19980123.00
Ich habe gestern die bedeutendsten Schriften von Hume und
Locke im Internet abgerufen. Auf meine unsystematische
zersplitterte Weise beschaeftige ich mich nun da mein eigener
Standpunkt sich befestigt hat, mit dem Versuch die groszen
Schriften der philosophischen Ueberlieferung eine weiteres Mal, -
oder wahrhaftiger gesagt, zum ersten Mal, mehr oder weniger
gruendlich zu ueberlesen. Es ist (mir) notwendig die Gedanken
und Gesichtspunkte welche unsere Geisteswelt gestaltet haben, mit
den eigenen zu vergleichen und zu vereinbaren.
Es ist die eigentliche, grosze Aufgabe der Hermeneutik, in
der unverkennbaren Vielfaeltigkeit menschlichen Erlebens und
Denkens eine Einheit zu entdecken. Diese Einheit entpricht
zugleich: Erstens der naturhaften Uebereinstimmung der Gemueter
und zweitens der Bestaendigkeit (dem Sichgleichbleiben) der Natur
welche der Erfahrung der Menschen zu Grunde liegt. Denn dies,
dasz die Gemueter der Menschen etwas Gemeinsames haben, dasz sie
in gewissem, bedeutendem Masze vergleichbar sind, ist die
Vorausetzung aller Mitteilbarkeit, aller Mitteilung, und allen
Verstaendisses.
Man ziert sich der Toleranz, der Duldsamkeit, der
Groszzuegigkeit. Man will andere Gesichtspunkte (auch) gelten
lassen als gleichwertig neben dem eigenen. Man taeuscht sich
aber, insofern als dergleichen Duldsamkeit die
Unterschiedlichkeit der Menschen untereinander nicht bestaetigt
sondern widerlegt. Wir Menschen sind duldsam gegeneinander nicht
weil wir verschieden, sondern weil wir im Grunde einander
aehnlich, streng vergleichbar sind.
Um dies zu verstehen, bedenke man z.B. unser Verhaeltnis zu
und Verstaendnis von den Tieren, welche doch so offensichtlich
anders sind als wir. Trotzdem vermoegen wir sie zu verstehen nur
unter der so offensichtlich irrtuemlichen Voraussetzung, dasz sie
so sehen, hoeren, denken und fuehlen, wie wir es tun. Das
Gleiche setzen wir auch von unseren Mitmenschen voraus. Es ist
dementsprechend durchaus verstaendlich, dasz wir den Umgang mit
solchen Menschen vorziehen, von denen wir Grund haben anzunehmen,
dasz sie uns aehnlich sind. /* So erklaert sich warum wir unter
Umstaenden Fremde mit so heftiger Antipathie ablehnen. */ Und
eben so verstaendlich ist unsere Abneigung gegen solche Menschen
von denen wir meinen, dasz sie uns fremd sind, und verstaendlich
auch die Voreingenommenheit die sich daraus ergibt.
Bei all diesen Erwaegungen ist zu bedenken, wie oft wir uns
in Bezug auf das Verstaendnis taeuschen. Wie oft wir
irrtuemlicherweise waehnen zu verstehen, und auch verstanden zu
sein. Wie oft - und in welchem Masze - besteht nicht das
vorausgesetzte Verstehen in der Einbildung des Verstehenden
und/oder des Verstandenen, und wird erst durch die Antwort, die
Reaktion (Rueckwirkung) des mit uns im Verstaendnis verbundenen
auf die Mitteilung bestaetigt.
Ob einer Verstanden wird oder nicht, ob und in welchem Masze
Verstaendnis besteht, das laeszt sich nun weder aus der
Behauptung des Verstehenden noch aus der des Verstandenen
entnehmen. Das Masz des Verstaendnisses wird stets aus der
Wirkung, aus der sich aus dem Verstaendnis entwickelnden
Zusammenarbeit erklaert.
Aber auch bei gelingender, zuverlaessiger Rueckwirkung laszt
sich die Art und das Ausmasz der Verstaendigung nur ungenuegend
bestimmen. Georg Buechner hat irgendwo der intrinsischen
Fremdheit der Menschen gegeneinander treffenden Ausdruck gegeben.
Somit sind wir zu einer zwar nur vorlaeufigen, aber dennoch
maszgeblichen Einsicht gekommen, dasz das Wir stark beschraenkt
ist; und alle Verstaendigung unvollkommen und voruebergehend.
Die Beziehungen zu den Eltern, zu den Geschwistern, zu der
Ehegemahlin, zu den Kindern, mit anderen Worten, die
Familienbande sind die urspruengliche Gesellschaft.
Man soll zweierlei Arten des Verstehens betrachten: erstens
die subjektive, fast sentimentale Einstellung welcher zufolge ein
Mensch waehnt zu verstehen oder verstanden zu seins. Zweitens
aber die die sachliche, objektive Vergemeinschaftlichung, - die
Gemeinschaft welche von dem Verstehen bewirkt und bezeugt wird.
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