19980604.01
Dasz wir die Zugehoerigkeit des Einzelnen zu seiner Gemeinde
so gruendlich und so grundsaetzlich verkennen, haengt ab zu Teil
von der Beschaffenheit des Erkenntnisvermoegens. davon naemlich,
dasz diese Gemeinde (Gemeinschaft) unsichtbar ist, dasz sie in
ihrer Gesammtheit dem Einzelnen nur hypothetisch zugaenglich ist;
obgleich er tatsaechlich aufs innigste und inimste in sie
verwoben ist. Der Einzelne verleugnet also die Gemeinde, weil er
sie nicht aufzuzaehlen vermag; oder unbefriedigender noch, weil
er sich verzaehlt indem er sie aufzuzaehlen sich anstellt.
Sofort erfaehrt er, dasz er sich in einem Fehler befindet,
unfaehig einerseits den Fehler zu berichtigen, andererseits aber
das Aufzuzaehlende zu entbehren. Fast scheint es dann aus
Aerger, dasz er die ihm unentbehrliche Gemeinschaft verleugnet,
dasz er sich auf sich selbst beruft, und in seine Innerlichkeit,
in seine Einsamkeit flieht; dasz er zu seinem Gott flieht und
behauptet: "Gott mit mir und ich mit Gott." (Vergleiche die
Kantate "Falsche Welt ich trau Dir nicht.")
Die Religion wird leicht zum Brennpunkt der Unzufriedenheit
des Einzelnen mit seiner Welt. Die Undefinierbarkeit, die
Unbestimmbarkeit der Gemeinschaft ... Weil es mir unmoeglich
ist, die Gemeinschaft der ich entwachse zu definieren und zu
bestimmen, werde ich dazu verleitet sie zu leuignen. But that
makes no sense. Die Luft die ich atme laeszt sich ebensowenig
umschreiben oder begrenzen, und doch atme ich sie, lebe in ihr
und durch sie. Somit ist das Gemeinschaftsproblem, und nicht nur
dieses, sondern auch die Problematik der Religionsgemeinschaft in
eine Wissensfrage, als Ausdruck des Nichtwissens und vor allem
des Nichtverstehens umgedeutet.
Dies ist kein neues Problem. Besagt nicht die Verwandtschaft
zu Gott, wie sie die Ueberlieferung uns lehrt, die
Unzufriedenheit mit der Verwandtschaft zu den Menschen. Besagt
nicht die Tatsache das Jesus Gottes Sohn sein wollte, und war, -
dasz er sich in seinen Beziehungen zur (Religions)gemeinde nicht
wohl fuehlte; Und besagt nicht unser Entschlusz ihm nachzufolgen
und gleich ihm eine exklusive (ausschlieszende) Beziehung zu Gott
zu behauten, nicht eine aehnliche Unzufriedenheit und
Unbeholfenheit in Bezug auf die Gemeinschaft.
Wir haben, wie mir scheint weit zuviel Muehe darauf verwandt
aus der Not eine Tugend zu machen, aus der Not der versagten
Gemeinschft die Tugend eines transzendentalen
Gottesverhaeltnisses.
Es soll bemerkt sein, dasz die Erkenntnis, in welchem Grad
das Religionserlebnis auf Gemeinschaftsmaengeln beruht die
Religion in keiner Weise herabsetzt oder herabwuerdigt. Es mag
sein, dasz dies nur eine Perspektivenfrage ist. Fraglos wird das
Religionserlebnis mit dem Gemeinschaftserlebnis verknuepft. Dass
dasz Gemeinschafterlebnis uns geringfuegig duenkt, im Gegensatz
dazu, das religionserlebnis bedeutend und erhaben, ist Ausdruck
des Ressentiments, der Enttaeuschung darueber, dasz wir mit dem
Gesellschafterleben nicht zu rande kommen; tatsaechlich mit dem
religioesen Erleben ebensowenig. Wir reden so groszspurig
darueber, um die Nichtigkeit des eigenen Verstaendnisses, der
eigenen Person, zu verdecken. Die Ehre, die Herrlichkeit Gottes
dienen dazu die Hinfaelligkeit des eigenen Daseins aufzuwiegen.
Die Ehre, die Herrlichkeit Gottes dienen dazu die Hinfaelligkeit
des eigenen Daseins aufzuwiegen.
Die Unzulaenglichkeit des Gemeinschaftserlebens ist stets
nur relativ. (verhaeltnismaeszig). Die Tatsache allein, dasz
einer am Leben ist besagt dasz die Gemeinschaftsbeziehung
jedenfalls in diesem Masze, ihm das Leben zu ermoeglichen,
genuegend ist. Die jeweilige Unzufriedenheit mit der
Gemeinschaftsbeziehung besagt nicht so sehr deren
Unzulaenglichkeit wie die Unzufriedenheit mit der Macht und
Wirksamkeit der eigenen Person welche stets ueber ihre Grenzen
hinausstrebt, und welche fuer ihre Maengel stets Entschuldigungen
sucht, welche ihre Maengel stets auf andere und auf anderes zu
verlegen sucht. Wir heiszen unzulaenglich, was jeweils der
idealisierenden Selbstbehauptung im Wege steht.
Die gueltige Auf(er)klaerung der Gemeinschaftsbeziehungen
scheint mir schwierig bis zur Unmoeglichkeit, und in dieser
Hinsicht vergleichbar mit der Problematik der Psychoanalyse. Die
Sozioanalyse ist nicht weniger dunkel als die Psychoanalyse.
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