19971129.00

     Alle Ethik, alle Begriffe von dem was "gut" ist, sind im
Selbstbewusztsein, sind in der Selbstliebe, sind im Egoismus
begruendet.  Alle Werte sind auf mein eigenes Erleben bezogen,
und dies ist der Fall, sogar wo von Naechstenliebe die Rede ist;
denn es heiszt ja, den Naechsten lieben wie sich selbst, so ist
Naechstenliebe eine verlegte (displaced) Selbstliebe.  Hiesze es
hingegen sich selbt lieben, wie man den Naechsten liebt, dann
waere das Entgegengesetzte der Fall.

     Wenn bei Platon das Gesundheitsideal herrscht, so ist
letzten Endes der Gesundheitsbegriff die Vorstellung von _meiner_
Gesundheit, die micht leitet.

     Auch der Christ behauptet, Tugend sei, den Naechsten wie
sich selbst zu lieben.  Also die vorausgesetzte Selbstliebe auf
den anderen zu uebertragen.

     Die Welt in welcher der kategorische Imperativ wirksam ist,
ist die Welt in der _ich_ lebe.  Der andere Mensch, dessen Person
als Zweck, nicht aber als Mittel zu behandeln ist, dieser andere
Mensch ist mein versetztes Ich.

     Und das politische Wohl welches im Utilitarismus gefeiert
wird, und besonders dieses, ist ein auf meiner Persoenlichkeit
abgerichtetes Gut; wobei bemerkenswert ist, dasz meine
Persoenlichkeit sich in den Personen der Menge, in den Personen
der groeszten Anzahl widerspiegelt.

     Ich komme ueber die Selbstgebundenheit der ethischen Werte,
aller ethischen Werte, nicht hinaus.  nicht hinweg.  Auch der
Anspruch ethische Werte von der Gottheit abhaengig zu machen, auf
goettliches Gebot zu gruenden, besagt meines Erachtens keinen
Ausgangspunkt auszerhalb des Individuums.  Nur scheinbar waere in
Gott ein Ausgangspunkt auszerhalb des Individuums bestellt; aber
diese Aeuszerlichkeit waehrt nur solange, bis die Inwendigkeit,
die Innerlichkeit allen Gotteserlebnisses erkannt ist, und dann
sind wir wieder bei derselben Sache.

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