die ihr seid. 2002 Es ist mir eine Freude vom Durcheinander 2003 festzustelln, dass es in Ordnung ist. 2004 Um euch ob eurer Treue zu vergüten, 2005 hab ich für jeden von euch dreien ein Goldstück 2006 am Tresen abgelegt. Macht's gut, seid froh, 2007 und bleibt zufrieden, lasst's euch wohl ergehen, 2008 und lasst Euch weder durch Gerechtigkeit 2009 noch Ungerechtigkeit das Leben stören. 2010 2011 (Im nu hatte Dike die Grundbucheintragung 2012 für Maga Lumps Anwesen gelöscht, 2013 mit einer gerichtlichen Übertragung 2014 an das Naturschutzreservat ersetzt. 2015 und mit einem angemessenen Trinkgeld 2016 die Bedürfnisse der zuständigen Beamtinnen 2017 beglichen. Dike ab) 2018 2019 ERSTE BEAMTIN: Welch hohe Freude, welch ein großes Glück, 2020 so gütigem, verständnisvollem Vorstand 2021 untergeben sein. 2022 2023 8. Teil 888888888888888 2024 2025 Küche im Hause Möchtegerns, 2026 ähnlich wie in der ersten Szene 2027 und doch wesentlich größer, 2028 so dass eine vermehrte Anzahl von Sitzgelegenheiten 2029 vorhanden sind. Melpomene, Euterpe und Erato im Gespräch. 2030 2031 KRÖTENHEIM: (zu Euterpe) Hast eine Ahnung wie lange wir 2032 auf Dike's Rückkehr werden warten müssen. 2033 2034 EUTERPE: Dike ist sehr entschieden, zielgerichtet, 2035 entschlossen und geschickt. Unähnlich ihren 2036 menschlichen Kollegen bedarf sie wenig Zeit 2037 zu Überlegung. 2038 2039 Sie kommt; ich sehe sie; bald ist sie hier. 2040 2041 DIKE: (ist eingetreten) 2042 Die Sache ist erledigt. Ich vermute 2043 Herr Lump wird andres zu bedenken haben 2044 als arme kleine Kröten zu verfolgen. 2045 Die Menschen hier vergessen allzu leicht 2046 dass sie nicht ihre eignen Herren sind. 2047 Sie leben von der Götter Gnad. Die Hände 2048 von denen sie gesegnet werden, sollten 2049 sie nicht beißen. Auch ist es ihnen nicht 2050 erlaubt, euch, die ihr göttlich seid, 2051 zerquetschte Kröten ins Gesicht zu werfen, 2052 denn solches Recht gebührt allein den Göttern. 2053 2054 KRÖTENHEIM: (zu Dike gewandt) 2055 Erzählen Sie uns doch, was Sie erreichten. 2056 2057 DIKE: Es war, es ist, ganz einfach. 2058 Das Gut auf das er übermäßig stolzt, 2059 steht amtlich eingeschrieben im Kataster, 2060 durch dieses Buch bestätigt und beschützt. 2061 Kataster sind den Richtern unterstellt. 2062 Und jeder Richter hat die Möglichkeit 2063 sie nach der eignen Laune abzuändern. 2064 Die Götterstellung die ich innehab, 2065 verleiht mir mindestens die gleichen Rechte. 2066 Was jeder Richter darf, gebührt auch mir. 2067 Das Grundstück das Lump zugeschrieben war, 2068 hab ich an NABU übertragen lassen. 2069 Er ist im Unrecht. Nichts stand mir im Wege. 2070 Verloren haben, ist sein eignes Pech. 2071 Von dem Naturschutzbund wird Lump erfahren 2072 dass sein Besitz ihm nunmehr nicht gehört. 2073 2074 KRÖTENHEIM: Wie wunderbar dass sich das Krötenleiden 2075 so mühelos beheben lässt! 2076 2077 MÖCHTEGERN: Das scheint vielleicht nur so, weil's sich 2078 um eine göttliche Verfügung handelt. 2079 Wär's ungehörig wenn ich Sterblicher 2080 die Angelegenheit aus andrer Sicht 2081 zu deuten unternähme. 2082 2083 ERATO: Ach keineswegs, ich bitte dich 2084 dass Du uns dein Verständnis wissen ließ't. 2085 Beschreib die Welt, wie du die Dinge siehst. 2086 In manchen Sachen ist's an uns von Euch, 2087 die wir hochmütiglich die Kleinen nennen, 2088 zu lernen. Lieber Moritz sag nur an, 2089 dass ich wie du, die Dinge sehen kann. 2090 2091 MÖCHTEGERN: (Vergeltungssonett) 2092 Dass Fräulein Dikes Maß gerecht sein möchte, 2093 ich will's nicht zweifeln. Es ist ihr Bereich, 2094 Doch was Gerechtigkeit den Menschen brächte 2095 ist nur vorübergehender Vergleich. 2096 2097 Vergeltung, Schlüsselwort das ich versteh. 2098 Vergelten ist versteckter Rache Schild. 2099 Vertarnung ist's für unaussprechlich Weh 2100 das gut geheißen wird weil es vergilt. 2101 2102 Belohnt wird gutes edeles Betragen. 2103 Mich graut's der Strafe Schrecken auszusagen. 2104 Vergeltung ist nur vorgetäuschtes Recht 2105 Sie schürt das Leiden, ist verderblich, schlecht. 2106 2107 Seit Priam einst die Helena entführt, 2108 hat Zwang kein Menschenherz zur Lieb gerührt, 2109 Kein Glück ward je gestiftet durch die Rache. 2110 Gerechtigkeit ist eine heikle Sache. 2111 2112 DIKE: Was schlägst du vor? Womit das Recht ersetzen? 2113 Wie würd'es besser gehn? 2114 2115 MÖCHTEGERN: Wir müssen lernen besser uns verstehn. 2116 2117 DIKE: Was ändert es, einander zu verstehn? 2118 Was hilft's verständnisvoll zugrunde gehn? 2119 2120 MÖCHTEGERN: (Gesellschaftsarzenei) 2121 Gerechtigkeit, die tief im Menschen wurzelt. 2122 Ein Wort, gedankenlos dem Mund entpurzelt, 2123 Geheimnisvoll, Du, wundernswürd'ge Sache, 2124 versprichst mir hohen Lohn und süße Rache. 2125 Gibst keine Antwort mir auf meine Frage, 2126 bei Tag ein Rätsel, und bei Nacht nur Plage. 2127 2128 Auch ist es unbestimmt von wem man Recht 2129 verlangt. Ist es der Einzelne von dem 2130 gerechte Handelung gefordert wird, 2131 dass er dem Gott aufrecht entgegen träte, 2132 gerecht dem Nächsten oder nur sich selbst? 2133 Ist's die Gesellschaft, ist's der Staat der sich 2134 gerecht erweisen soll nach Innen nur? 2135 nach Außen, Einzelnen entgegen oder 2136 der Gesellschaft? 2137 2138 Mich dünkt ich sollte, eh ich den Versuch 2139 Behandlung festzustellen unternehme, 2140 bestimmen was die Krankheit die geheilt 2141 zu werden fordert, möchte selber sein, 2142 Wie's bei dem Körper sich verhält, 2143 so auch im Falle des Gesellschaftswesens. 2144 Es ist unmöglich Krankheit zu bestimmen, 2145 eh man sich drüber klar geworden ist, 2146 was als gesund verstanden werden sollt'. 2147 2148 Gesellschaftlich gesund ist jener Zustand 2149 in dem der Einzelne sich froh und freudig 2150 in die Gemeinschaft fügt, und diese wiederum 2151 ihn schützt und fördert, dass die Menschen einzeln 2152 und ins gesamt im höchsten Maß gedeihen. 2153 Gerechtigkeit ist das Verhalten, das dieses 2154 hohe Ziel befördert. 2155 2156 Dike und Möchtegern, Zusammen 2157 2158 DIKE: 2159 Gerechtigkeit ist mein Beruf. 2160 Gerecht war Gott der Adam schuf. 2161 Als dieser aß verbotenen Bissen, 2162 verklagt Gott Adam im Gewissen. 2163 2164 Die Untat musste Gott vergelten, 2165 Genügte nicht das Paar zu schelten. 2166 War nötig dass Er sie verwies. 2167 Nicht blüh'n darf Sünd' im Paradies. 2168 2169 MÖCHTEGERN: 2170 Erdreiste mich zu widersprechen: 2171 Herr Jesus sagt Du sollst nicht rächen, 2172 Dem Angriff sollst nicht widerstreben, 2173 Dem Feind die linke Backe geben. 2174 2175 Hät Gott des Sohnes Rat gehört, 2176 den zweiten Apfel hätt' spendiert, 2177 die Sünde wär durch Lieb' vertrieben, 2178 sie wär'n im Paradies geblieben. 2179 2180 Ende des Duets 2181 2182 MÖCHTEGERN: (Arie) 2183 Betrachte man die Menschen wie sie sind. 2184 Die Eltern sehnlich liebt das schwache Kind, 2185 Doch Liebe dauert oft nur kurze Zeit 2186 und die Geschwister liegen bald im Streit. 2187 2188 Geliebte fühlen stark sich angezogen, 2189 bald aber stoßen sie einander ab. 2190 Dass sie sich wirkich liebten war gelogen. 2191 Am Ende ahnen, dass sie sich betrogen 2192 Getrennt und einsam liegen sie im Grab. 2193 2194 Wo Mitgefühl und Widerwillen streiten, 2195 da gibt es keine friedevollen Zeiten 2196 Mit Tränen, Sorge und mit Gram vergeht 2197 der einz'ge Tag an dem der Mensch besteht. 2198 2199 Bald aber stoßt der Mensch den andern ab. 2200 Getrennt und einsam liegen sie im Grab. 2201 2202 DIKE: (Arie) 2203 2204 Der kleine Knirps der Möchtegern 2205 der möchte gern ein Weiser sein 2206 doch was er lehrt, taugt weder Kröten 2207 noch Menschen, es würd' beide töten. 2208 2209 Liebe ist Lust, wie jeder Jüngling weiß. 2210 Die Agape ist hart und kalt wie Eis. 2211 Nur waagerecht entzücken sich die Freunde. 2212 Sobald sie senkrecht stehn sind's böse Feinde. 2213 2214 Die eifern miteinander um das Geld, 2215 um Ehre, Macht und Reichtum dieser Welt. 2216 Gedeihen nur auf Grund selbstsücht'ger Triebe 2217 betrügen sich mit vorgetäuschter Liebe. 2218 2219 Drum ist Vergeltungsethik unerlässlich. 2220 Die Welt die Marx gepredigt hat ist grässlich, 2221 zeigt Liebe als entsetzliche Bedrängnis, 2222 als Weg ins dunkle Gulag, ins Gefängnis. 2223 2224 Die Bergespredigt tönt nur schöne Worte 2225 Der graue Alltag ist von andrer Sorte. 2226 Vergeltung ist der Inbegriff vom Recht. 