19970902.00

     Die Geschlechtslosigkeit Jahwes nicht weniger als die seines
Sohnes, ist uns zum Schicksal geworden.  Wie ist es moeglich,
dasz Gott Mensch werden konnte ohne die Geschlechtlichkeit des
Menschen anzunehmen; wie konnte er sich des Menschen annehmen,
ohne mit dessen Geschlechtlichkeit zu rande zu kommen.

     Ist es mit Recht, dasz das erbsuendliche Vergehen, auf den
Bruch des dietaetischen Verbotes, die Frucht des Wissensbaumes zu
essen, zurueckgefuehrt wird?  Welcher Sinn liegt darin, dasz die
Geschlechtlichkeit selbst zur Suende umgedeutet wurde, und wird?
Dasz Sinnlichkeit und Fleischlichkeit als das eigentlich
Suendhafte verdammt werden ?

     Hier entdecke ich, dasz ich gezwungen bin, zwar gegen
ziemliche Abneigung, die Geistigkeit, die Vergeistigung
jedenfalls des abendlaendischen Erlebens auf die Sublimierung des
Geschlechtlichen zurueckzufuehren, oder jedenfalls anzuerkennen,
dasz sich dessen Unterdrueckung in untrennbarer Verbindung mit
dem Aufschwung des Geistes befindet.  Wie es dahin gekommen ist,
weisz ich nicht, ahne aber, dasz dies eine Umdeutung, eine
"Entwicklung" wenn nicht des Christentums so doch ganz gewisz des
juedischen Geistes ist, eine Umdeutung welche in den Schriften
der Kirchenvaeter, ins besondere des Hl. Augustinus nachzuspueren
waere.

     Auch Kierkegaard ist es nicht gelungen, wenn ich in dieser
Beziehung seine Schriften richtig deute, die Problematik des
Geschlechtlichen anders als in verhuellender Weise darzustellen,
geschweige denn, dasz er sie bewaeltigt haette.  In Mozart hat er
den seiner Zeit gemaeszen und annehmbaren Bacchus gefunden. Sein
Lob des Don Giovanni erinnert an die Ergieszungen des Midas im
Streit zwischen Phoebus und Pan.

     Bezeichnend fuer die Deutung des Geschlechtlichen bei
Kierkegaard ist, dasz er die Problematik aufs Verfuehrerische
verschiebt und dann endlos beratschlagt ob der betreffende Mann,
sei es Don Juan, Clavigo oder Faust, ein "Betrueger" ist.  Dieser
Ausdruck scheint mir im Falle Fausts und Clavigos jedenfalls
voellig unangebracht (unpassend), insofern als ein Betrug, dem
angelsaechsischen  Gemeinrecht entsprechend, ein wissentliches
unwahres Versprechen ist, d.h. eine Vorspiegelung von Tatsachen
von welchen der Versprechende im Augenblick des Versprechens
weisz, dasz sie nicht wahr sind, und dasz er unwillig oder
unfaehig ist sie wahr zu machen.  Die Liebeserklaerungen eines
Faust, und besonders eines Clavigo sind jedoch in dem Wunsche, in
der Vorstellung, in dem Glauben gemacht, dasz sie wahr seien.
Bei Don JUan, hingegen, musz man, wie bei einem Kinde, die
Unfaehigkeit ein Versprechen zu geben, die Unfaehigkeit einem
Versprechen treu zu sein, die Unfaehigkeit einen Vertrag
einzugehen von vorne herein anerkennen.  Wer eines Vertrags
unfaehig ist, der ist auch eines Betrugs unfaehig.

     Die Voraussetzung das der geschlechtliche Verkehr eine
eheliche, d.h. auf Seiten des Mannes schliesslich eine
vaeterliche Verpflichtung nach sich ziehen sollte, ist meines
Erachtens nicht in der Natur des Menschen, und auch nicht in
goettlich gesetzlicher Verordnung gegruendet, sondern in den
Beduerfnissen und Notwendigkeiten menschlicher Gesellschaft
welche statt selbst die Verantwortung fuer die Pflege des
unehelichen Kindes auf sich zu nehmen, bestrebt ist diese den
natuerlichen Eltern abzuverlangen.  Soweit das Praktische.
Inwiefern die Sinnlichkeit, die Fleischlichkeit der
geschlechtlichen Beziehungen eine Suende ist, oder Wiederholung
der Ursuende ist, das ist eine weitreichende theoretische Frage.

     Fest steht, dasz die geschlechtliche Beziehung eine
ausserordentliche Verschmelzung des Inneren mit dem Aeuszeren mit
sich fuehrt; dasz naturgemaeszer Weise das inwendige Bewusztsein
des Menschen im Moment der geschlechtlichen Befriedigung restlos
aufgeht oder veraeuszert wird.  Mit ebenderselben Berechtigung
musz festgestellt werden, dasz in jenem Moment das Aeuszere des
Erlebens voellig ins Innere des Menschen einsinkt und in ihm
verschwindet.

     In dieser Perspektive scheint die so ausdruecklich betonte
Ueberzeugung Kierkegaards, dasz das Innere nicht das Aeuszere
ist, irrefuehrend.  Es ist wahr, dasz fast im gesamten
menschlichen Erleben zwischen dem Inneren und dem Aeuszeren eine
weite, und manchmal unueberbrueckbare Kluft besteht. Dasz diese
Kluft mit und in der geschlechtlichen Beziehung geschlossen wird,
davon scheint Kierkegaard nichts zu wissen und nichts wissen zu
wollen.  Kierkegaards Beschreibungen der Beziehungen zwischen
Mann und Frau sind nicht ueberzeugend.  Mir scheint, er
missdeutet die mozartschen Musik, und verkennt den mozartschen
Geist.

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