19971203.00

     Es ist nicht so einfach mit dem Lebensziel der Erloesung, ob
diese nun als transzendentale Rettung oder als vollendete
Innerlichkeit, als Subjektivitaet gedeutet wird.  Am klarsten
erscheint die Problematik der Erloesungsvorstellung in der
kindisch-kindlichen Ausstattung des Jenseits, dem Laendler das
Paradies, ueppig mit Blumen und Fruechten, und, jedenfalls in der
Phantasie des Muselmanns, ueppig auch mit schoenen, liebevollen
Frauen; dem Staedter die heilige Hauptstadt vom Himmelreich
Gottes; wos, sei es im laendlichen Paradies oder im staedtischen
Himmelreich, der Gerettete ein ewiges Leben wie im
Schlaraffenland genieszt; als Vergeltung fuer die
Benachteiligung, fuer die Demuetigung, Leiden, Schmach, die er in
diesem Leben erlitten hat.  Heiszt es nicht schon in der
Bergpredigt, die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten
werden die Ersten sein.  Und verspricht nicht Christus selbst,
dasz er, der auf Erden in Niedrigkeit wandelte, in Herrlichkeit
wiederkommen wird.  Besagt nicht all dies, dasz der Mensch, trotz
aller Entsagung, in einem Winkel seines Herzens doch nach der
Schlaraffenlandexistenz luestet?

     Etwas anderes ist es, die naturgemaeszen Verdaulichkeit des
Festmahles zu bezweifeln, das schlichte, einfache anspruchslose
Leben der Opulenz, dem Reichtum vorzuziehen, erfahren zu haben,
dasz die Kunst, der Gedanken, der Geist ein hoeheres Glueck
verspricht.

     Und es ist, weil Kunst und Geist den Menschen auf sein
eigenes Erleben, auf sein Inneres hin zurueckweisen, dasz man auf
den Gedanken kommt, der Dienst am Geist und an der Kunst sei ein
moeglicher Weg zur Innerlichkeit, zur Subjektivitaet, zur
Erloesung.

     Wie dann aber die vulgaere Vorstellung vom Schlaraffenland-
Paradies- Himmelreich seine Widerspruechlichkeit verraet, so
verraet das Insichgehen des Geistes seine Unmoeglichkeit, denn
fuer das reine Aufsichselbstbezogensein das es anstrebt hatten
die Griechen den passenden Ausdruck: Idiotie.

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