2227 Nur Glück aus der Gerechtigkeit ist echt. 2228 2229 EUTERPE und MELPOMENE, gegenseitig und zuglech: 2230 Komm lass und singen im Duet 2231 Zusammennsingen ist so nett! 2232 2233 EUTERPE: 2234 Der Mensch ist einsam, lebt als Einzeltier. 2235 In seiner Seele schwebt sein Gott bar Sprache, 2236 Der Tanz ums Kalb würd diesen Gott vernichten 2237 als Einzelseele mahnt ihn sein Gewissen. 2238 In Einsamkeit erfährt er Gottes Macht. 2239 2240 MELPOMENE: 2241 Der Mensch ist edles Vieh, ist Herdentier. 2242 In seiner Seele lebt das Volk als Sprache. 2243 die Einsamkeit würd' ihn zugrunde richten. 2244 als Herdenseele mahnt ihn sein Gewissen. 2245 Sprache als Volksgeist ihn lebendig macht. 2246 2247 MÖCHTEGERN: (Lied) 2248 Der Mensch ist Einzelner und Herdentier, 2249 Des Einzelnen Natur, dass er in seine Welt, 2250 und die Gesellschaft die ihn hält, sich fügt 2251 indem er sich von ihr verwandeln lässt, 2252 sei's als ihr Bürger oder als Soldat. 2253 2254 Die Fähigkeit assimiliert zu werden, 2255 ist Vorbedingung für das Überleben. 2256 Das Höchste, oder sollt es sein das Niedrigste, 2257 ist Herdentier zu sein auf dieser Erden. 2258 2259 Für viele kommt die Zeit, für manche nie, 2260 wenn sie sich von der Herde trennen müssen. 2261 Der Eine, der Verbrecher, überschreitet, 2262 der Andre, Künstler, stiftet die Gesetze, 2263 und wird von seiner Fähigkeit verleitet 2264 in eigner Schöpfung Wirklichkeit zu finden, 2265 und sich an das zu binden was er als schön 2266 und gut entdeckt indem er zeitig sich 2267 von den Gesellschaftsbanden trennt 2268 und sich als Einzelner erkennt. 2269 Das ist das Schicksal, 2270 des Einzelnen und der Gesellschaft. 2271 2272 ERATO: Ach, Lieber Möchtegern, 2273 das Lied das du uns singst 2274 klingt glänzend hell in meinen Ohren. 2275 Bitte erzähl's ein weit'res Mal 2276 erkläre uns wie wir's verstehen sollen. 2277 2278 MÖCHTEGERN: (Lied von der Assimilierung) 2279 Betracht es als Gegebenheit des Menschseins, 2280 ob andre Wesen einbezogen sind 2281 vermag ich nicht zu wissen. Möchte sagen, 2282 dass alles was ich höre, seh, und denke, 2283 dass alles was ich zu verstehen meine, 2284 und was in eigner Weise mich berührt, 2285 dass dieses alles damit mich zugleich 2286 zu einem andren macht als der ich war. 2287 Erinnrung zeigt durchlebte Existenzen. 2288 2289 Wenn andre fremde Menschen mich berühren 2290 ergibt sich die Begegnung feindlich 2291 wenn sie mich bedrohen, sonst freundlich, 2292 wenn die Nähe Hilfe mir und Beistand bringt. 2293 In jedem Falle aber scheint es mir, 2294 entsteht Verständigung, das heißt, 2295 durch das Berühren werden wir einander gleich, 2296 und werden somit zur Gesellschaft. 2297 2298 DIKE: Das gebe ich dir zu, bemerke aber, 2299 dass die Gemeinschaften, Städte, Länder 2300 einander (oftmals) widerstreben und bekämpfen; 2301 und anders als das einzelne Lebenwesen 2302 es unterlassen sich berührend anzugleichen. 2303 2304 MÖCHTEGERN: Das ist nur manchmal wahr. 2305 Angleichung an einander ist der große Segen 2306 des Handels, des geschäftlichen Verkehrs. 2307 Die Beziehungen unter uns Menschen 2308 und zwischen den Gemeinschaften die unter uns entstehen, 2309 sind weit verzweigt und inniglich verflechtet, 2310 so dass wir an der Möglichkeit verzweifeln 2311 sie aufzulösen, zu enträtseln. 2312 2313 KRÖTENHEIM: Was du da sagst, mein Moritz Möchtegern, 2314 das reimt sich und das find ich überzeugend. 2315 Doch wie verhält sich dies zur Krötenrettung? 2316 2317 MÖCHTEGERN: (Das Lied vom Mitgefühl. (der Sympathie)) 2318 Die Kröten sind ein Sinnbild für unsere Beziehung 2319 zu dem was lebt, zu Tieren, zur Natur, 2320 und letztlich zu einander. Manche verbleiben 2321 von Schmerzen und vom Sterben unberührt, 2322 es sei von Menschen, von zerquetschten Tieren. 2323 Die Anderen erleben es mit Angst, 2324 mit Sympathie. Nicht alle, keineswegs. 2325 Es gibt auch Menschen welche vom Betrachten 2326 des Leidens und des fremden Sterbens, nicht 2327 des eigenen, befriedigt werden, 2328 dass sie sich drängen zur Beteiligung 2329 beim Töten, bedürftig selbst die Schmerzen bei- 2330 zufügen. Es gilt vorerst verstehn zu lernen 2331 wie unterschiedlich doch wir Menschen sind. 2332 Zu streiten, zu bekämpfen, führt zu nichts. 2333 2334 Dike meinte sie hätte die Krötenrettung 2335 ein und für alle Mal sicher gestellt. 2336 Aber scheinbar doch nicht. 2337 Denn als es bekannt wurde dass der Kröten halber 2338 und mittels der Einmischung 2339 von drei oder vier unbekannten Frauen, 2340 Maga Lump seines Bauernguts enteignet worden war, 2341 da erschienen auf der Schnellstraße 2342 zwischen Krötenheims Anwesen 2343 und Maga Lumps einstigem Besitztum, 2344 eine Unzahl von Maga Lumps Verehrern, 2345 teils in braunen, teils in schwarzen Uniformen, 2346 bewaffnet mit den Sturmgewehren die sie Jahre lang 2347 für gerade diesen Augenblick gesammelt 2348 und in ihren Kleiderschränken aufbewahrt hatten. 2349 Wenn die Gefolgschaft Maga Lumps verhindert werden sollte 2350 die ekligen Kröten ruchlos zu überfahren und zu zerquetschen, 2351 um unerwähnt zu lassen 2352 die anderen Errungenschaften Maga Lumps, 2353 weswegen sie ihn bewunderten, 2354 und die es sie drängte ihm nachzumachen, 2355 dann war der Augenblick für die Revolution, 2356 für den Bürgerkrieg gekommen. 2357 2358 Jetzt war die Schnellstraße mit aufsässigen Schützen 2359 völlig gestaut. 2360 Es waren nicht nur Kröten, 2361 die sie nicht mehr zu überqueren vermochten. 2362 Erato, Euterpe und Melpomene 2363 mit ihren beiden menschlichen Bekannten 2364 stehen auf der Veranda von Möchtegerns Haus 2365 und beobachten diese Unruhen mit wachsender Besorgnis. 2366 Ein lautes inständiges Klopfen an der entlegenen Seite 2367 des Hauses. Melpomene verschwindet um die Tür zu öffnen. 2368 Nach geringer Zeit kehrt sie wieder. 2369 Ihr folgen drei uniformierte Männer, 2370 zwei tragen schwarze Uniformen, 2371 der dritte trägt eine braune Uniform. 2372 Die drei sind mit Sturmgewehren bewaffnet. 2373 2374 MÖCHTEGERN: Ich seh, wir haben Gäste, wie es scheint. 2375 2376 DIKE: Hier sind sie, unerwartet, drei Besucher. 2377 Die haben uns bis jetzt nicht anvertraut 2378 was sie im Sinne haben. Um jedem Missverstehn 2379 mit wem sie hier verhandeln, vorzubeugen 2380 erlaub ich mir den drei Besuchern 2381 die Ganzheit der Gesellschaft vorzustellen: 2382 (Sie wendet sich zu den Besuchern.) 2383 Zu ihrer rechten, die Herrn Möchtegern 2384 und Krötenheim. Hier gegenüber stehn 2385 drei Gottestöchter deren Vater Zeus, 2386 und Mutter Mnemosyne sind. Sie heißen 2387 Melpomene, Euterpe und Erato. 2388 Ich selber, Göttin, rühme mich Dike, 2389 zuständig für Gerechtigkeit auf Erden. 2390 2391 Sie aber legen ihre Waffen nieder. 2392 Sie haben unsrerseits nichts zu befürchten. 2393 wir, gleichfalls nichts von ihnen. 2394 Denn wir Olympier sind von Zeus geschützt, 2395 und wir beschützen unsre Freunde. 2396 2397 ERSTER PATRIOT: Wir sind erschienen 2398 weder zu beklagen noch zu bitten. 2399 Uns geht's um den Besitz des Führers, 2400 des Patrioten Maga Lump. Der soll 2401 bestätigt sein, sonst gilt es den Besitz 2402 mit stärkeren Mitteln wiederherzustellen. 2403 Von zuverläss'ger Quelle wissen wir, 2404 dass unsres Führers Eigentum ihm plötzlich, 2405 vier unbekannte Frauen sind beteiligt, 2406 ohn' jegliche Erklärung, vom Gericht 2407 entzogen worden ist. Das darf nicht sein. 2408 2409 DIKE: Ihr Antrag geht an eine falsche Stelle. 2410 2411 ZWEITER PATRIOT: Dann sagen Sie genau 2412 wohin wir unsren Antrag richten müssen. 2413 2414 DIKE: Die rechte Stelle für ihr Unternehmen 2415 zu weisen ist nicht unser Amt. 2416 2417 DRITTER PATRIOT: Unsinn, was brauchen wir Gerichte, 2418 Mit Sturmgewehren in den treuen Händen 2419 verpassen wir den Wilderern die Lehren 2420 wem unsres Führers großes Haus gehört. 2421 Dass ist der Zweck von Kugeln und Gewehren. 2422 2423 ERSTER PATRIOT: Das Ungeziefer aber das wir hier 2424 gefunden, sollten wir sogleich vernichten. 2425 2426 (Bei diesen Worten haben die vier Göttinnen sich 2427 in einen Kreis begeben in deren Mitte sie die beiden Männer, 2428 Möchtegern und Krötenheim, beschützen.) 2429 2430 ZWEITER PATRIOT: Die beiden Männer da, die blöden feigen, 2431 die hinter schönen Weibern sich verstecken, 2432 zerquetschen wir zu schmutzgen Krötenflecken. 2433 Die Frauen sind dann Beute die wir teilen. 2434 2435 ERSTER PATRIOT: Die große Blonde da, (Er weist auf Erato) 2436 die mit den blauen Augen, die will ich haben, 2437 soll mir gehör'n, die leg ich mit Beschlag. 