19971129.03

     Ich denke dasz wenige gedankliche (philosophische) Themen
von groeszerer Bedeutung sind, als die Unterscheidung zwischen
dem was heutzutage in nachkantischen Zeiten, als das Subjektive
bezeichnet wird, dem sogenannt Objektiven gegenueber gestellt.

     Am Ausgang (Anfang) soll bestaetigt werden, dasz es sich bei
dieser Unterscheidung von Subjekt und Objekt, von Subjektivem und
Objektiven, fast wollte ich schreiben, von Seele und Koerper,
nicht um Gegenstaende handelt die schon laengst eindeutig
entdeckt oder erfunden sind, deren Masze und Eigenschaften
(Spezifikationen) nun nur noch festzustellen uebrig ist; sondern
dasz es sich um etwas ganz anderes, dasz es sich um Ausdruecke,
um Worte handelt, denen ein Sinn beigelegt werden soll.  Die
Worte an sich sind belanglos.  Es ist der Sinn, als auf das was
die am Gespraeche beteiligten sich bei dem Worte denken, was das
Wort ihnen bedeutet, worauf es ankommt, und diesers Sinn ist
keineswegs als selbstverstaendlich, oder auch nur als
unzweideutig ermittelbar vorauszusetzen.  Der Sinn geht hervor
aus dem Leben der Menschen welche sich mittels der Worte
verstaendigen, und wird sich unvermeidlich mit dem Erleben der
Mitteilenden wandeln.

     Es ist im Gegenteil durchaus moeglich eine prinzipielle
Undeutlichkeit, eine urgruendliche Mehrdeutigkeit eines Wortes zu
konstatieren; dann mueszte man sich mit der Tatsache abfinden,
dasz manchen Worten, oder genau genommen, keinem einzigen Wort,
eine einzige naturhafte Bedeutung zubehoerte (anbehoerte), es sei
denn mittels paedagogischer Dressur erzwungen, und dasz man sich
das natuerliche Verstaendnis zwischen (oder unter) den Menschen
wie eine fluessige, flieszende Grenze vorstellen musz, in
gewisser Hinsicht vergleichbar mit dem ruhelosen, sich ewig
verschiebenden Saum des Meeres.

     Es waere dann die wissenschaftlich-technische Erziehung,
(und in dieser Perspektive wird alle Wissenschaft zur Technik)
welche auf die Eindeutigkeit des Wortes besteht, und welche den
Zoegling zu einer Gleichstimmigkeit zwingt, welche bewirkt, dasz
der Sinn eines Wortes fuer alle an seinem Gebrauch beteiligte der
Gleiche wird; eine Gleichstimmigkeit welche betreffs der
Bedeutung des gegebenen Wortes, die Gemueter gleichschaltet.

     Es soll hier, moeglicherweise an verfruehter Stelle, be
Betrachtung eingeschaltet werden, dasz es ja letzten Endes diese
Gleichtimmigkeit der Gemueter ist, welche die moderne Technik und
Wissenschaft ermoeglicht; die wissenschaftliche Ausbildung ist
eben nichts anderes als die Umgestaltung der Gemueter in solcher
Weise, dasz sie hinfort den Worten als technischen Ausdruecken
die gleiche Bedeutung zuschreiben, und dasz ihre Handlungsweisen
durch diese Begriffe in voraussagbarer (predictable) Weise
bestimmt werden.

     Es ist aber keine solche berechnete Disziplin um welche ich
mich hier bemuehe, wenn nur weil (if only because) in Bezug auf
die Subjektivitaet, um deren Andeutung ich hier beflissen bin,
mir eine derartige Einstimmigkeit zumindestens unpassenmd,
vielleicht sogar widerspruechlich und schlechthin unmoeglich
erscheint.

     Am eintraeglichsten, (most profitable) ist es  jedoch, nicht
die Begriffsbestimmung des Subjektiven direkt anzustreben,
sondern auf einem Umwege, und naemlich auf diesem, auf dem Umwege
ueber die Untersuchung was der Ausdruck "objektiv" bedeuten
moechte.

