19980127.03
Die Problematik der Erkenntnistheorie ist, dasz sie sich
gedrungen fuehlt das gesammte, ein universelles Wissen zu
erklaeren; wo doch ein solches Wissen dem Einzelnen (auch dem
Erkenntnistheoretiker) nicht zugaenglich ist. Wie kann ich
beanspruchen das zu erklaeren, was ich selbst nicht weisz? Wie
kann ich beanspruchen die Grundlage eines Wissens zu erklaeren,
wenn ich selbst das Wissen nicht besitze? Da musz ich mir erst
ein Bild, eine Vorstellung von derartigem Wissen zusammen
stellen; und eine so anmaszendes Vorgehen liegt mir nicht. Es
ist mir sogar peinlich zu bedenken, was ich einst gewuszt habe,
und laengst schon wieder vergessen; was ich einst gekonnt habe,
und seitdem langsam verlernt. Dies Wissen, dessen ich mich
brueste, auf das ich stolz bin, auf das ich mir etwas einbilde,
erscheint, genau betrachtet, als eine geistige Faehigkeit, die
Faehigkeit, wenn man will, zu erinnern, zu verstehen und zu
erklaeren; die mit meinen geistigen Kraeften steigt oder
schwindet. Es ist keineswegs ein unbemanntes Lager von Begriffen
oder Tatsachen; es ist keine anonyme Zusammenstellung von
Algorithmen. Es ist ein geistiges Koennen auf die intimste und
innigste Weise mit dem Geist des Wissenden verbunden.
Wenn ich das Wissen in dieser Weise betrachte so erscheint
das wissenschaftliche Gesamtwissen als hypothetische
Zusammensetzung der unzaehligen Einzelwissen wie ich sie
beschrieben habe. Diese Zusammensetzung aber bleibt
unvermeidlich nur Theorie. Ich bin auch bereit zu gestehen, dasz
dergleichen Theorie einen gewissen heuristischen Wert hat.
Bestimmend aber fuer das Wesen des Wissens kann sie nicht sein,
Selbstverstaendlich kann man ueber dies Wissen spekulieren, kann
man es sich ausmalen, aber dergleichen Anstrengungen besagen
dennoch nicht, dasz man es besaesze. Auch scheint es mir, dasz
der ungebuehrliche Verlasz auf ein Wissen das man nicht besitzt
und das man nicht besizten kann, zum Mindesten die Taeuschung
nach sich zieht die des Schriftstellers Leser, und manchmal auch
den Schriftsteller selbst zu der Annahme verleitet, dasz er ueber
vieles Bescheid haette, was ihm dennoch unerreichbar ist. Ich
diesem Sinne auch musz der Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie
wenngleich nicht die Einsicht sein, Ich weisz dasz ich nichts
weisz, so doch eine Einsicht um die Beschraenktheit,
Veraenderlichkeit und Vergaenglichkeit dieses Wissens einerseits,
und andererseits das Bewusztsein der Unerreichbarkeit jener
idealen Ganzheit (Vollkommenheit) welche dem Erkenntistheoretiker
verlockt.
Die Erkenntnistheorie, wie ich sie durchzufuehren gedenke,
ist, m.a.W. ein kritischer Ueberblick meines zugegeben sehr
beschraenkten Wissens und eine besonnene Vergegenwaertigung der
Problematik welche ich darin entdecke. Um meine Gedanken
hierueber etwas zu ordnen teile ich mein
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