2438 2439 DRITTER PATRIOT: Nicht ganz so schnell. 2440 Gerade sie ist's, die ich haben wollte. 2441 2442 ZWEITER PATRIOT: (Richtet sein Gewehr auf den ersten Patrioten) 2443 Was fällt dir ein? 2444 Ich kenne die Gewohnheit, 2445 eh es ein anderer erspäht, 2446 das beste Marzipan vorwegzufangen. 2447 Mit solchen Faxen, 2448 wirst du bei mir zu nichts gelangen. 2449 2450 (Ein Schuss fällt. Die drei Patrioten liegen ausgestreckt 2451 auf dem Boden. Es ist unbestimmt wer getötet, wer verletzt, 2452 und wer sich unversehrt zum Schutz auf den Boden hingestreckt 2453 haben mag.) 2454 2455 MÖCHTEGERN: (im Begriff den Schutzkreis der Göttinnen 2456 zu verlassen um den Gefallenen zu helfen.) 2457 Vielleicht ist Hilfe möglich. Ich will nicht warten 2458 bis es zu spät ist. 2459 2460 MELPOMENE: Menschen wie denen ist nicht zu helfen. 2461 Die graben sich ihr eignes Grab. 2462 2463 DIKE: Ich würd's mir zwei Mal überlegen, 2464 eh ich in deren Angelegenheit mich mischte. 2465 Die haben doch selbst keine Vorstellung, 2466 was sie denn eigentlich wollen. 2467 Wer ihnen nahe kommt den schießen sie. 2468 Nur darauf letzten Endes kommt es an. 2469 2470 MÖCHTEGERN: Kann's nicht ertragen zuzusehn, 2471 wie Menschen leiden. 2472 2473 EUTERPE: Der Alte glaubt, und sagt es immer wieder, 2474 es wäre nichts als ihre eigene Schuld. 2475 Gewisslich nicht die unsere. 2476 2477 MÖCHTEGERN: Das macht nichts aus. Hier muss geholfen werden. 2478 2479 ERATO: Ich habe Angst. 2480 Nein, Möchtegern, ich habe solche Angst. 2481 Was nötig ist, das will ich selber tun. 2482 Ich habe solche Angst um dich. 2483 Ich habe dich so lieb. 2484 2485 (In diesem Moment stürzt ein Trupp gewappneter Patrioten 2486 durch die Tür.) 2487 2488 DIKE: Wir sollten uns ein wenig aus der Feuerlinie 2489 zurückziehn. Das mein' ich, wäre klug. Wer weiß 2490 was jetzt noch kommt. Es würd' mich nicht verwundern, 2491 wenn sie sogleich den Anfang machten 2492 auf einander los zu schießen. 2493 2494 MÖCHTEGERN: Wär' das nicht Grund den Menschen beizustehn? 2495 2496 ERATO: Vielleicht, nicht aber du, mein Möchtegern, 2497 du bist ein Mensch, und weil du menschlich bist, 2498 bist zu verwundbar. 2499 2500 (Die Musen, Dike, Krötenheim und Möchtegern haben sich 2501 in einen entlegenen Winkel des großen Saals zurückgezogen 2502 und werden von den herumschwadronierenden Patrioten 2503 nicht bemerkt. Diese scheinen sich um ihre drei gefallenen 2504 Kameraden kaum zu kümmern, und fangen an erst einander 2505 Vorwürfe zu machen, dann einander eines unbestimmten Schadens 2506 zu beschuldigen. Plötzlich ertönen Schüsse. Die Patrioten 2507 haben sich in zwei oder mehr Abteilugen geteilt. 2508 Der Patriotenteil nãchst der Tür, von ihren Gegnern gedrängt, 2509 zieht sich zurück nach draußen. Der Rest der Patriotentruppen 2510 folgt ihnen. Nun plötzlich, unerwartet, ist der Saal leer 2511 geworden.) 2512 2513 KRÖTENHEIM: Endlich, endlich sind wir sie los. 2514 2515 EUTERPE: Sag's nicht zu früh. Ich halt's für möglich, 2516 dass sie wiederkommen. 2517 2518 DIKE: Das scheint mir unwahrscheinlich. 2519 Dort draußen haben sie mehr Platz sich zu bekämpfen. 2520 Und nun ist's doch wahrhaftig jeder gegen jeden. 2521 2522 MELPOMENE: (zu Dike) Meinst du nicht auch, 2523 wir sollten etwas unternehmen, 2524 um dem zerstörerischen Unfug 2525 der sich dort draußen abspielt 2526 und sich noch gröber zu entwickeln scheint, 2527 endlichen Einhalt zu gebieten? 2528 2529 DIKE: Ich stimm' dir zu. 2530 Will mich beraten mit den andren Göttern 2531 um zu entscheiden wie wir's machen. 2532 2533 9.Teil 9999999999999 2534 2535 DIKE (geht an den Telephonapparat 2536 der auf einem kleinen niedrigen Tisch an der Seite steht. 2537 Sie wählt eine Telephonnummer, und spricht ins Telephon.) 2538 Verbind' mich bitte mit Apoll. (Pause) 2539 Er ist beschäftigt, sagst du? Unterbrich ihn. 2540 Die Angelegenheit ist dringend. 2541 Sag ihm ein Aufstand, Bürgerkrieg 2542 ist auf der Erde ausgebrochen. 2543 Ich weiß nicht was zu tun. 2544 Benöt'ge seine Hilfe, seinen Rat. (weitere Pause) 2545 2546 Apoll, entschuldige bitte 2547 dass ich dich unterbrochen hab. 2548 Mir scheint die Angelegenheit sehr dringlich. 2549 So einfach wie wir es uns vorgestellt 2550 ist die Begegnung mit dem Krötenfeind, 2551 mit Maga Lump, denn doch nicht abgelaufen. 2552 Mit den Katastern gab es kein Problem. 2553 Im Handumdrehn geschah die Übertragung 2554 des Eigentums an den Naturschutzbund. 2555 Lump selbst, soviel ich weiß, hat kaum gemuckst. 2556 Doch keineswegs war es voraussehbar 2557 wie sehr die vielen Jünger die ihm folgen 2558 Enteignung ihres Führers Eigentum 2559 bedrohlich finden, und nun mit ihren Waffen, 2560 die sie geheim gesammelt, mit Aufstand also 2561 und mit Bürgerkrieg, den Grundbesitz 2562 zurück erobern wollen. 2563 2564 APOLLO: (im Telephon, aber laut) 2565 Ich komm. Sofort, ich komme gleich. 2566 (in gedämpftem Ton) 2567 Das Weitre wenn ich bei euch bin. 2568 2569 Zehnter Teil 1010101010101010 2570 2571 Möchtegerns Wohnzimmer. Dike, Melpomene, Euterpe, Erato, 2572 Krötenheim und Möchtegern, verteilt auf Sesselns und Sofas. 2573 Dike und Melpomene sitzen einzeln in Armsesseln. 2574 Euterpe mit Krötenheim, Erato mit Möchtegern, 2575 sitzen nebeneinander auf Sofas. 2576 2577 MELPOMENE: Weiß nicht wie lange man hier sitzen soll 2578 und warten auf den göttlichen Apoll. 2579 Wir warten, warten allzulange hier. 2580 Der pünktlichste der Götter scheint er mir, 2581 und sehr verlässlich. Ich bin fast entsetzt, 2582 dass er so lange auf sich warten lässt. 2583 2584 APOLLO: (der unbemerkt in der Tür erschienen war) 2585 Du wunderst dich umsonst, denn ich bin hier. 2586 2587 DIKE: Ich dank' dir vielmals. Endlich bist Du da! 2588 Benötige dich sehr. Ich sagt es ja, 2589 denn ob der Bosheit dieser wilden Herden, 2590 auch die gerechten Götter ratlos werden. 2591 Trotz Anbetracht von großen Himmelgaben, 2592 wir keine Heilung aufzuweisen haben. 2593 2594 APOLLO: Was ist es das behoben werden müsste? 2595 Weswegen ist's dass ich euch unterstütze? 2596 2597 DIKE: Ich bin verzweifelt; ach, wenn ich's nur wüsste. 2598 2599 APOLL: Wer würde mir genauestens berichten 2600 weshalb ihr mich hierher gerufen habt? 2601 2602 DIKE: Mich überzeugen Möchtegerns Geschichten. 2603 Am meisten informierend und verlässlich 2604 wär ein Bericht von Möchtegern gemacht. 2605 Der denkt. Der ist besonders zuverlässig, 2606 Der hat den weiten klaren Blick, und hat 2607 das Einzelne am gründlichsten bedacht. 2608 2609 MÖCHTEGERN: Dank für die Ehre, Dank für das Vertrauen. 2610 Nur Anlass ist der Straße kürzlich (neulich) Bauen 2611 und keineswegs der Grund der Problematik 2612 wie sie uns hier beschäftigt. Beim Entwurf 2613 ward übersehen was dieser Streif von Asphalt 2614 den Tieren die hier leben antun möchte. 2615 Besonders Kröten hat man nicht bedacht, 2616 die jeden Frühling dorthin ziehen wo 2617 sie laichen, wo ihr Leben sich erneut. 2618 Zahlreiche Tierchen werden überfahren 2619 vom Eilverkehr nach Norden wie nach Süden. 2620 2621 APOLLO: Wie kommt's dass keiner sich darum besorgt? 2622 Warum gibt's keine öffentliche Reglung? 2623 2624 MÖCHTEGERN: Wir Menschen sind verschiedner Ansicht. 2625 Dem Einem sind die Kröten Höllenboten, 2626 die schonungslos zu töten sind, wie Schlangen. 2627 Dem Andren sind sie kleine Spiegelbilder 2628 des eignen ärmlichen Lebendigseins. 2629 So etwa Krötenheim, mein Freund, mich selber 2630 unerwähnt zu lassen, hegt stille Liebe 2631 zu den Kröten und ist bemüht so viele 2632 wie nur möglich vorm Quetschungstod zu retten. 2633 Die Straße offenbart zwei Arten Mensch. 2634 und zeigt uns in bemerkenswerter Weise 2635 wie unterschiedlich Menschen sind. Die einen 2636 sich am Zerstören weiden. Sie wollen das Jagen, 2637 freun ich des Tötens, preisen hoch den Krieg. 2638 Die and'ren spürn in Hinblick auf den Tod 2639 die eig'ne Sterbensangst; sie sind geplagt, 2640 genau wie Krötenheim und ich, von Mitleid. 2641 Wir fühlen uns gefährdet wie die Kröten. 2642 Wir fürchten uns vorm Tod und allem Töten. 2643 2644 ERATO: Auch ich empfinde Mitleid und Erbarmen. 2645 2646 APOLLO: Erato, Melpomene und Euterpe, 2647 wie wurdet ihr in diesen Streit verwickelt? 2648 2649 MELPOMENE: Weiß nicht wer uns gerufen hat, 2650 zu welchem Zweck man uns hierher bestellt. 2651 Der armen Kröten Unglück scheint nur Zufall. 