19970711.01

     Was heiszt es nun aber, dasz ich mir meines Wissens bewuszt
bin?  Heiszt das etwa dasselbe wie das ich mir meines
Nichtwissens bewuszt bin?  Denn das Wissen neigt ja dazu das
Bewusztsein des Ich auszutreiben.  Das Gewuszte ueberschattet und
uebertoent das wissende Bewusztsein.  Das Gewuszte verdraengt das
Bewusztsein.  Bin ich mir also meines Wissens bewuszt als
Gewusztem, so wird das Gewusste durch das Wissende (Bewusztsein)
beschraenkt, in bestimmten Grenzen gehalten.  Diese Beschraenkung
des Gewuszten durch das Bewusztsein ist der Inbegriff (essence)
sokratischen Zweifels.

     [ Vielleicht sollte man sich leihweise des husserlschen
Ausdrucks Transzendentale Reduktion bedienen, zwar in einem von
Husserls Gebrauch gaenzlich unabhaengigen Sinne. Jedoch ist das
Wort Reduktion, insofern es ein Zurueckfuehren besagt, fehl am
Platze.  Denn unsere Ueberlegung stellt es ja klar, dasz jenem
"Wissen" welches da vermeintlich "reduziert" wird, die Substanz
die es beansprucht entgeht; so dasz also nicht da ist, das
"reduziert" werden koennte, nur ein Scheinwissen, das als solches
entlarvt wird.  Sprechen wir also von der transzendentalen
Entlarvung des Wissens.]

     Bin ich mir also meines Wissens bewuszt als Gewusztem, so
bin ich mir zugleich bewuszt, dasz dies Wissen von der
Wirklichkeit unterschiedlich ist, und gerade dies: die
Unterscheidung von Wissen und Wirklichkeit ist worauf es ankommt.
Denn mit dieser Unterscheidung ist das Wissen in Beziehung zu dem
(wissenden) Bewusztsein gesetzt.

     Uebrigens ist es unklar inwiefern das Unterscheiden von
Gewusztem und Wirklichem das Bewusztsein anzeigt, oder umgekehrt:
inwiefern das Bewusztsein auf den Unterschied zwischen Gewusztem
und Wirklichen hindeutet.

     Diese Wiederentdeckung des Unterschieds von Wissen und
Wirklichkeit nach zweitausend Jahre Scholastik ist die grosze
Errungenschaft der Transzendentalphilosophie Kants, nur dasz auch
sie (vergleichbar mit Descartes) sich sofort in eine Beschreibung
des Verstandesvermoegens verirrt.  Denn wenn das Ding an Sich
unbekannt bleiben musz, so musz auch das Verstaendesvermoegen,
der Verstand an sich unbekannt bleiben: Die Mitteilung der
Erkenntnis kann niemals die Vermittlung eines Gegenstaendlichen
werden.

     Kant und Schopenhauer und vor allem die Idealisten
Schelling, Hegel und Fichte, verfallem alle demselben Fehler: sie
verwechseln den Begriff, das Wort, mit jenem Wirklichen das das
Wort anzudeuten beansprucht, das es jedoch nie zu erreichen
vermag.

     Neben der Erkenntnislehre, und diese ergaenzend ist die
Verstaendnislehre.  Die Erkenntnislehre belehrt uns ueber die
Beziehung des Namens, des Wortes, des Begriffes, des Gedankens
zur Wirklichkeit.  Die Verstaendnislehre belehrt uns ueber die
Beziehung des Namens, des Wortes, des Begriffes, des Gedankens zu
dem der ihn vernimmt oder ausdrueckt.

     => Die Anpassung des Geistes an die Wirkllichkeit => Die
Idealisierung als die unvermeidliche Erfindung von Idealen => Die
Grenzen (Limits) der Idealisierung => Die Entidealisierung => Die
Grenzen der Logik und der Metalogik

     => Die Anpassung des Geistes an die Wirklichkeit Es scheint
mir ein unbeachtetes Phaenomen, in welch hohem Masze sich die
Funktion (die Wirkungsweise) des (tierischen) Organismus an die
Wirklichkeit anpaszt, und von dieser gestaltet wird.  Wie der
Muskel an Staerke zunimmt, entsprechend der Belastung der er
ausgesetzt wird, und ebenso das Knochengeruest; wie die
Sehschaerfe sich nur als Reaktion auf den bildlichen Stimulus
entwickelt; das Sprachvermoegen, der eigenen sowohl als der
fremden Sprache, eine Anpassung auf die vernommene Rede ist, So
ist auch das Welt und Wirklichkeitsbild das wir hegen, die
Vorstellungswelt, eine Anpassung mehr oder minder getreu und
verlaeszlich, an die Wirklichkeit in der wir existieren.  Diese
Anpassung geschieht auch und ins besondere ohne dasz wir ihrer
gewahr wuerden, ohne dasz wir sie gedanklich zu begreifen
vermoechten.  Diese Anpassung liefert die Erklaerung fuer die
Gueltigkeit und Wirksamkeit unseres Denkens, all unserer
geistigen Taetigkeit.