     Der Ausdruck "objektiv", "gegenstaendlich", ist das
Eigenschaftswort welches all das bezeichnet welches dem
Erlebenden "gegenueber" steht, unterschiedlich von ihm, und daher
ebenso wie ihm, auch anderen, ihm aehnlichen Geistern gleichfalls
zugaenglich.  Dementsprechend sind objektive Eigenschaften
dadurch gekennzeichnet, dasz sie von der jeweiligen psychischen
Verfassung des Betrachtenden unabhaengig sind.  Eben deshalb
machen sie auf aehnliche Gemueter einen vergleichbaren Eindruck.
Objektive Eigenschaften imponieren besonders dann wenn sie Dauer
aufweisen; jedoch ist Dauerhaftigkeit keineswegs Voraussetzung
fuer Objektivitaet.  Der ploetzliche Blitz, so vergaenglich er
auch sein mag, ist ungeachtet seiner Vergaenglichkeit ein
eklatantes Beispiel des Objektiven.

     Subjektiv, hingegen, sind Erlebnisse solcher Art dasz sie
ihrem Wesen nach nur einem Einzigen zugaenglich sind.

     Das genuin Subjektive musz von dem Pseudo-subjektiven
unterschieden werden.  Selbstverstaendlich gibt es viel Erlebtes
das zufaellig nur von einem Einzigen erfahren wird, weil aeuszere
Umstaende die Anwesenheit und Beteiligung anderer verhindern; wie
etwa wenn ein Blitz einschlaegt wo nur ein Einzelner, weil
meilenweit kein Nachbar ist, den gigantischen Funken sehen, und
den Donner hoeren kann.

     Meist bietet die Unterscheidung von Pseudo-subjektivem und
Subjektivem keine Schwierigkeit.  Der Einzelne weisz sehr wohl,
ist sehr wohl faehig zu unterscheiden ob er's sich einbildet oder
ob es "wirklich", d.h. ob es objektiv ist.  Doch nicht immer, und
nicht mit absoluter (unbedingter Sicherheit.  Bedenkt man die
Umstaende naeher, so ergeben sich sehr bald sehr viele Phaenomene
von denen man nicht bestimmen kann ob sie objektiv oder subjektiv
seien, welche eine Unbestimmtheit aufweisen, welche den ganzen
Unterscheidungsversuch fragwuerdig erscheinen laeszt.  Ich denke
an das Sausen in Gehoer, oder erschreckender noch, den
ploetzlichen lauten Knall, der mich manchmal des Nachts
aufruettelt, ich denke an die vielen  verschiedenen entoptischen
Erscheinungen mit welchen ich als Augenarzt udnals Augenpatient
vertraut bin.  Vom Blitzen der periphaeren Natzhaut, von den
positiven Skotomen der Migraene, sollte man von ihnen sagen, dasz
sie subjektiv sind, weil sie keinem anderen als mir selbst
auffallen; oder soll ich sie objektiv heiszen, weil ich eine
allgemein anerkannte physio-pathologische Erklaerung fuer sie
habe.  Und gleich Fragen muessen auf andere inwendige
Erscehinungen, auf Scherzen, auf Gefuehle, auf Behaglich- und
Unbehaglichkeiten gemuenzt werden, mit der Folge, dasz die
Unterscheidung von subjektiv und objectiv mehr und mehr
willkuerlich, mehr und mehr illusorisch erscheint.

     Immer ist die Bestaetigung des Erlebten dem Menschen als
Zeugnis seiner geistigen Zurechnungsfaehigkeit (accountability)
hoechst willkommen.

     Ich vermute, ich befuerchte, dasz wir in Kreis gegangen
sind, dasz wir uns uns sozusagen wieder am Ausgangspunkt
befinden, ich meine an jenem Punkte, wo uns die Scholastik von
Seele und Koerper entgueltig unannehmbar wurde, als wir uns
entschlosszen, das gesammte Erleben auf den Koerper, auf das
Koerperliche zu reduzieren, (zurueckzufuehren). Und dasz wir nun
den Ausdruck Seele, psyche, da er uns uebermaeszig
gegenstaendlich, koerperlich anmutet, mit dem Wort "Subjektiv"
von dem man nicht genau weisz, was es bedeuten soll, austauscht.
Und dasz uns dieser Austausch gerade in dem Masze befriedegt,
indem wir die Schwierigkeiten der Seelen-Koerper Dichotomie
(Zweiteilung) vergessen, nie erfahren, (nicht mitgekriegt), nicht
verstanden haben.

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