2652 Mich dünkt's unmöglich Weltgeschichte zu 2653 beschreiben, geschweige denn sie zu berechnen. 2654 2655 APOLLO: Ein weiser Spruch von einer schönen Frau. 2656 2657 MELPOMENE: Hier fanden wir Herrn Möchtegern im Schlaf. 2658 Er war sehr einsam, hatte uns begehrt. 2659 In unsrer Gegenwart erschien der Graf 2660 mit seiner Klage um der Kröten Schicksal. 2661 Er bat um unsre Hilfe, hat gefleht, 2662 ein Notfall wär's, so hat er's uns erklärt. 2663 Wir sind gehorsam, tun was uns befohlen. 2664 Die Pflicht ergibt sich aus besondrer Lage, 2665 nicht vom Allgemeinen. 2666 2667 EUTERPE: Wir sehen Menschen jeweils nur als einzeln. 2668 vermögen nur dem Einzelnen zu helfen. 2669 Ich seh den Krötenheim der Kröten liebt, 2670 vielleicht weil ihm die Frau im Hause fehlt. 2671 2672 ERATO: Und Möchtegern versucht die eigne Rettung 2673 im Denken und im Dichten zu entdecken, 2674 und in der Kunst. Auch meine Hilfe wird 2675 ihm nicht genug. Umsonst. Er wird versagen. 2676 Und doch die größte Lieb' heg ich für den 2677 der den Versuch wagt über sich hinaus 2678 zu schaffen, und am Versuch zu Grunde geht. 2679 2680 APOLLO: Ihr seid drei gute, liebevolle Mädchen. 2681 Doch diesem Schicksal scheint ihr nicht gewachsen. 2682 Und dich, Dike, frag ich, Gerechtigkeit 2683 vermöchte keine Lösung hier zu finden? 2684 2685 DIKE: Die himmlische Gerichtsbarkeit hat Grenzen 2686 nur im Maß der Strafen die zu verhängen 2687 sie entschlossen ist. Nicht ob zu strafen, 2688 sondern wie schwer die Strafe sollte sein 2689 ist was entschieden werden muss. 2690 2691 MOECHTEGERN: Ich fürchte nicht, 2692 denn was uns hier begegnet, wird durch Vergeltung 2693 wesentlich verschlimmert, nicht behoben. 2694 2695 DIKE: Was Sie da sagen, Moechtegern, ist Unsinn. 2696 2697 MÖCHTEGERN:(Nach einer Pause) Euch Götter 2698 bitt' ich um Vergebung. Zwar sterblich, noch 2699 dazu dem Tod sehr nah, erdreist ich mich 2700 wie ich's versteh euch mitzuteilen. Denn eine 2701 andre Lehre ists die ich vertrete. 2702 Vergeltung, Aug um Aug und Zahn um Zahn 2703 hat Frieden nie, noch Freude je, beschert. 2704 Erinnern möcht' ich euch, wie schwer das Leiden 2705 das Helenas Entführung durch Vergeltung 2706 nicht über Troja nur, nein über's ganze 2707 Griechenland gebreitet hat. Wer wagt 2708 den schweren Schmerz der Rache zu erwägen 2709 den durch Vergeltungswahn die vielen Opfer, 2710 Achill und Agamemnon, Klytemnestra, 2711 Elektra und Orest und Iphigenie 2712 sich zugezogen haben. 2713 2714 DIKE: Du kleiner Naseweis, 2715 du willst mich, Dike, Göttin die ich bin 2716 in deine Fakultät matrikulieren? 2717 2718 MÖCHTEGERN: Ich schlag ergebenst vor, verehrte Göttin, 2719 wie dürft ich sonst zu Euer Gnaden sprechen? 2720 kein Mensch ist zu erfahren, 2721 kein Gott ist zu erhaben, 2722 sich eines Bess'ren zu belehren lassen, 2723 von seinen Fehlern endlich umzukehren. 2724 2725 APOLLO: Den Knirps, lass ihn nur reden. Hör' ihn an. 2726 Erspar' dir überflüss'gen Widerspruch. 2727 Sein Unsinn wird sich selber widerlegen, 2728 2729 MÖCHTEGERN: Griechisch gelehrte Götter die ihr seid, 2730 Melpomene mag's euch auf Grieschisch lesen, 2731 denn Worte sind die Schlüssel zum Verstehn. 2732 (Möchtegern reicht Dike ein schwarz eingebundenes Buch) 2733 2734 DIKE: 2735 (legt das Buch auf ein Lesepult und liest. 2736 Der Tonsetzer mag die Rezitative der Matthäuspassion, 2737 Johannespassion und des Weihnachtsoratoriums erinnern.) 2738 2739 38 Ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη, Ὀφθαλμὸν ἀντὶ ὀφθαλμοῦ καὶ ὀδόντα ἀντὶ ὀδόντος. 2740 2741 39 ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν μὴ ἀντιστῆναι τῷ πονηρῷ· 2742 ἀλλ᾽ ὅστις σε ῥαπίζει εἰς τὴν δεξιὰν σιαγόνα [σου], στρέψον αὐτῷ καὶ τὴν ἄλλην 2743 2744 40 καὶ τῷ θέλοντί σοι κριθῆναι καὶ τὸν χιτῶνά σου λαβεῖν, 2745 ἄφες αὐτῷ καὶ τὸ ἱμάτιον 2746 2747 41 καὶ ὅστις σε ἀγγαρεύσει μίλιον ἕν, ὕπαγε μετ᾽ αὐτοῦ δύο. 2748 2749 42 τῷ αἰτοῦντί σε δός, καὶ τὸν θέλοντα ἀπὸ σοῦ δανίσασθαι μὴ ἀποστραφῇς. 2750 2751 43 Ἠκούσατε ὅτι ἐρρέθη, Ἀγαπήσεις τὸν πλησίον σου καὶ μισήσεις τὸν ἐχθρόν σου. 2752 2753 44 ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν, ἀγαπᾶτε τοὺς ἐχθροὺς ὑμῶν 2754 καὶ προσεύχεσθε ὑπὲρ τῶν διωκόντων ὑμᾶς, 2755 2756 45 ὅπως γένησθε υἱοὶ τοῦ πατρὸς ὑμῶν τοῦ ἐν οὐρανοῖς, 2757 ὅτι τὸν ἥλιον αὐτοῦ ἀνατέλλει 2758 ἐπὶ πονηροὺς καὶ ἀγαθοὺς καὶ βρέχει ἐπὶ δικαίους καὶ ἀδίκους. 2759 2760 46 ἐὰν γὰρ ἀγαπήσητε τοὺς ἀγαπῶντας ὑμᾶς, τίνα μισθὸν ἔχετε; 2761 οὐχὶ καὶ οἱ τελῶναι τὸ αὐτὸ ποιοῦσιν; 2762 2763 47 καὶ ἐὰν ἀσπάσησθε τοὺς ἀδελφοὺς ὑμῶν μόνον, τί περισσὸν ποιεῖτε; 2764 οὐχὶ καὶ οἱ ἐθνικοὶ τὸ αὐτὸ ποιοῦσιν; 2765 2766 48 Ἔσεσθε οὖν ὑμεῖς τέλειοι ὡς ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ οὐράνιος τέλειός ἐστιν. 2767 2768 MÖCHTEGERN: (Arie) 2769 Falls ihr nicht Griechen seid und nicht erhaben 2770 nur Schwindler und vielleicht sogar aus Schwaben, 2771 und noch dazu auf dem Gymnasium 2772 Griechisch geschwänzt, hier ist's als Symbolum 2773 in euerer holden, zauberhaften Sprache. 2774 Ob ihr's versteht, ist eine and're Sache. 2775 2776 (Die griechische und/oder die deutsche Fassung der Bergpredigt, 2777 mag dem Tonsetzer beliebig, als Rezitativ, als Duet 2778 vertont werden. Aber auch mit der Vulgata als Trio, 2779 mit der KJV (King James Version) als Quartet, als Motette, 2780 als Choral oder als Chor. Keiner Vertonung wird's gelingen 2781 diese Texte verständlich zu machen.) 2782 2783 (Rezitativ) 2784 38 Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: “Auge um Auge, Zahn um Zahn.” 2785 39 Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; 2786 sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, 2787 dem biete den andern auch dar. 2788 40 Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, 2789 dem laß auch den Mantel. 2790 41 Und so dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei. 2791 42 Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, 2792 der dir abborgen will. 2793 43 Ihr habt gehört, daß gesagt ist: 2794 “Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.” 2795 44 Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; 2796 tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, 2797 so euch beleidigen und verfolgen, 2798 45 auf daß ihr Kinder seid eures Vater im Himmel; 2799 denn er läßt seine Sonne aufgehen 2800 über die Bösen und über die Guten 2801 und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. 2802 46 Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? 2803 Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 2804 47 Und so ihr euch nur zu euren Brüdern freundlich tut, 2805 was tut ihr Sonderliches? 2806 Tun nicht die Zöllner auch also? 2807 48 Darum sollt ihr vollkommen sein, 2808 gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist. 2809 2810 MÖCHTEGERN: (fährt fort) 2811 Es wird gelehrt wie ich's euch vorgelesen: 2812 Dem Bösen sollest du nicht widerstehen, 2813 und so dich einer auf die rechte schlägt, 2814 dann wend' ihm deinen Kopf und lass ihn auch 2815 die linke Backe schlagen. 2816 2817 DIKE: Das ist ja Unsinn, ist nicht ernst zu nehmen. 2818 Hat keinen Zweck darüber diskutieren. 2819 2820 EUTERPE: Erbaulich ist die Dichtung, ich geb's zu, 2821 jedoch bezweifeln dennoch möchte ich, 2822 dass jemals Nächstenliebe sich bewährte. 2823 Ein jeder Gott und eine jede Göttin 2824 sich selber liebt mit größ'rer Leidenschaft 2825 als ihre Nächsten, anders nicht als Menschen. 2826 Die Nächstenlieb' wird niemals durchgeführt; 2827 bestreite dass sie durchzuführen ist. 2828 2829 ERATO: Ich möcht' von Moritz hören, was er meint, 2830 ob ihm die Liebe ebenso erscheint. 2831 2832 MÖCHTEGERN: Vorerst ist's nötig darauf hinzuweisen, 2833 dass sich das Leben durch die Sprache nicht 2834 erschöpfen lässt. Worte sind Zeiger, und deuten 2835 an den Ort wo jeder sich allein befindet. 2836 2837 Dass diese Lehre die ich euch zitierte 2838 in ungepanschter, unverfälschter Weise 2839 in öffentlicher Handlung je erschiene, 2840 ist unwahrscheinlich. Wie, in welchem Maße, 2841 wie oft, von wem, und wo die hier gepries'ne 2842 Liebe im Inneren gepflegt sein möchte, 2843 ist unerkennbar wie das Innere selbst. 2844 Dabei ist als Voraussetzung bemerkbar, 2845 dass unsere Handlungen bewusst und klar, 2846 mit Wissen, mit bestimmter Absicht wären. 2847 Das ist verhängnisvoller, großer Irrtum 2848 der dem Verständnis arg im Wege steht. 