     [Es ist ueberhaupt ein wesentlicher Fehler unseres Denkens,
vorauszusetzen, nicht nur, dasz alles wirkliche unserem
Verstaendnis, unserer analytischen Auslegung zugaenglich sein
mueszte, sondern, vor allem, dasz das was unserer geistigen
Darstellung unzugaenglich ist, deshalb unwirklich sein musz.
Siese Voreingenommenheit ist der grosze Fehler von Rationalismus
und Positivismus. Zugegeben, dasz die zuegellose, ungeschulte,
undisziplinierte Hingabe ans Irrationale zum Unsinn fuehrt; und
doch ist es notwendig zu erkennen, dasz die dogmatische
Behauptung des Logisch-rationalen zu enge Grenzen hat; dasz diese
Grenzen von unserem Denken laengst erreicht worden sind, und dasz
es nunmehr gilt eine auszersprachliche, auszeridealistische
Vernunft zu entwickeln. deren Begrenzungen uns, jedenfalls heute,
noch unbekannt sind.]

     => Die Grenzen der Logik und der Metalogik Es ist nicht
allzuschwierig die Grenzen der Logik zu beschreiben, weil wir
ihnen Tag fuer Tag begegnen, weil wir uns Tag fuer Tag von ihnen
eingeschraenkt entdecken.  Das sind vorerst die Grenzen (die
Beschraenkungen) des Wortes, dessen Bedeutung nie voellig zum
Ausdruck kommt, nie einer Wirklichkeit voellig enspricht, und nie
in genau demselben Sinne verstanden werden.  Die Logik setzt
irrtuemlicherweise die Verstaendlichkeit, die unbeschraenkte
Uebertragbarkeit des Wortes vorausr.  Aber wir verstehen einander
nur teilweise, nie aber vollkommen. (completely) Es ist die Logik
welche die Problematik der Erkenntnistheorie schafft.  Sie ist
gaenzlich auszer stande diese zu berichtigen.

     Wenden wir uns nun zu einer Metalogik, zu einer Denkweise,
zu einer Erklaerung des Erkennens unabhaengig von der Sprache.
Die Wissenschaft draengt darauf, dasz man beim Betrachten ihrer
"Tatsachen" sein betrachtendes Bewusztsein voellig vergiszt; und
dies ist dann auch tatsaechlich der Fall bei den Saetzen der
Mathematik, welche ihre Existenz scheinbar unabhaengig jeglichen
Bewusztseins haben. Und doch ist das Erfassen eines jeden
mathematischen Saetze bewusztseinsbedingt; und die
Bewusztseinsumstaende welche ihr Entstehen und ihr Verstaendnis
begleitet tragen wesentlich zu ihrer Deutung bei.

     Auf jedem der verschiedenen Gebiete der Wissenschaften wird
die Bewusztseinsbeziehung eine verschiedene sein; und nicht nur
vom der Besonderheit des Gebiets abhaengig, sondern auch von der
Besonderheit der gegebenen Sache, und mehr noch, von der
Besonderheit des Wissenden. Es ist darum unmoeglich eine
allgemeine Metalogik der Wissenschaften aufzustellen, ebensowenig
wie es moeglich ist eine allgemeine Logik der Wissenschaften zu
entwerfen. Denn das Zuwissende gestaltet auf jedem Gebiet and in
jedem Falle unterschiedlich nicht nur das Wissen sondern auch
dessen rahmende Bedingungen.

     Eine allgemeine Eigenschaft der Metalogik des Wissens ist
dasz sie die Moeglichkeit, wenn nicht gar die Wahrscheinlichkeit
des Fehlers, des Miszverstaendnisses, des Irrtums einbegreift.
Darin unterscheidet sie sich von der Lgik des Wissens welche das
Fehlerhafte als schlechthin unbestehend betrachtet. Die Metalogik
hingegen ist am vermeinten Irrtum nicht weniger denn an der
vermeinten Gueltigkeit des Gewuszten interessiert; denn beide
beruehren das Bewusztsein in gleich triftiger Weise. Wenn sogar
ist das fehlerhafte Wissen der Metalogik das interessantere.

     Die Metalogik erkennt das unbedingt gueltige, das "wahre"
Wissen als Idealisierung an; und nur als solche interessiert es
sie.  Die Metalogik hingegen versteht das Gewuszte stets unter
Einbezug des Wissenden und seines Bewusztseins.

     Was heiszt es, dasz ich mir meines Wissens in Beziehung auf
mein Bewusztsein bewuszt bin. Das heiszt auf jedem Gebiete bei
jeder Einzelheit etwas anderes, und doch Vergleichbares.  Der
Bezug auf das Bewusztsein zieht die unbedingte Gueltigkeit der
"Wahrheit" des Gewuszten in Frage. Der Bezug auf das Bewusztsein
erklaert, erlaeutert und entschuldigt das vermeintlich Gewuszte
in seiner Beschraenktheit und Fehlerhaftigkeit.

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