19970101.00
Einst galten die Naturwissenschaften und ins besondere die
Physik, als wesentliche Bestandteile der Philosophie. Aber
seitdem sie sich als sachliche, objektive Wissenschaften entpuppt
(oder entwickelt) haben, sind sie dem Bereich der Philosophie
entzogen, und streben mit gaenzlich anderen Methoden als diese
ihren Zielen entgegen.
Die Naturwissenschaften, oder, wenn man will, die sachlichen
Wissenschaften, sind aus dem Bereich des Individuellen,
Persoenlichen, Subjektiven, in den Bereich des Allgemeinen,
Oeffentlichen, Unpersoenlichen, Objektiven gerueckt. Geschehen
ist dies infolge der Technik, infolge des Maschinenbaus, nicht
nur im aeusseren mechanischen, sondern auch im geistigen Sinne,
infolge eines Vorgangs welcher die Menschen abhaengiger von
einander geschaffen hat als sie es bisher waren, aber zugleich
das ihnen zur Verfuegung stehende Instrumentar unbeschreiblich
vergroessert und verstaerkt hat; so dass sie ihrer Neigung, ihrem
Drang zum Schaffen, zum Bauen, zum Gestalten, zur Kunst, mit
einer einst unvorstellbaren Ergiebigkeit nachzukommen befaehigt
sind.
Die sich aus dieser Entwicklung ergebende Frage ist, in
welchem Masse das bisher unabhaengige, inwendige, innerliche,
subjektive Wirken der Menschen gleichfalls gesellschaftlich
bestaetigt werden wird, und welche Gestalt eine solche
Bestaetigung annehmen, und welche Folgen sie nach sich ziehen
wird. Offensichtlich ist der Versuch die Psychologie ins
besondere, und die Geisteswissenschaften im allgemeinen in die
sachlich objektiven Bahnen der Physik einzulenken, gescheitert;
oder hat jedenfalls bis jetzt keine Frucht getragen.
Um sich einer Antwort dieser Frage zu naehern, ist es
tunlich was in der Physik vor sich geht eingehender zu
betrachten, und die Gebiete ihrer Gueltigkeit genauer zu
beschreiben und zu begrenzen, aber zugleich auch die im Glanz des
Erfolges uebersehenen Unzulaenglichkeiten acht zu haben.
Wenn man dies tut, dann wird klar in welchem Masse die
Gueltigkeit der Physik keineswegs in der unbedingten
Verlaesslichkeit ihrer Vorstellungen, ihrer Darstellungen,
sondern in deren Mitteilbarkeit beruht. Mitteilbarkeit
begruendet auch einen wesentlicher Teil der Gueltigkeit der
Mathematik, welche gewoehnlich als Beispiel der vollkommensten
Wissenschaft angefuehrt wird. Bezeichnend fuer den Mathematiker
ist die Faehigkeit seine subjektive Anschauung in ruchloser Weise
unter das Objektive zu beugen, die Faehigkeit, was ihm in dieser
Woche als objektiv gueltig vorgetragen wird, naechste Woche als
subjektiv notwendig zu erleben.
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