19980618.01
Wenn ich ueber das Wissen nachdenke, so erscheint es als das
Raetselhafteste, dasz ich mich ueberzeuge so vieles das
auszerhalb meiner selbst in der Welt besteht, das auszerhalb
meiner selbst in der Welt vorgeht, zu wissen, zu verstehen, zu
begreifen; dasz ich aber im Vergleich mit dem, was ich ueber die
Welt zu wissen meine, von mir selbst, garnichts weisz.
Andererseits aber, dasz das was ich von mir selbst weisz im
Rahmen und im Zusammenhang des Geschehens auszer mir ueberhaupt
keinen Bestand hat. Dasz als Bestandteil der Welt mein eigenes
Selbst mir ein Geheimnis ist.
Ist es annehmbar (plausibel) dasz ich von der Welt, die dort
drauszen auszer mir, entfernt von mir existiert, mehr wissen
sollte als von mir selbst? Deutet diese Annahme nicht darauf
hin, dasz, solange ich mich selbst nicht kenne, ich von der Welt
auszer mir auch nichts zu wissen vermag.
Die Schluszfolgerung, dasz ich von der Welt nicht mehr
weisz, als von mir selbst, macht das Selbstwissen zum Pruefstein
aller Erkenntnis. Denn was hilft es, ist es sinnvoll, dasz ich
die ganze Welt verstuende, wo ich mich selbst nicht begreife?
Anders ausgedrueckt: Selbsterkenntnis ist Schluessel zur
Welterkenntnis: nur insofern ich mich selbst begreife, ist es
mir moeglich auch nur eine Ahnung von der Welt zu haben, und
diese Ahnung ist nicht bedeutender als mein Wissen um mich
selbst.
Aus dieser Einsicht geht hervor: Alles Wissen um die Welt
ist _mein_ Wissen von der Welt; und es ist unsinnig, dasz ich
mich in diesem Wissen, oder gar dieses Wissens halber, verleugnen
sollte. Dies ist der entscheidende Einwand gegen die
Wissenschaftskultur.
Mein Wissen um die Welt liegt mit meinem Wissen um mich
selbst in enger Verbindung. Diese Verbindung ist die
Gesellschaftlichkeit des Geistes; Insofern mein Wissen
gesellschaftlich ist, insofern das was ich weisz auch von anderen
gewuszt ist oder gewuszt sein koennte, ist es Wissen von der
Welt. Insofern mein Wissen mein eigenes ist und von keinem sonst
gewuszt werden kann, ist es subjektives Wissen, Wissen von mir.
Genaugenommen ist alles Wissen meine eigenes; ist alles
Wissen subjektiv, aber jene Eigenschaft daran welche auch anderen
zugaenglich ist, macht es zu allgemeinem Wissen; macht es zum
Wissen von der Welt.
Der Unterschied zwischen Wissen welches nur mir zugaenglich
ist, und Wissen welches moglicherweise (potentiell) allen anderen
Menschen zugaenglich waere, dieser Unterschied zwischen
subjektivem und objektivem Wissen liegt (nur)(lediglich) in
meiner Vorstellung, in meinem Urteil von diesem Wissen. Im einen
Falle vermag ich mir vorzustellen, dasz gegebenes Wissen von
anderen gewuszt werden moechte in einer Weise aehnlich der in
welcher ich es weisz: das ist also objektives Wissen.
Im anderen Falle vermag ich mir diese Universalitaet _nicht_
vorzustellen: Ich bin ueberzeugt, dasz kein anderer was ich
erfahre, was ich weisz, zu wissen vermag; und damit ist das
Wissen subjektiv. Tatsaechlich aber, in einem anderen,
vielleicht tieferen Sinne, kehrt alles, auch das
wissenschaftlichste, objektivste Wissen zur Subjektivitaet, zum
Icherlebnis zurueck. Denn auch das objektivste Wissen hat fuer
mich eine besondere Bedeutung. Ob dem so sei oder nicht, mag ein
jeder an eigenem Gewuszten pruefen.
Ich betone, dasz das objektive Wissen zur Subjektivitaet
zurueckkehrt, weil auf einem gewissen Stadium der
Wissensentwicklung, - wenn man das Wissen erlernen, beherrschen
und vergessen als einen Vorgang behandelt, - weil in einer
gewissen Perspektive in jener naemlich des verlaeszlichen
Handelns, - das Wissen sich als vollkommen voraussagbare
Handlungsweise bestaetigt (manifests itself as wholly predictable
action), das Wissen tatsaechlich voellig und ausschlieszlich
objektiv erscheint. Das Rechnen ein treffendes Beispiel, im
Vergleich etwa zur mathematischen Beweisfuehrung, welche mich
zuweilen persoenlich, subjektiv, individuell, idiosynkratisch,
duenkt.
Der Schluessel zum Erkennen der Erkenntnis, zum Verstehen
des Verstaendnisses, ist dessen Instrumentalitaet. Ich meine,
dasz die Gueltigkeit des Wissens an und durch seine Wirksamkeit
und (tatsaechliche) Wirkung bestimmt wird; in seiner Wirkung
besteht. Dasz ein Bild wahr ist, nicht weil es eine Wirklichkeit
abbildet oder wiedergibt, sondern weil es den Schauenden
befaehigt wirksam und konsequent zu handeln. Weil die Handlung
wirksam ist beurteilt man das Wissen dem sie entspringt als wahr.
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