19971202.00

     Was bedeutet es nun, einzusehen, - oder zu erkennen, dasz
auch die Religion ein Ausdruck ist des Willens zur Macht?
Bedeutet diese Einsicht eine grenzenlose Kapitulation an einen
mechanischen Objektivismus, einen Materialismus der die Welt als
Gegenstand, als Maschine deutet. Anfangs moechte es so scheinen.
Zu bemerken aber ist, dasz die Religion welche nun als Ausdruck
eines Naturtriebes sich der Welt zu bemaechtigen erkannt wird,
die aeuszere, aeuszerliche gegenstaendliche Religion des Papstes,
der Bischoefe, der Consilien ist, die organisierte
vergegenstaendlichte Religion also; dasz diese Betrachtung
keineswegs die Innerlichkeit beeintraechtigt oder beschraenkt
oder gar aufhebt, wennselbst sie erkennt, dasz auch diese
Innerlichkeit Folge (Ausdruck) der natuerlichen Begebenheit des
Menschen ist.

     Nein, es gilt nicht das eine oder das andere Dogma aufrecht
zu erhalten; es gilt nicht, dies oder jene Ideologie zu stuetzen.
Es gilt nur sein Erleben, seine Welt so zu beschreiben wie man
sie jeweilig erlebt.  Die Subjektivitaet, das Selbstsein, die
Innerlichkeit, das inwendige Erleben so zu beschreiben, wie wir
ihnen begegnen. In dieser Weise wahrhaftig sein, zerstoert
nichts; es entfernt vom Blickfelde lediglich das Nichtseiende,
das Vorgetaeuschte, das Eingebildete; und diejenigen welche Grund
haben die Entlarvung der Innerlichkeit zu befuerchten, bezeugen
damit, dasz sie ueberhaupt nicht wissen, was diese ist, worum es
sich in Bezug auf Innerlichkeit handelt.

     Und dies ist an dieser Stelle zu bemerken, dasz auch die
Innerlichkeit, wenn sie betrachtet, besprochen, bezeichnet wird,
durch diese Begrenzung zu etwas Aeuszerlichem, zu Objektivem, zu
einem Gegenstand wird; und dasz es diese vergegenstaendlichte
Innerlichkeit ist, welche als Erscheinung, als Phaenomen, als
Lebenstrieb unter anderen Lebenstrieben erkannt wird; so dasz die
Innerlichkeit durch diese ihre Eingliederung in die Bereiche des
Beobachtbaren nicht beeintraechtigt, geschweige denn dasz sie
dadurch aufgehoben oder zerstoert werden koennte; weil nicht sie,
sondern nur ein Abbild von ihr, eine Konterfeit ausgesprochen,
ausgesagt, beschrieben zu werden vermag.

     Man soll nicht uebersehen, und nicht vergessen, dasz wie
lyrisch oder elegisch auch immer sie uns stimmen mag, die Sprache
das ausgesuchte Instrument der Veraeuszerung des Inneren ist.
Dasz alles was ausgesprochen, alles was gesagt ist; insofern es
verstaendlich ist, eben schon dadurch vergegenstaendlicht worden
ist, und somit das Wesen der Innerlichkeit aufgegeben hat,
wiewohl es noch Zeugnis, Aussage, Abglanz von Innerlichkeit
behaupten mag.

     Es tut also der Gueltigkeit, der Wirklichkeit des Inneren
keinen Abbruch, ganz das Entgegengesetzte, - quite the contrary,
- wenn man es integral als Lebensmoment erkennt, und wenn man
indem man mit Erklaerungen oder Aeuszerungen darauf hinweist ein
Abbild schafft, das eben weil es ein Abbild ist, taeuschend
wirken mag.

     Menschliches Leben, wie alles andere Leben ist prekaer,
gefaehrdet, vom Tode umringt, und musz als selbsterhaltend
verstanden werden.  Wie der Schmerz, indem er den Menschen vor
Gefahren warnt, und vor Verletzung schuetzt, zur Lebenserhaltung
beitraegt, so auch die anderen Phasen der Innerlichkeit. In der
ausgesprochenen (expliziten) Religion wird diese selbsterhaltende
Wirksamkeit verbildlicht: Gott steht dem Menschen bei; Gott
rettet ihn, Gott schuetzt den Menschen gegen Feind und Tod; Gott
erloest den Menschen von seiner Menschlichkeit und mach ihn
unsterblich, macht ihn goettlich.

     Obgleich alles Sichtbare und alles Sagbare gegenstaendlich
ist, objektiv also, ist doch das Unsichtbare, das Unsagbare, nur
scheinbar geringer. Das Subjektive ist mit dem Objektiven
unvergleichbar, denn um vergleichbar zu werden, mueszte es
meszbar, gegenstaendlich, objektiv werden: und dann waere es ja
nicht mehr subjektiv.  Das Ausmasz, die Kraft, die Staerke des
Subjektiven, und indem ich so screibe, frage ich mich, welchen
Sinn die Ausdrucksweise hat, ist im Leben des Einzelnen
jedenfalls vergleichbar mit der des Objektiven.  Die Wirkungen
lassen sich vergleichen, selbst wo das was wirkt unvergleichbar
ist.

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