19971003.00
Dasz das Denken auf einen Anfang zurueckgefuehrt werden
sollte, oder dasz es sich selbst auf einen Anfang zurueckfuehrt,
- dasz es auf einen Anfang zurueckstrebt, ist die Erklaerung und
Bestaetigung der aristotelischen Arche. Die Entdeckung der
Arche, als Prinzip unserer Gedankenfluechte (des Denkens), im
Gegensatz zum endlosen Hin und Wieder der platonischen Dialektik,
dies ist des Aristoteles groszer Beitrag zum Geistesgut der
Menschheit. Das platonische ist ein gesellschaftliches Denken,
ein Austausch der Gedanken im Freundes- oder Feindeskreise. Und
wie instaendig (eindringlich) (vehemently) auch immer Aristoteles
die Gesellschaftlichkeit des Menschen betont, so bleibt doch das
Denken welches er vortraegt, (unentwegt) das Denken eines
Einzelnen. bestrebt zu gedanklicher Klarheit und Eindeutigkeit
durchzudringen. Aus dieser Eigenschaft erklaert sich dann auch
die Schwerverstaendigkeit der aristotelischen Gedankengaenge;
indes die platonischen dem Leser so selbstverstaendlich sind als
waere er ein an den Gespraechen Beteiligter. Die Schwierigkeit
der aristotelischen Ausfuehrungen liegt innerhalb ihrer selbst;
die Schwierigkeit der platonischen liegt jenseits, in dem
Widerspruch welche die unversoehnlich miteinander streitenden
Beteiligten verkoerpern.
Theologie als Geistestaetigkeit kann verschiedene
Bedeutungen haben, kann verschiedene Formen annehmen. Sie vermag
als schoen-geistige Verzierung aus der Ueberlieferung ueber- und
angenommener dogmatischer Saetze dienen; sie vermag das
Verstaendnis dieser dogmatischen Saetze im Gesellschaftskreis zu
verbreiten und deren Sinn zu erklaeren; sie vermag aber auch in
aristotelischem Sinne Leitfaden und Chronik des Denkens des
Einzelnen zu sein. Dann ist auch sie bestrebt auf einen
Ursprung, auf eine Arche zurueckfuehren.
(Die neuzeitliche Wissenschaft ist eine gemeinsam
gesellschaftliche Zurueckfuehrung auf eine objektive Arche; dasz
diese Zurueckfuehrung im Falle der Theologie versagt, sich als
unmoeglich erweist, diese fatale Begebenheit kann man entweder in
Richtung auf die Unmoeglichkeit der Theologie ueberhaupt, also
auf das Nichtbestehen, das Nichtsein Gottes deuten, oder aber auf
eine grundlegende Unfaehigkeit jener neuzeitlichen Wissenschaft
dem menschlichen Erleben genuege zu tun.)
Schleiermacher versucht die objektive Wissenschaft mit dem
religioesen Erleben zu vereinbaren, indem er den Gottesbegriff
als ein schlechthinniges Abhaengigkeitsbewusztsein konstatiert.
Obgleich er Platon uebersetzt, schreibt er im Geiste des
Aristoteles. Dabei bleibt uneroertert die Frage, ob jenes
Abhaengigkeitsbewusztsein primaer das Dasein Gottes besagt oder
primaer die Existenz dessen der sich seiner schlechthinnigen
Abhaengigkeit von einem Unbekanntem bewuszt ist. Ob das
Bewusztsein des Menschen vom Bewusztsein von Gott abgeleitet sein
soll, oder umgekehrt, das Bewusztsein von einem Gott vom
Bewusztsein des Einzelnen seiner selbst, oder ob der
Bewusztwerdende sich beider zugleich, Gottes und seiner Selbst
bewuszt wird. Oder ob dies nur eine Frage des Ausdrucks ist, ob
Gott und ich im Grunde dasselbe sein sollten: die tiefste
mystische religioese Einsicht, oder der empoerendste Frevel.
Hinzu kommt dann die andere erfahrungsmaeszige Einsicht,
dasz wir Menschen sehr unterschiedlich in unseren Religionen, in
unseren religioesen Erlebnissen sind. Wir nennen uns Juden und
meinen dabei, dasz wir alle Juden gleicher Art seien. Wir nennen
uns Christen und meinen, dasz wir alle die gleichen Christen
seien, oder jedenfalls Christen vergleichbarer Art. Diese
Annahme aber scheint mir ein Fehler....
Die unverkennbare Tatsache, dasz die Menschen nicht zu einem
oder dem anderen religioesen Bekenntnis geboren, sondern dazu
erzogen werden, von Lessing in seiner Humanitaet so echt
begriffen, wird von Schleiermacher verkannt. Das Bewusztsein das
anerzogen werden musz um wirksam zu sein, ist alles anderes als
"schlechthinnig". Schlechthinnig, so scheint es mir, ist nur die
erbarmungsvolle Neigung des Einzelnen, seine Gefuehle, seine
Gedanken zum Welt und Wirklichkeitsbilde zu verallgemeinern.
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