2849 Die unbefangene Betrachtung zeigt 2850 sehr viel erklärend, doppelt Widersprüche 2851 wie Menschen mit einander überleben. 2852 Zugleich bedürfen und bedrohen wir 2853 einander, sind zu einander hingezogen 2854 und streben dennoch von einander fort. 2855 Besonders im Erwachsen, im Flieh'n von Eltern 2856 und Geschwistern aus der Kindheit, um bald 2857 mit neuen fremden Menschen zu verbinden 2858 und sich in weit're neue Umwelt fügen. 2859 Es tritt auch in der Eh', in der Entwicklung 2860 der Familie in Erscheinung. Dies sind 2861 die Mächte, zwar unscheinbar, doch sehr stark, 2862 die Existenz des Einzlnen zu erklären, 2863 die an der Wurzel der Gesellschaft liegen. 2864 2865 MELPOMENE: Und was bedeuten, welche Rollen spielen, 2866 selbstsüchtige Vergeltungsethik, 2867 die egoistische Gerechtigkeit 2868 wie Dike zuversichtlich sie vertritt? 2869 Was frommt uns liebende Verständnisethik 2870 die Sie uns als Alternative zeigen? 2871 2872 MÖCHTEGERN: Der kluge Arzt, so scheint es mir, 2873 lässt die Behandlung auf's Verständnis 2874 von der Krankheit fußen, und fragt 2875 um diese zu bestimmen, was schließlich 2876 als Gesundheit gelten möchte. 2877 Mein Denken folgt in seinen Spuren. 2878 2879 Ich seh die große Menschenmenge 2880 aus vielen Einzelnen bestehend 2881 die sich spontan zusammenfügt, 2882 um sich alsbald aufs Neue aufzulösen, 2883 sich gegenseitig unterstützend, 2884 wie hilfsbedürftig sie nun eben sind, 2885 um sich alsbald mit Konkurrenz bekämpfen. 2886 2887 ERATO: Wie kam es zu dem Krötenrettungsstreit? 2888 2889 MÖCHTEGERN: Wir haben unterschiedlichen Bedarf, 2890 beherrscht von widerstreitenden Gefühlen, 2891 denn einige, wie Krötenheim und ich 2892 bewegt die Sympathie mit kleinen Tieren. 2893 Andere sind Jäger und ergötzen sich 2894 an ihrer Macht über das fremde Leben. 2895 Sie töten das Lebend'ge weil es lebt. 2896 2897 EUTERPE: Und doch ist's wahr: 2898 wir alle essen mit Begierde Fleisch. 2899 2900 MÖCHTEGERN: Sie sind im Recht mit ihrem Einwand. 2901 2902 MELPOMENE: Wie werden wir die Gegensätze schlichten? 2903 2904 MÖCHTEGERN: Zuletzt scheint Schlichtung mir unmöglich. 2905 Wir lernen gegenseitig uns verstehen. 2906 Die Lehren die einander widersprechen, 2907 mögen als Schauspielinstruktionen gelten, 2908 wo Einzelleben und Zusammenleben 2909 sich gegenseitig unterstützen und 2910 ergänzen, dem Zufall planlos preisgegeben. 2911 Keines von beiden ist allein genug. 2912 Zusammen möglichen, erhalten sie 2913 das Menschenleben. 2914 2915 (Es klopft. Lump tritt ein, 2916 sein Adjudant Oberstleutnant Hahn, 2917 und seine Nebenfrau Ursula Schönstimm folgen ihm.) 2918 2919 LUMP: Ich stell mich vor, ich heiße Maga Lump, 2920 Ich bin der Krötenfeind und Gutsbesitzer. 2921 Dies mein Gehilfe Oberstleutnant Hahn, 2922 und Ursel Schönstimm, eines meiner Mädchen. 2923 Die Opernsängerin mit hohen Brüsten 2924 hat Schenkel herrlicher als ihre Stimme. 2925 2926 MELPOMENE: Der regen Phantasie die durch die Worte 2927 fast überflüssig wird, tun Sie ein Unrecht. 2928 2929 LUMP: Nein, Unrecht haben Sie an mir getan. 2930 2931 DIKE: Man schmeißt nicht ohne schicksalhafte Folgen, 2932 zerquetsche Kröten Göttern ins Gesicht. 2933 2934 LUMP: Drei Frauen waren es. Jetzt sind es vier. 2935 Der Fünfte scheint mir geichfalls auch ein Gott. 2936 Und diese beiden Knirpse, Möchtegern 2937 und Krötenheim, die haben sich vermutlich 2938 inzwischen gleichfalls auch vergöttern lassen. 2939 (zu seinem Adjudanten) 2940 Geh Hahn, und hol' den Eimer mit den Kröten, 2941 denn weitere Behandlung ist vonnöten. 2942 2943 SCHÖNSTIMM: Sei nicht so restlos übermütig Maga, 2944 Du kannst nie wissen was der Götter Zorn 2945 an weitrem Unheil dir bescheren möchte. 2946 2947 LUMP: Da hab ich keine Sorgen, Ursula, 2948 denn deine Stimme taugt die wilden Tiere 2949 zu bezähmen. 2950 2951 APOLLO: Die unerhörte Frechheit lechzst nach Strafe. 2952 2953 MÖCHTEGERN: Gelegenheit für einen hohen Gott 2954 statt der Vergeltung das Verstehen prüfen. 2955 2956 APOLLO: (zu Lump und dessen Begleitern) 2957 Ihr mögt es diesem klugen Freund verdanken, 2958 dass euch der Blitz nicht augenblicklich schon 2959 zerspalten hat. 2960 2961 LUMP: Wir sind gekommen Klage einzureichen. 2962 2963 DIKE: Mich dünkt Sie finden sich am falschen Ort, 2964 Bedenken Sie: die Klag' zeugt Gegenklage. 2965 [und außerdem veranlasst Klage Gegenklage.] 2966 2967 APOLL: Was wäre denn der Inhalt der Beschwerde? 2968 2969 LUMP: Die widerrechtliche Entwendung meines Eigentums. 2970 2971 DIKE: Ein weites Thema ist's. Sie meinen wirklich, 2972 dass es hier angeschnitten werden sollte? 2973 2974 KRÖTENHEIM: Ich lege Klage für die Kröten ein, 2975 ruchlos getötet, wobei man vergisst, 2976 dass auch die armen Kröten Seelen haben, 2977 die ewig leben werden, wie die unsrigen. 2978 2979 MÖCHTEGERN: Wenn ich die Streitigkeiten recht begreife, 2980 so geht's um drei verschiedene Probleme. 2981 Erstens dass Kröten überfahren wurden, 2982 hinzu kam dann die Auseinandersetzung 2983 mit Herrn Lump, die einerseits mit Schmeißen 2984 toter Kröten endet, und mit Enteignung 2985 im Katasteramt. Es führt der Aufstand 2986 von den treuen Lumpenloyalisten, 2987 bis an die Schwelle eines Bürgerkriegs. 2988 Um den zu schlichten, ist Apoll, 2989 der Gott des Lichtes, selbst erschienen. 2990 Er wird den großen Streit zu schlichten wissen, 2991 wird endlich den ersehnten Frieden stiften 2992 der alle Streitigkeiten einbeschließt. 2993 Hab ich es recht erzählt? 2994 2995 APOLLO: Herr Möchtegern, 2996 Sie haben meine Anerkennung sich verdient. 2997 Ich zolle ihnen meine Achtung. 2998 2999 MÖCHTEGERN: Erlauben Sie mein hochverehrter Gott, 3000 noch eine weitere Betrachtung. Was ich 3001 erblicke ist ausladendes Gefüge, 3002 ist Zwistigkeit die jetzt zur Schlichtung drängt. 3003 Bei weitem ehr berichtet als getan. 3004 Ich will mich nicht erdreisten mit Versuch 3005 die Grenzen eurer Macht zu setzen, 3006 und doch soll's ausgesprochen sein, 3007 dass es aus ird'scher Perspektive klug erscheint 3008 endgült'ge Lösung der verschiedenen Konflikte 3009 hintanzustelln, und sich damit begnügen, 3010 unmittelbaren Missstand zu beheben, 3011 vorläufig und vorübergehend nur. 3012 Die Zeit verwandelt, manches macht sie besser, 3013 bedarf dann keiner weiteren Behandlung. 3014 manches wird schlimmer, erkrankt und stirbt von selbst. 3015 Die Zeit wirkt Heilung hier und stiftet anderswo 3016 Verletzung, Krankheit, ungeahntes Leiden. 3017 Als Mensch würd ich Verbessrung nur, 3018 völlige Heilung aber nicht erstreben. 3019 3020 ERATO: Mein Möchtegern, du bist ein weiser Mann. 3021 Dich anzuhören ist mir solche Freude, 3022 dass ich, muss schämen mich es auszusprechen, 3023 um deinen klaren klugen Geist zu spüren, 3024 die Problematik fast willkommen heiße, 3025 wenngleich sie das Entsetzlichste berührt. 3026 3027 APOLLO: Mein lieber Möchtegern, 3028 Beschränkung wie du Menschen auferlegst, 3029 nehm ich auch für uns hehre Götter an. 3030 Die Lösung die ich suche ist nicht endlich. 3031 Zufrieden bin ich wenn es mir gelingt 3032 der Menschen Existenz vorübergehend 3033 erleichtern und erträglich zu gestalten. 3034 3035 MÖCHTEGERN: Am Anfang steht die große Frage, 3036 Beschwichtigung des Aufstands der Miliz. 3037 Mit dessen Schlichtung halt ich es für möglich, 3038 dass Weitres sich von selber lösen mag. 3039 3040 APOLLO: Mir stellt sich aber eine weitere Frage: 3041 Wie sollen wir Vergeltungs- und Verständnis- 3042 ethik miteinander zu versöhnen? 3043 3044 MÖCHTEGERN: Ich fühl' mich, großer Gott, geehrt 3045 um meinen Rat befragt zu werden, 3046 und will mein Bestes tun, Sie nicht zu ärgern, 3047 Sie nicht zu stör'n, mich dienlich zu erweisen, 3048 und Ihnen dann so gut ich es vermag, 3049 aus meiner Niedrigkeit behilflich werden.. 3050 Vorerst erlauben Sie mir hinzuweisen, 3051 wie Ethik mit Vergeltung und Verstehen 3052 zugleich sich widerlegt und doch ergänzt. 3053 Erst beide machen die Gemeinschaft möglich, 3054 gefährden dann den Bau den sie geschaffen. 3055 Mein Vorschlag ist ein Kompromiss entwerfen. 3056 Das Instrument das dieses Kompromiss 3057 bewirken kann, ist Schauspiel, ist Theater. 3058 Der Ort des Kompromisses ist die Bühne 3059 die nun zum trüben Weltenspiegel wird. 3060 3061 APOLL: Geläuf'ge Meinung sieht den Mensch getrennt 3062 und unberührt von dem was er erlebt. 