19980702.00
Was war es also, das welche das Leben leitete? War es der
Hunger oder Kaelte, war es der Geschlechtstrieb, die Lust zu dem
anderen Geschlecht? War es die Sucht, der Wille zu Macht, die
Freude an Reichtum und Besitz? Oder liesz vielleicht gerade
dieses Prinzip, dies Lebensprinzip, sich nicht begrifflich
ausdruecken?
Die Geistigkeit, der Geist, die Freude am Erkennen, an der
Wahrheit, war es jedenfalls nicht, - oder vielleicht doch?
Und was hat Gott und das Goettlich mit all diesem zu tun?
Was bedeutet es, dasz "Gott" als Ursprung und Ziel des Lebens
gesetzt wird, wo doch keiner Gott je gesehen hat, und keiner
weisz wo und wer und wie Gott ist? Ist vielleicht Gott die
hergesuchte, (contrived) Erfindung um uns angesichts unseres
Unwissens angesichts unser Unfaehigkeit angesichts unser
Schwachheit angesichts unser Blindheit angesichts unser
Verlogenheit aus der Not zu helfen. Denn keine von diesen, weder
Unwissenheit, Unfaehigkeit, Schwachheit, Blindheit oder
Verlogenheit vermoegen wir uns einzugestehen.
Das wuerde es bedeuten, wenn man entdeckte, dasz die Frage
selbst die Antwort ist! Was liesze sich aus dieser Entdeckung
folgern?
In diesem Sinne ist Gott die notwendige, die unvermeidliche
"Antwort" auf eine unloesbare Frage. Wir Menschen sind eher mit
der verhaengnisvollen, kryptischen, geheimnisvollen "Antwort"
zufrieden als mit der unbeantworteten, unbeantwortbaren Frage.
Warum wohl? Weil jede Antwort, auch die beweisbare bestimmte,
unzweideutige Antwort, und vielleicht ausgerechnet diese, eine
gesteigerte Handlungsfaehigkeit ist, Tatsaechlich schafft die
Antwort, auch die geheimnisvolle, eine sonst nicht vorhandene
Macht: Die Antwort, sei sie nun "wahr" oder "falsch", und das
Masz der Wahrheit bleibt unvermeidlich relativ, ermoeglicht die
Handlung; indessen ist die Frage, die unbeantwortete Frage,
zermuerbend und laehmend.
Daher ein revidierter Begriff der Philosophie, keineswegs
als Quelle des Wissens, sondern als die Faehigkeit der
unbeantwortbaren Frage stand zu halten, die unbeantwortbare Frage
zu ertragen. Als Beleg: der Glaeubige hat im Glauben die Antwort
auf die Gottesfrage (ge)(er)funden.
Der Unglaeubige hat diese Antwort nicht gefunden; er
zweifelt. Er weisz nur, dasz er nichts weisz. Man bemerke, dasz
Sokrates zwar am eigenen Wissen zweifelte, nicht aber am eigenen
Wesen, nicht an der Wirklichkeit und Wirksamkeit des Daimon der
ihn leitete und dirigierte.
Bei Sokrates tritt die Unterscheidung zwischen dem
objektiven Wissen, dasz er ableugnete, und dem subjektiven
Wissen, das er beanspruchte, in den Vordergrund. So erklaert sich
der paradoxe Satz: ich weisz, das ich nichts weisz. Was hier
abgelehnt wird ist das objektive Wissen. Die Ablehnung aber,
"Ich weisz" ist subjektiv und ist in ihrer Subjektivitaet
gueltig.
Wenn man einsieht, wie die unbeantwortete Frage laehmt, die
Antwort aber, selbst in ihrer Unvollkommenheit, Irrtuemlichkeit
und Falschheit, die Handlung ermoeglicht; da ist man aufs Neue,
und zwar auf einer sehr raffinierten Stufe, auf die Lebensluege
gestoszen. Es ist aber ein Fehler, sich anzustellen die
Gueltigkeit einer Antwort ganz (voellig) unabhaengig von ihrer
Wirksamkeit einzuschaetzen. Die Antwort die wirksam ist, musz
irgendetwas Wahres an sich haben, insofern Wirksamkeit als
Wahrheit gedeutet werden musz. Und warum sollte sie dies nicht?
Ist doch was Wahrheit ist keineswegs selbstverstaendlich. Und es
gebuehrte, eh man einen Begriff als wahr oder unwahr bezeichnet,
sich darueber Rechenschaft abzulegen, was man in dem gegebenen
spezifischen Zusammenhange als Wahrheit versteht.
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