19980704.01

     Es sind Schriftstellerei ins besondere, und Kunst im
Allgemeinen mit anderen oeffentlichen gesellschaftlichen
Betaetigungen durchaus vergleichbar.  Die Kunst ist der besondere
Treffpunkt wo das Innerliche oeffentlich, und das Oeffentliche
innerlich wird; wo der Mensch sein Fuehlen und Denken seinen
Mitmenschen offenbart, und wo er selbst was _sie_ erleben
begreift, oder zu begreifen meint.  Es ist aber ein Irrtum
vorauszusetzen, (anzunehmen) dasz bei der Betrachtung des
Kunstwerks der Leser oder Hoerer das Erleben seiner Mitmenschen,
oder auch nur eines einzigen von ihnen, unmittelbar wahrnehmen
kann.  Das vermag er nie.  Denn Erleben ist innerlich, bleibt
innerlich, und wird selbst in der angestrengtesten (most
intensive) Aufnahme des Kunstwerks nie ein gemeinsames.  Aber das
Kunstwerk selbst ist der gemeinsame Nenner verschiedenster
Erleben verschiedenster Menschen und wird somit das geistig-
seelische Band, das einzig vorhandene, das sie zu einer
Gemeinschaft zusammenfuegt und zusammenfuegen kann.  Darin liegt
die Bedeutung der Kunst.

     Schon diese kurze Zusammenfassung weist darauf hin, dasz
wenn ich meine das Fuehlen und Denken der Mitmenschen zu
verstehen, so betrifft dies Verstehen immer nur das Fuehlen und
Denken des Einzelen, und dieses verstehe ich nur insofern es mit
meinem eigenen vergleichbar ist.  Ich verstehe den Naechsten
nicht anders als ich mich selbst verstehe.

     Versuche ich nun ein mir bisher fremdes Kunstwerk zu
verstehen oder zu begreifen, so geschieht dies nicht indem ich
das Kunstwerk irgendwie in Besitz nehme. (comprehendere) Ich
begreife das fremde Kunstwerk indem ich das eigene Fuehlen und
Denken dem fremden Kunstwerk aussetze und mein Fuehlen und Denken
durch das Kunstwerk verwandeln lasse.  Die Voraussetzung das
Verstehen beruhe auf einer Handlung, sei die Folge einer vom
Verstehenden ausgehenden Initiative ist irrefuehrend.  Das
Verstehen ist eine Anpassung des Verstehenden an das Verstandene.
Verstehen ist ein selbststaendiger Vorgang welcher der Anpassung
des Menschen an seine Welt zugrunde liegt, und somit Vorbedingung
fuer seine Existenz ist.  Es ist nur mittels solcher Angleichung
(assimilation) meiner Selbst an das Fremde, dasz mein
Verstaendnis des einst Fremden moeglich wird.  In dieser Hinsicht
sind das Verstehen der Kunst und die geistige Gemeinschaft welche
es bewirkt ununterschieden vom Verstehen der Sprache und von der
Gemeinschaft die sich aus diesem Verstehen ergibt.

     Auch ist die Kunst mit der Sprache darin vergleichbar, dasz
sie ein gemeinsam Bestehendes zu schaffen scheint.  Ich betone
"scheint", weil bei naeherer Untersuchung auch die Sprache nicht
nur in bestaendigem Wandel ist, sondern auch jener Eindeutigkeit
entbehrt welche ihr als wesentlichste Eigenschaft angepriesen
wird.

     Die Bedeutung des Sprachausdrucks nicht weniger als des
Kunstwerks beruht 1) auf der Aehnlichkeit oder Gleichheit der
Beteiligten, und 2) auf den Besonderheiten der Umstaende in denen
die Sprachmitteilung stattfindet. Die Integritaet (das Bestehen)
des Sprachwerks oder der Sprache, des Kunstwerks oder der Kunst,
als unabhaengige, bleibende Behaeltnisse (repositories) von Sinn
oder Wert ist Idealisierung, ist Taeuschung.  Dies zu erkennen
ist die grosze Aufgabe welche die Aesthetik und die
Erkenntnistheorie miteinander teilen.

     Sprachwerk und Kunstwerk schoepfen ihre Verlaeszlichkeit aus
der vorbestehenden (praeestablierten) Gleichheit (Aehnlichkeit)
der Beteiligten.  Sie schoepfen ihren Inhalt aus den Umstaenden
die sie beschreiben und mitteilen. Sie bewirken keinen Zusatz,
keine Vergroeszerung oder Vermehrung des Wirklichen. Sie
bewirken, im Gegenteil eine Verwandlung dessen der die Mitteilung
empfaengt, und weniger augenfaellig (obvious) die Verwandlung
dessen der die Mitteilung entwirft. So steigern sie (Sprachwerk
und Kunstwerk) aufs Aeuszerste die psycho-physiologischen
Vorgaenge des Lernens, jene eigenartigste zwar unbewuszte und
dennoch folgenreichste Eigenschaft des menschlichen Wesens.