3063 Entsprechend möchte Schauspiel auf der Bühne, 3064 als unabhängig von dem Ich verstanden 3065 und auch von der Person betrachtet werden. 3066 Zuwider dem behaupten ich, und sage, 3067 des Menschen subjektives Wesen ist bestimmt 3068 und ist erkennbar lediglich in dem Erleben. 3069 Des Menschen objektives Wesen ist bestimmt 3070 und ist erkennbar lediglich in dem Betragen. 3071 Und so besteht des Menschen Wirklichkeit 3072 in dem was er erlebt und was er tut, 3073 und nirgends sonst. 3074 3075 Gewöhnlich werden des Einzelnen Erleben, 3076 und sein Betragen als willentlich geschätzt, 3077 vermeintlich von ihm selbst bestimmt. 3078 genauer aber, sind's sein Wesen, 3079 die Lage wo er sich befindet, 3080 wovon bestimmt wird wie er sich benimmt. 3081 3082 Im Schauspiel ist es anders. 3083 Da ist's der Dichter, der Dramatiker 3084 der das Erleben, der die Handlungen 3085 der Schauspieler erklügelt und erfindet, 3086 und nicht weniger bedeutend, 3087 die Umstände des Lebens das er lebt. 3088 Das Schauspiel gibt bemerkenswerte Leitung 3089 zur der Behandlung des Problems 3090 das sich aus Krötenrettungen ergibt, 3091 in seinen tiefsten, und wenn ich es sagen darf, 3092 in Dimensionen die am meisten tragisch 3093 und traurig sind. 3094 Entsprechend ist der Wörterbau bedeutsam, 3095 der Text, der Inhalt den das Spiel kündet, 3096 so wie wir's hier entwerfen müssen. 3097 3098 Ein solcher Entwurf ist die denkbar größte Aufgabe. 3099 Vermag mir keine vorzustellen 3100 die mehr bedeutend wäre. 3101 Es kann das Schauspiel Mittel werden, 3102 das Instrument wodurch der Anfang 3103 die Welt zu ändern möglich wird. 3104 So ist die Antwort zu der Rettungsfrage 3105 ausgesprochen. Das Echo dieses Denkens 3106 wirst du in meiner Rede hören. 3107 Jetzt ist es Zeit dem Aufstánd mich zu wenden. 3108 (Apollo verschwindet.) 3109 3110 (Überall sind Lautsprecher angebracht, 3111 doch das Mikrophon dessen Apollo sich bedient 3112 ist nirgends in Sicht. 3113 Eindeutig und klar hallt jetzt Apollos Stimme 3114 über das unruhig schäumende Menschenmeer.) 3115 3116 APOLLO: Die unbedingte Bürgerpflicht ist Ruhe. 3117 Was ihr im Sinne habt ist mir bekannt. 3118 Unnütz ist der Versuch es zu verhüllen. 3119 Zwar Heraklit behauptet, alles fließt 3120 und alles ändert sich. In euerm Fall 3121 jedoch verbleibt ein jeder der er ist. 3122 Von euch kann keiner jemals anders werden, 3123 und euer Schicksal ist unwandelbar. 3124 Ich nehme jeden von euch wie er ist. 3125 3126 Denn euch steht nichts zur Wahl. Bin nicht gesinnt 3127 um eure Gunst mich schmeichelnd zu bewerben, 3128 gesonnen nicht euch guten Rat zu geben. 3129 Ich stehe hier und ich befehle euch. 3130 Hab nicht die Absicht dumme Herdenmenschen 3131 in kluge Demokraten umzuzaubern. 3132 I bettle nicht, nein ich gebiete euch. 3133 Das Licht der Sonne ist in meiner Macht, 3134 und wenn ihr nicht gehorcht, schalt ich es aus, 3135 und lasse euch in schwarzer Nacht verkommen. 3136 3137 Zunächst will ich euch sagen wer ich bin: 3138 Apoll, der Sohn des Zeus, des höchsten Gottes, 3139 Hab mich erniedrigt hier euch zu besuchen, 3140 bezwecke keineswegs wie ihr zu werden, 3141 hab's nicht im Sinn als Mensch euch zu erscheinen. 3142 Ich will nicht angebetet werden 3143 weil schön erscheinend an der Oberfläche. 3144 Sind wir nicht alle hässlich wie die Kröten, 3145 ein jeder krötenartig in der eignen Weise? 3146 Ich trete auf als nur ein Lebewesen, 3147 wie beispielhaft die kleine arme Kröte. 3148 Denn Schönheit zu begreifen wäre einzusehen 3149 wie schön die Kröte, weil sie hässlich ist. 3150 Bezweifle ob ihr's je erfahren werdet. 3151 Freiwill'ges Tun ist nicht in unserer Macht. 3152 Die Tugend, Wahrheit und was wirklich ist 3153 gibt's nur im Schauspiel; dort ist's vorgetäuscht. 3154 Werte sind vorgespiegelt; erscheinen nur im Glas, 3155 und sie erweisen sich als Widersprüche. 3156 3157 Gesteh dass es nicht wahr ist vorzugeben 3158 dem kategor'schen Imp'rativ zu folgen. 3159 Doch trotzdem geb ich kategorische Befehle. 3160 Ein jeder muss ein Einz'lner werden, 3161 muss lernen Licht und Wahrheit zu erkennen, 3162 bewahren und zu sagen. Muss lernen 3163 den Nächsten wie sich selbst zu lieben, und 3164 Gerechtigkeit zu üben. Ich geb euch zu 3165 wie widersinnig alles ist, und sinnlos. 3166 Denn was ich euch befehle ist unmöglich. 3167 Wahrheit ist auf den Einzelnen gemünzt. 3168 So auch die Tugend. Ihr seid Herdentiere. 3169 Euch ist's unmöglich Einzelne zu sein. 3170 Der höchste Geist ist euch die Dudensprache. 3171 Ausdruck des äußeren und des inneren Zwangs 3172 auch in Betreff auf Sprache, und besonders hier, 3173 genauso sprechen wie die Anderen, 3174 genau wie sie ein Herdentier zu sein. 3175 Und doch sollt jeder sich benehmen 3176 als ob er schließlich nun ein Einzelner wäre. 3177 Sprache ist beides, Handlung und Erscheinung. 3178 Ethischer Wert ist ihr die Wahrheit. 3179 Ästhetisch baut sie auf Grammatik. 3180 Und Tugend widerlegt sich selbst; ist Widerspruch. 3181 3182 APOLLO: (fährt fort) Mein erster Befehl an Euch, 3183 die ihr nun Schauspieler seid, 3184 ist dass ihr unterlasst euch zu rächen, 3185 wie dringend auch immer ihr Rache begehrt. 3186 Vergeltung steht auf keinem Programm. 3187 3188 Mein zweiter Befehl ist, 3189 dass ihr den Versuch vorgebt, einander zu verstehen, 3190 wie schwierig es auch immer sei. 3191 3192 Mein dritter Befehl ist, 3193 dass ihr so tut als ob ihr euch 3194 gegenseitig verehrt. 3195 3196 Mein vierter Befehl ist, 3197 dass ein jeder von euch vorgibt 3198 seinen Nächsten, seinen Nachbarn zu behandeln 3199 wie er selbst behandelt zu werden begehrt. 3200 3201 Mein fünfter Befehl ist, 3202 dass ihr erkennt und nie vergesst, 3203 dass ihr Schauspieler seid, und 3204 dass ihr euch wie Schauspieler betragt, 3205 und an dem Schauspiel beteiligt 3206 wie ich es vorgeschrieben hab. 3207 3208 Es ist nur ein einziges Schauspiel, 3209 und es hat ein Ende. 3210 Es ist nicht übermäßig lang, 3211 Es ist aber rekursiv, das heißt, 3212 des Schauspiels Ende ist sein nächster Anfang, 3213 so dass es stets in ein neues Schauspiel mündet. 3214 Daher wird euer Leben zum niemals endenden Schauspiel, 3215 wie ich es vorgeschrieben hab. 3216 Und so vergeht das Leben euch als Schauspiel. 3217 Die einzige Erlösung ist der Tod. 3218 Und nun fangt an euch fleißig einzuüben 3219 indem ihr all' zusammen mit mir singt: 3220 3221 In diesen heil'gen Hallen, 3222 Kennt man die Rache nicht. -- 3223 Und ist ein Mensch gefallen; 3224 Führt Liebe ihn zur Pflicht. 3225 Dann wandelt er an Freundeshand 3226 Vergnügt und froh ins bess're Land. 3227 3228 In diesen heiligen Mauern, 3229 Wo Mensch den Menschen liebt, 3230 Kann kein Verräther lauern, 3231 Weil man dem Feind vergiebt. 3232 Wen solche Lehren nicht erfreu'n, 3233 Verdienet nicht ein Mensch zu seyn. 3234 3235 APOLLO: (fährt fort) Ich glaub' das nicht; 3236 auch ihr habt keinen Grund daran zu glauben, 3237 weil es gelogen ist. 3238 Den inneren Feindseligkeiten 3239 kann die Gesellschaft nicht entkommen. 3240 Gesellschaft kann der Lüge nicht entbehren: 3241 Die Wahrheit wird vom Einzelnen erkannt. 3242 und nur der Einzelne kann sie erleben. 3243 Für die Gesellschaft ist die Lüge unerlässlich. 3244 Vielleicht, wenn man, wie's Credo in der Messe, 3245 das was zu glauben vorgeschrieben ist, 3246 immer und immer wieder wiederholt, 3247 fängt auch der Einzeln ist daran zu glauben 3248 bis eines Tages er die Lüg als Lüge 3249 zu erkennen lernt, 3250 und schließlich so zur Wahrheit hingelangt. 3251 Dann würde er durch seinen Glauben so verwandelt, 3252 dass Lüge Wahrheit wird. 3253 3254 (Wendet sich zu den bewaffneten Truppen 3255 die zögern ihre Waffen niederzulegen.) 3256 Legt euere Sturmgewehre auf den Haufen 3257 von wo ich sie demnächst verschrotten lasse. 3258 Übt euch in eure Schauspielrollen ein. 3259 Dort sind Regale mit Gesetzesbänden. 3260 Geht, schlagt sie auf und lest und lest 3261 bis eure müden Augen euch versagen 3262 und tut als ob ihr was ihr lest verstündet. 3263 Geht an die Schränke, sucht euch Formulare 3264 und füllt sie aus. Verfertigt was euch leer 3265 und sinnlos dünkt, als ob's euch heilig wär. 3266 3267 (Die bewaffneten Truppen haben begonnen 3268 sich in das verordnete Schauspiel einzuüben. 