19980216.00

     Warum versuche ich zu leugnen, dasz die grosze wirksame
oeffentliche Objektivitaet die unser Geistesleben beherrscht, die
Wirklichkeit ist?  Der Grund, glaube ich, ist kurz und buendig:
weil sie mich meiner Persoenlichkeit beraubt.  Weil weder mein
Leben noch mein Tod sie bekuemmert.

     Die Gesellschaft in welcher wir gedeihen verlangt nicht nur,
dasz wir uns ihr anpassen, sondern dasz wir uns ihr seelisch,
wenn nicht koeperlich aufopfern.  Diese Anpassung erfordert von
uns die Verinnerlichung eines groszen Vorrats sachlichen,
"objektiven", Wissens; es erfordert auch die Angleichung des
eigenen Urteils an das oeffentliche; und all dies in solchem
Masze dasz weder Zeit noch Kraft fuer nach innen gerichtete
Bemuehungen uebrig bleiben.

     ===============

     Man beklagt: die inwendige Betrachtung, das inwendige Urteil
seien keinem Maszstab von richtig und falsch unterworfen.  Ein
jeder koenne dieses und jenes, koenne alles empfinden, ohne dasz
er je darueber zur Rechenschaft gezogen wuerde.  Das stimmt. Und
mit recht ist es so. Denn der einzelne Mensch fuehlt ja einen
Wert seiner Person der unbedingt und inwendig ist; und
unabhaengig von jeder sachlich oeffentlichen Pruefung.

     Es gibt vier Maszstaebe der Wahrheit: 1) des Einzelnen
Selbstbewusztsein, 2) Die Uebereinstimmung mit der Natur, und 3)
Das Urteil der Gesellschaft.

     ===============

     Was meine ich mit Inwendig-, was mit Auswendigkeit?  Mit
Subjektivitaet und Objektivitaet?  Diese Ausdruecke, wie alles
Ausgesprochene oder Niedergeschriebene, insofern es verstaendlich
wird, gehoeren dem Bereich des Oeffentlichen, Sachlichen,
Objektiven an.

     Ich bediene mich dieser und aehnlicher Begriffe um eine
vorlaeufige, provisorische, experimentelle Objektivitaet zu
behaupten.  Es ist mein Ziel von meinen Lesern verstanden zu
werden, so wie ich mich selbst verstehe.  Es scheint aber
keineswegs ausgemacht in welchem Masze, oder ob ueberhaupt ein
solches gemeinsames Verstaendnis zustande kommt.  Auszerdem ist
es unbestimmt, und musz unbestimmt bleiben, nicht nur was ich
selbst mit diesen Ausfuehrungen meine, oder was ein jeder der
moeglichen kuenftigen Leser darunter versteht. Man koennte
selbstverstaendlich den Versuch machen ein solches weiteres
Verstaendnis in weiteren Ausfuehrungen festzulegen.  Mit
derselben Logik aber, mit welche das Verstaendnis des
Geschriebenen weiterer Ausfuehrungen bedarf, aber beduerften die
weiteren Ausfuehrungen wiederum weitere Erklaerungen, und so
weiter ins unendliche.

     Tatsaechlich nun sind diese Aufsaetze der Versuch mein
Erlebnis und Verstaendnis der eigenen Seele und der vermeintlich
allgemeinen Welt begrifflich objektiv aufzuschreiben. Weil aber
die Begriffe schwer verstaendlich sind und in Gefahr
miszverstanden zu werden, bediene auch ich mich der beschriebenen
begrifflichen verdoppelnden Ausfuehrungen, welche jedoch weit vor
dem Unendlichen halt machen.

     Aus Gesagtem geht hervor, dasz der Begriff Objektivitaet,
wie ich mich seiner bediene, (nicht weniger als (alle) anderen
Begriffe) ein Ideal darstellt, das bei jedem von vielen Lesern
aehnliche aber keineswegs identische Vorstellungen ausloest. Die
Gueltigkeit dieses (und jeden anderen) Begriffes kann deshalb
nicht in einer vollkommenen Uebereinstimmung zu erwarten sein,
sondern in einer spezifischen Wirksamkeit. Diese spezifische
Wirksamkeit ist im Falle rein theoretischer Erlaeuterungen wie
der vorliegenden schwierig festzustellen. Man schlieszt darauf
aus der Tatsache, dasz das Buch ueberhaupt gelesen und zuweilen
zitiert wird. Die Angemessenheit der Besprechungen laeszt von
weither auf die Wirksamkeit der Gedanken schlieszen, jedoch stets
nur mit gemessener Zuversicht.

                            * * * * *

Zurueck : Back

Weiter : Next

1998 Index

Index