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     Man braucht es nur auszusprechen um einzusehen wie
unentrinnbar das Fehlschlagen aller Versuche ist die Problematik
des menschlichen Daseins mittels der Logik, mittels der Begriffe,
oder auch mittels der Wissenschaft zu loesen.  Dies wenn nur,
weil die Problematik keine solche ist, weil die Problematik
keinen eigentlichen, wirklichen Bestand hat, sondern lediglich
Folge der Idealisierung ist, welche sich das menschliche Dasein
als etwas vorstellt, das vervollkommnet werden sollte oder
koennte.  welche das Wesen des Menschen als unvollkommen mit
einem Vollkommenen vergleicht.  Die Problematik verschwindet
sobald man den Menschen und das Menschliche in aller
"Unvollkommenheit" akzeptiert so wie sie sind, wenn man die
Situation der Unvollkommenheit als das Natuerlich-notwendige das
es ist erkennt.

     Man ist versucht vorzuschlagen, One is tempted to assert,
dasz nicht die Unvollkommenheit des menschlichen Daseins
erklaerungsbeduerftig ist, sondern deren Benennung als solche,
dasz die Unvollkommenheit in dem eingewurzelte Drang zu
Idealisieren besteht.  Aber auch das ist ein Miszverstaendnis:
denn die Fehlerhaftigkeit, die Unvollkommenheit, des
Idealisierens ist auch eine unabaenderliche Eigenart des
Menschengeistes. Das Denken, ins besondere das Sehen, das Hoeren,
das Sprechen als Herstellung von Worten und daher von Begriffen,
das Erinnern: das alles sind notwendige natuerliche Vorgaenge
welche recht verstanden Idealisierungen sind, insofern als sie
Gebilde schaffen welche das Erleben widerspiegeln und welche
demgemaesz (weil sie das Erleben widerspiegeln, beanspruchen
Wirklichkeit zu sein.

     Ich vermag die Grundfrage des Idealismus nicht zu
beantworten, aber ich glaube es ist wesentlich sie so klar wie
moeglich auszusprechen: und diese Frage ist: Was bedeutet die
Behauptung, welche schon bei Platon eine so grosze Rolle spielt,
dasz das Ideal wahrer, gueltiger und besser sei als die
Erscheinung mittels derer es sich offenbart.

     Ist, wie ich denke, die Idealisierung ein Audruck
menschlichen Wesens, ist das Idealisieren eine Eigenart
menschlichen Denkens, dann musz die (einst von Platon) behauptete
Vorherrschaft des Ideals ueber die Erscheinung, als egoistische
Geltendmachung des Denkers verstanden werden.  Mit seinem
Idealisieren scheint der Mensch die Welt zu beherrschen.  Die
Idealisierung also ist Ausdruck des Willens zu Macht.

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     Zu diesen Ueberlegungen gehoert eine weitere Betrachtung
ueber die Wirkung des Naturerlebnisses auf die Gemeinschaft.
Meine Ausgangspunkte sind die Erlebnisse des Schoenen, etwa eines
besonderen Gewaechses, des Erhabenen (im Sinne Shaftesburys) wie
Berge und Meer, des Seltenen, wie etwa Mitglieder sogennanter
gefaehrdeter Arten (Spezies).

     Es ist unbestreitbar, dasz Naturerlebnisse in vergleichbarer
Weise wie Kunsterlebnisse gemeinschaftsstiftend sind oder
jedenfalls sein koennen.

     Das Stadtbild als Naturbild.  Ich finde es bemerkenswert zu
bedenken, unter welchen Umstaenden ein Stadtbild als Zerstoerung
der Landschaft, und unter welchen Umstaenden ein anderes
Stadtbild als ein Teil, oder sogar als Zierde, der Landschaft
empfunden wird.

     Ueberhaupt scheint das Landschaftserlebnis ein Ausdruck,
sicherlich ein wesentlicher, der Beziehung zu anderen Menschen.
Die Wildnis lockt ihn umso staerker, je ueberdruessiger er der
Gesellschaft ist, je groeszer die Bevoelkerungsdichte.  Wer auf
eine entfernte Insel verschlagen ist dem ist nicht erbaulicher
als die Erscheinung einer Groszstadt.  Man besinne sich der
phantasmagorischen Gottesstadt der Bibel.

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