3269 Sie haben ihre Sturmgewehre auf einen Schrotthaufen gelegt, 3270 und haben sich an Tische begeben, 3271 die von Dienern in den Vordergrund der Bühne geschoben sind. 3272 Auf einem großen Bildschirm im Hintergrund 3273 erscheinen Einkommensteuer und andere Formulare 3274 mit deren Ausfüllung (completion) die ins Schauspiel 3275 abgedankten Empörer sich nunmehr beschäftigen müssen.) 3276 3277 APOLLO: (wendet sich zu Dike) 3278 Versteh ihn, Dike, und vergiss ihn nicht, 3279 den großen Dienst der von euch Rechtsgelehrten 3280 geleistet wird den Göttern wie den Menschen. 3281 Dass Euchs gelingt den künft'gen Übeltäter 3282 mit ungezählten Regeln und Gesetzen 3283 von den Gewaltverbrechen abzulenken. 3284 So lange sie in euerm Kleinkram wühlen 3285 so lang sie eure Formulare schreiben, 3286 sind sie mit anderem beschäftigt, 3287 als gegenseitig sich erschießen. 3288 3289 (wendet sich zu den Aufständischen) 3290 Doch diese lebenslangen Pflichten 3291 befehl ich, sollt ihr täglich unterbrechen 3292 und aufmarschiern zum Kriegerfriedhof 3293 wo Kameraden die sich gegenseitig 3294 totgeschlagen, sind begraben. 3295 Dort knieet nieder, 3296 auf was ihr fühlt und denkt kommt's garnicht an, 3297 doch tut als ob ihr Reue spürt. Versprecht, 3298 bedenkt's so gut ihr es vermögt, 3299 und nehmt's so ernst wie es euch möglich ist, 3300 dass ihr in ew'gem Frieden mit einander 3301 das Leben wollt vollbringen, und dann 3302 marschiert zurück, seid zuverlässig 3303 gedanken- und gewissenlos, Beamten. 3304 3305 APOLLO (fährt fort) 3306 3307 Die Krötensache sollte weiterhin 3308 nicht euch noch den Herrn Lump besorgen. 3309 Die lässt sich technisch lösen. 3310 Die Straße der Gefahr zu unterqueren 3311 hab ich den Bau von großen Abflussröhren 3312 verordnet, dass von nun an Kröten 3313 nur unterhalb dem rasenden Verkehr, 3314 vor ihm geschützt und ungefährdet, 3315 von ihren heimatlichen Feldern 3316 in Krötenheim ins Tierschutzparadies 3317 die Wandrung ungefährdet machen können. 3318 3319 MELPOMENE: 3320 Ihr rügt mir mein Verhältnis zu Herrn Lump. 3321 Es ärgert euch, dass ich ihm wohlgesinnt. 3322 Mein freundliches Verständnis ist euch gram. 3323 Nennt's Liebe wenn ihr wollt. Und scheinbar habt 3324 vergessen, wer ich bin. Ich heiß Melpomenē‚ 3325 die Sängerin von trag'scher Dichtung 3326 und von Trauerliedern, bin auch die Älteste 3327 von uns, und deshalb dünk ich mich verantwortlich 3328 für unser Unternehmen und Betragen. 3329 Der Maga Lump ist Held des Trauerspiels. 3330 Beseht ihn nur von welcher Richtung immer 3331 wie ihr wollt. Er ist so wie er ist, 3332 und deshalb ist ihm nicht zu helfen. 3333 Vielleicht bedauern oder sonst beklagen 3334 mögt ihr ihn. Was aber hülfe das? 3335 3336 Wär nicht vielleicht mit einem solchen Mann 3337 verehelicht zu sein die größte Tragik 3338 die eine Frau befallen möchte, für sie 3339 ein Unglück, doch für ihn das größte Wunder. 3340 So waltet Dialektik auch in der Eudämonie. 3341 Und da mein Amt die Trauerlieder sind, 3342 sollt ich sie singen nur, und spielen? 3343 Ist es nicht meine Pflicht ins Innerste 3344 verwoben sein wovon ich singen muss? 3345 Die Ehe ist des Menschen höchstes Glück, 3346 zuweilen auch die größte Katastrophe. 3347 Wie wäre es mit meinem Amt vereinbar 3348 mich nicht mit dem Verworrnen zu verbinden, 3349 um es zum Licht, zum Heil'gen zu bekehren? 3350 Das Äußerste zu wagen und zu sein, 3351 das ist erhabene Pflicht nicht nur der Menschen, 3352 vielleicht in höhrem Maße noch der Götter, 3353 die Menschen als ihr Vorbild dienen müssen. 3354 3355 Wärs mir erlaubt als Sängerin des Tragischen 3356 in eine Eh' die glücklich ist mich zu begeben? 3357 Ihr meint ich sollte mich in keinem Fall, 3358 in eine Ehe binden lassen. Wär aber 3359 nicht allein zu sein das höchste Glück? 3360 Wie wäre solch ein Glücksgefühl vereinbar 3361 mit meinen Pflichten, amtlichem Beruf? 3362 Der Richtige, wenns einen gibt für mich, 3363 der wird auf einmal da stehen, und mich anschaun 3364 wird mich verdächtigen um mein Vertrauen, 3365 wird mich beleidigen und elend machen. 3366 Ich weiß, so geht's in vielen Ehesachen. 3367 3368 EUTERPE: 3369 Und Ursula, was sagt die große Sängerin, 3370 angeblich seine Gattin, tatsächlich aber nur, 3371 eine der vielen Kebsen die Lump unterhält, 3372 zu deiner vorgeschlagenen Verbindung 3373 mit Maga Lump? Was sagt die Schönstimm 3374 zu deiner künftgen Zugehörigkeit 3375 zur Lumpfamilie? 3376 3377 APOLL: Gerechte Frage, 3378 auf die ich keine Antwort habe. 3379 3380 URSULA SCHÖNSTIMM: 3381 Verehrter Herr, verehrter Gott Apoll, 3382 Vertret mich selbst, ich brauche keinen Sprecher. 3383 Bin selber fähig meinen Standpunkt zu erklären. 3384 Schauspiel ist mein Beruf, liegt tief in meinem Wesen. 3385 Und bessre Vorbereitung für diese Lumpenehe 3386 ist mir kaum vorstellbar. Es ist mein Bühnenamt 3387 zu tun als ob ich mich von jedem Mann, 3388 welchen der Intendant wenn nicht sogar 3389 der Regisseur für mich gewählt, 3390 umarmen, küssen, herzen, fast begatten ließe. 3391 Wär solche Kupplung ernst zu nehmen? 3392 Für mich ist alles Witz, denn alles ist nur Spiel. 3393 Besonders meine Lumpeneh ist Maskerade. 3394 Für einen Mann wie ihn gibt's keine Ehefrau. 3395 3396 Auch sind Beziehungen zu ihm weit weniger 3397 belästigend als man's sich denken möchte, 3398 denn seine Manneskraft, und fragt mich nur nicht 3399 wann und wie, kam längst abhanden. 3400 Im Bette ist von ihm so wenig zu befürchten 3401 so wenig zu erhoffen, wie von einem Kind 3402 das nur fünf Jahre zählt. 3403 So heiß ich Melpomene herzlichst willkommen, 3404 wenn nicht als Nebenfrau, dann als Kommödienschwester. 3405 Auch sie wird weder Freud noch Leid 3406 von Maga Lump zu fürchten, zu erwarten haben. 3407 Ich heiße Melpomene mir willkommen 3408 als Freundin auch und Lehrerin, 3409 die mich in meiner Kunst zu höheren 3410 Errungenschaften leiten wird. 3411 3412 APOLL: Herr Maga Lump, was sagen Sie dazu. 3413 3414 LUMP: Mein wahres Amt ist Leiter, nein Besitzer, 3415 von einem Damenschönheitwettbewerb. 3416 Da heiß ich alles Weibliche willkommen. 3417 Sind alle Mädchen. Solang es mir gelingt 3418 mit eignen Händen Brust und Lenden zu bewerten, 3419 ist's mir belanglos was sie über mich berichten. 3420 Denn nichts berührt mich und ich weiß zu dichten. 3421 3422 APOLL: Herr Lump, was Sie mir da erzählen 3423 das ist uns Göttern überaus verständlich. 3424 Doch in der Erdenordnung die wir stiften 3425 ist das Geschäft das sie betreiben 3426 kein amtlich zugelassener Beruf. 3427 3428 LUMP: Wieso, ist nicht das Richten 3429 angesehenste Betätigung? 3430 Ich bitte, schreiben Sie es in die Bücher, 3431 dass ich ein Richter bin. 3432 Beschränkung auf das Weibliche ist überflüssig. 3433 Ich bin bereit zu richten, 3434 auch über Wahrheit und Gerechtigkeit. 3435 So will ich allgemeiner Richter werden, 3436 Bestimmen will nicht nur was schön und hässlich ist, 3437 will nicht nur anschaun dies bestimmte Mädchen, 3438 obs schöne Brüste oder Schenkel hat. 3439 Besonders über Wahrheit will ich richten, 3440 den Streit um wahre Lüge will ich schlichten. 3441 Bestimmen werd ich ob die Schönheit echt, 3442 Entscheiden will ich über gut und schlecht. 3443 3444 MÖCHTEGERN: Das ist ein Anspruch 3445 der Katastrophenfolgen nach sich zieht. 3446 3447 DIKE: Sie waren's Möchtegern, wenn ich mich recht besinne, 3448 der sich erdreistete mich über eine Ethik 3449 des Verstehens zu belehren. 3450 3451 APOLL: (zu Lump) 3452 Da's nur, und grade weil's, das Schauspiel fragt, 3453 das wir hier inszenieren, werd ich dich ehren, 3454 und deine tolle Bitte dir gewähren. 3455 Des Schauspiel's Wahrheit deutlich uns besagt, 3456 dass Tugend nichts ist als ein trügend Gleis, 3457 und dass ich deinen Geist zum Richter nenne, 3458 ist schlüssigster endgültiger Beweis, 3459 dass ich der Wahrheit wahrstes Wesen kenne. 3460 3461 MÖCHTEGERN: Verehrter Herr, verehrter Gott Apoll, 3462 erlaubt mir darauf hinzuweisen, 3463 dass Maga Lump von alledem 3464 das durch ein göttliches Gemüte geht, 3465 auch nicht das Mindeste versteht. 3466 3467 APOLL: Du, Möchtegern, Du bist es der's versteht, 3468 und weil die Wahrheit dir zu Herzen geht, 3469 nenn ich in diesem Spiel dich Oberrichter, 3470 der über Revisionen und Berufung waltet, 3471 und mannigfaltges Schicksal schaltet. 3472 und so der großen Ungerechtigkeit 3473 den güldnen Schein von Recht und Wahrheit leiht. 3474 Denn wie das Schauspiel Inbegriff von Lügen, 3475 so wird es deine Pflicht als Oberrichter, 3476 mit Wahrheit Lüge zu betrügen 3477 und Wahrheit vorzutäuschen mit dem Lügen. 