19980626.01
Ich habe es stets versucht, den Ausdruck Philosophies als
uebermaeszig anspruchsvoll und groszsprecherisch zu vermeiden.
Ich weisz aber kein anderes Wort dasz unser eingefleischtes
Bestreben die Welt begrifflich zu deuten und darzustellen mit
vergleichbarer Schaerfe bezeichnet.
Warum wollen wir das eigentlich? Leben und ueberleben wir
nicht mittels unseres Geistes? Sind nicht Aufbau und Wirkung der
Gesellschaft auf begriffliches Einverstaendnis der Menschen
untereinander gegruendet? Ist es verwunderlich, dasz der Mensch
diese zum Ueberbleiben so unentbehrliche Faehigkeit aufs
Aeuszerste auszuueben, bis ins letzte auszudehnen, beflissen ist?
Das Denken hat seine pragmatische Bestaetigung in seiner
Wirksamkeit. Es ist aber ein Miszverstaendnis, von dieser
Wirksamkeit logische oder gar ontologische Gueltigkeit
abzuleiten. Das Dilemma erscheint mit groszer Ueberzeugungskraft
im Bereich der Mathematik, welche es sich bekanntlich mit der
Wirkung nicht genuegen laeszt, sondern zur groszen Verwirrung
ihrer Anhaenger einen Seinsgrund behauptet, der sich jedoch
nirgends bestaetigen laeszt.
Ist die Wirksamkeit der Begriffe als Vermittelung des
Geistes unter den Menschen, Vermittelung welche sie zu der
unaufzaehlbaren und letztlich in ihrer Fuelle unbeschreibbaren
Zusammenarbeit welche das gesellschaftliche Leben ausmacht,
befaehigt, unbestreitbar, so verleiten dieselben Begriffe,
gedeutet als Weiser zu unbedingter Wahrheit oder Wirklichkeit, in
grosze Verwirrung. Denn die vorausgesetzte Uebereinstimmung des
Begriffes mit der Wirklichkeit tritt nirgends in Erscheinung,
bleibt ueberall aus. ,PP Jedoch, dessen ungeachtet, ist es uns
unmoeglich mit dem Zwiespalt von Begriff und Wirklichkeit zurande
zu kommen. Folglich haben sich in der philosophischen
Ueberlieferungen bestimmte Denkmethoden oder Vorgaenge entwickelt
welche auf den Zwiespalt von Begriff und Wirklichkeit hinweisen,
ohne ihn jedoch zu ueberbruecken oder aufzuheben.
So zum Beispiel die Aporetik und die Dialektik. Beide sind
zuweilen bewuszt und beabsichtigt. Sie ergeben sich dann aber
auch aus den Umstaenden: dasz die Menschen sich tatsaechlich
nicht verstehen, dasz sie um die Sache herum oder aneinander
vorbei reden; oder dasz sie einander ausdruecklich widersprechen
weil ein jeder von ihnen mit den Worten die er spricht etwas
anderes meint.
Die Aporie kann beabsichtigt zustande kommen, als bewuszter
Hinweis auf das Miszverhaeltnis von Wort und Wirklichkeit; oder
die kann sich von selbst, unbeabsichtigt aus der
Unzulaenglichkeit der Begriffe ergeben, denen es nicht gelingt
die Wirklichkeit die sie anstreben zu erreichen.
Am Ende begnuegt sich der Versuch die Wirklichkeit
begrifflich zu erreichen mit dem Hinweis auf ihre
Unerreichbarkeit.
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