3478 Bin zuversichtlich dass du wirst's vermögen, 3479 du bist der Seltene der es versteht, 3480 wie's mit der wahren Lüge geht. 3481 3482 MÖCHTEGERN: Verehrter Herr, verehrter Gott Apoll, 3483 ich fühle mich gedrungen die schwere Pflicht 3484 die Ihr mir zugewiesen anzunehmen. 3485 Doch bitt ich als Entgelt ein kurzes Leben, 3486 und ohne Wiederholung, ja, auch nicht 3487 in überirdisch himmlischem Bezug. 3488 Denn einmal leben ist mehr als genug. 3489 3490 APOLL: Auch diese Bitte will ich dir erfüllen. 3491 Du brauchst nicht leben gegen deinen Willen. 3492 3493 ERATO: Und ich bestehe auf mein göttlich Recht 3494 bei ihm, bei Moritz Möchtegern zu bleiben, 3495 ihm meine Liebe bis ans Ende zeigen. 3496 Ich hab ihn oft gefragt wie er drum dächte, 3497 und er hat zugesagt, dass er es möchte. 3498 3499 MÖCHTEGERN: Das stimmt, ich sag und singe immerzu: 3500 Bist Du bei mir, geh ich mit Freuden, 3501 zum Sterben und zu meiner Ruh! 3502 3503 URSULA: Wie gerne hätt' auch ich den treuen Freund 3504 der mich im Sterben um Gesellschaft bittet! 3505 Doch dazu braucht ich einen tiefen Schatten, 3506 wenn nicht gar einen lieben treuen Gatten. 3507 Vielleicht dass meine neue Musenfreundin 3508 mir helfen wird, den Schatten zu besorgen. 3509 ihn mir zu schenken oder mir zu borgen. 3510 3511 APOLL: (Zu Euterpe) Für Melpomene, für Erato, ist gesorgt. 3512 Was aber wird aus dir? 3513 3514 EUTERPE: Ich bleibe hier. 3515 Kein Zeus, kein Hermes, kein Apoll, vermag's 3516 mich auf den schneeigen Olymp zu locken. 3517 Der Graf von Krötenheim und ich, 3518 wir haben heimlich gegenseitig, 3519 dem anderen das eigne Herz geschenkt. 3520 und nun die Liebe unsre Zukunft lenkt. 3521 Ich werde werden Gräfin Krötenheim. 3522 und will ihm stillen alle Liebesnöte 3523 als wär ich seine schönste Kröte. 3524 3525 KRÖTENHEIM: Das stimmt. So haben wirs versprochen. 3526 Und ders bezeugen kann heißt Jochen. 3527 3528 APOLL: Was bleibt noch übrig? 3529 Nichts als die Berufe zu bestimmen 3530 welche der ausgemusterten Miliz gebühren. 3531 3532 ERSTER PATRIOT; Verehrter Herr, verehrter Gott, 3533 wir haben's unter uns besprochen, 3534 und bitten nun Euch um Genehmigung 3535 für unsern Vorschlag, hier ist unsre Lösung: 3536 Die Patrioten in den braunen Uniformen 3537 sie werden Amtspersonen aller Art, 3538 vornehmlich Steuern einzuziehen, 3539 Beamten die nicht nur mit Geld, zusätzlich 3540 auch mit der Gelegenheit besoldet, 3541 die Menschen ihnen untertan zu schickanieren. 3542 Die in den schwarzen Uniformen werden Schlächter, 3543 Henker und Polizisten und Gefängniswärter, 3544 und ins besondere werden sie Soldaten. 3545 Pastöre und Rabbiner wie auch Priester, 3546 Wir feiern sie als ausgesuchte Biester. 3547 3548 APOLLO: (Zum ersten Patrioten) 3549 Ich bin mit deinem Vorschlag einverstanden, 3550 vorausgesetzt, der Vorsatz ist vorhanden 3551 die Ioten der Gesetze zu beachten 3552 mit Absicht einst zum Himmel aufzufahren; 3553 vorausgesetzt, ein jeder wird verpflichtet 3554 die Ehrfurcht vor dem Leben zu bewahren 3555 und fernerhin auf blutgen Mord verzichtet. 3556 Der Schlachter muss beim Schlachten 3557 den Anschein großer Lieb und Ehrfurcht 3558 für seine Opfer vorzutäuschen lernen, 3559 wichtiger noch der Henker, Nächstenliebe 3560 für jeden den er je zum Galgen triebe, 3561 und Polizisten und Gefängniswärter 3562 paulinsche Agape und liebevollen Glauben 3563 an Menschen deren ihrer Freiheit sie berauben. 3564 Den Geistlichen, als ob's sich nicht verstünde 3565 ist Mensch und menschlich sein die große Sünde. 3566 Der Mensch ist tierisch, und das Tier ist schlecht. 3567 Nur was von Gott gefaselt wird ist echt. 3568 3569 Was nun das einstge Eigentum Herrn Lumps betrifft, 3570 gewährt sei ihm auf Lebenszeit, will sagen, 3571 auf Schauspielzeit, das Recht zu wohnen dort 3572 und es zu nutzen, bis an sein selig Ende. 3573 3574 ERSTER PATRIOT: 3575 Ich stehe zu Befehl, mein Feldmarschall, 3576 Gehorsam ist mir ins Gebein getrieben, 3577 Gehorsam ist mir ins Gemüt geschrieben, 3578 Ich folge meinem Führer überall. 3579 Befehl er was ich tun und lassen soll 3580 Gehorchen werd ich meinem Gott Apoll! 3581 3582 ZWEITER PATRIOT: Auch ich gehorche meinem Gott Apoll, 3583 von nun an lieb ich Kröten wie ich soll. 3584 Ich werd die Erdenordnung nimmer stören. 3585 Weil alle Dinge hier Apoll gehören. 3586 3587 DRITTER PATRIOT: Und ich erkläre mich entlumpisiert. 3588 Von Krötenhassen hab ich nie gehört. 3589 Werd als Verständnisprediger mich dingen, 3590 statt von Vergeltung vom Verstehen singen. 3591 3592 LUMP: War einst ein Lump, bin jetzt ein Christ 3593 Christ also heiße ich an graden Tagen 3594 An ungeraden Tagen heiß ich Herakles. 3595 Ehrfurcht vorm Leben mir Devise ist. 3596 und schöne Tierchen sind mein Business. 3597 Wenn Ursula und Melpomen nicht schreien 3598 Lad ich in unser Bett, die schönste Krötin ein. 3599 3600 APOLL: Ich würd'ge ihr Verständnis, ihre Mitarbeit, 3601 einst war'n sie Maga Lump, heißen jetzt Christ, 3602 ihr Angebot sehr fein und edel ist, 3603 und doch scheint's überflüssig, geht zu weit, 3604 die Krötin gleich zum Beischlaf einzuladen, 3605 auch nicht gemeinsam sich mit ihr zu baden; 3606 bezweifle sehr, dass ihr's im Bett gefiele 3607 denn Liebessehnsucht ist hier nicht im Spiele. 3608 3609 (arie) 3610 ERATO: Ich bleibe hier. Ich geh nicht fort. 3611 führ Möchtegern den Haushalt hier am Ort 3612 Ich werde ihm bei philosoph'schem Denken 3613 der Götter Weisheit und Gedanken schenken. 3614 Wenn mich auch drum die andren Götter hassen 3615 ich werde Moritz Möchtegern nicht lassen. 3616 Ich liebe ihn auf dieser Erd am Meisten 3617 werd ihm so lang er lebt Gesellschaft leisten. 3618 3619 MÖCHTEGERN: (im Flüsterton) 3620 Ach, Erato, 3621 (fängt an zu singen) (Duet mit Erato) 3622 Bist du bei mir, geh ich mit Freuden 3623 zum Sterben und zu meiner Ruh. 3624 Ach wie vergnügt wär so mein Ende, 3625 es schlössen deine schönen Hände 3626 mir die getreuen Augen zu. 3627 3628 ERATO (Duet mit Möchtegern) 3629 Ich bin bei dir, wir gehn mit Freuden 3630 zum Leben und der Liebe zu. 3631 Gesegnet sei des Tages Ende 3632 Einst schließen meine treuen Hände 3633 dir die geliebten Augen zu. 3634 3635 KRÖTENSEELEN: (Im Chor) 3636 Chor der Krötenseelen 3637 3638 Hoch über den Wolken wir Krötenseelen 3639 wir krabbeln umher, uns wird nichts fehlen 3640 Tief unter uns sind die Menschen die streiten 3641 Sich schlagen und plagen nach allen Seiten. 3642 3643 Wir sehen wie sie die Welt zerstören, 3644 Wir gaben den Rat, sie wollten nicht hören 3645 Sie bilden sich ein, dass sie alles verstehn. 3646 Wir beobachten wie sie zu Grunde gehn. 3647 3648 Unsre Götter sind weder Dike noch Apoll 3649 Wir trauen der Natur die uns leiten soll. 3650 Im wassrigem Schlamm wo wir einst ersoffen 3651 lässt ewige Ruh auf Erlösung hoffen. 3652 3653 Für beschränkte Zeit wir zu Grunde gehn. 3654 Kein Zweifel ist's das wir auferstehn. 3655 ob den Menschen leuchtet ein ähnlicher Stern 3656 das mag Euch erzählen Herr Möchtegern. 3657 3658 APOLL: Nun auf die Bühne! Lasst das Spiel beginnen! 3659 3660 11 Nachspiel und Vorspiel 11 11 11 11 11 3661 3662 Nachgespieltes Vorspiel: 3663 3664 Blick auf einen wüst verwilderten Soldatenfriedhof, 3665 bestückt mit Fahnen vieler Länder. 3666 Die Gräber sind unterschiedlich mit Halbmond, mit Stern, 3667 und mit Kreuz angezeigt. 3668 Dazwischen liegen schlafende oder gefallene Soldaten 3669 mit gestreckten Gewehren. 3670 In allen Richtungen, auch über die Soldaten, krabbeln Kröten. 3671 Im Hintergrund drei ragende Kreuze. 3672 3673 Die Stimmen eines Chorals ertönen 3674 erst als sanftes kaum hörbares Orgelspiel, 3675 dann in vollem Chor: 3676 3677 "Ach Herr, lass dein lieb Engelein 3678 Am letzten End die Seele mein 3679 In Abrahams Schoß tragen, 3680 Den Leib in seim Schlafkämmerlein 3681 Gar sanft ohn eigne Qual und Pein 3682 Ruhn bis am jüngsten Tage! 3683 Alsdenn vom Tod erwecke mich, 3684 Dass meine Augen sehen dich 3685 In aller Freud, o Gottes Sohn, 3686 Mein Heiland und Genadenthron! 3687 Herr Jesu Christ, erhöre mich, 3688 Ich will dich preisen ewiglich! 3689 (Herzlich lieb hab ich dich, o Herr," 3. Vers , Martin Schalling, 1571) 3690 3691 Vorübergehend völlige Stille. 3692 Dann stürmischer Applaus, Händeklatschen, 3693 Fußstampfen, Gejohle und Gelächter. Der Vorhang fällt. 3694 3695 DAS ENDE 3696