19980713.00
Es ist ein Widerspruch, dasz die Wissenschaft stets das
Wissen als wahr und gueltig bezeichnet, und doch als stets
vorlaeufig, dasz dies Wissen stets der Erneuerung und
Verbesserung offen liegt, dasz dies Wissen den Widerspruch in
sich birgt, dasz es, um zu bestehen, ueberholt werden musz.
[Mir scheint es, dasz dieser Widerspruch auf die
Gesellschaftlichkeit des Wissens hindeutet, oder jedenfalls mit
dieser Gesellschaftlichkeit erklaert zu werden vermag. Die
bedingungslose Gueltigkeit des Wissens ist ein Postulat das in
der Wissensauffassung der Gesellschaft begruendet ist welches
dann aber durch das Integritaetsbeduerfnis des Einzelnen stark
bestaetigt wird.]
Der Widerspruch, dasz das Wissen zugleich ewig und
vergaenglich ist: ein Spiegelbild der menschlichen Existenz,
deren Eigenart (nach Kierkegaard) es ist, zugleich endlich und
unendlich zu sein; Ausdruck als des menschliche Geistes, der
menschlichen Psyche.
Anders gedeutet aber auch Ausdruck der Gesellschaftlichkeit.
Denn wenn auch der Einzelne von der Wahrheit seines Begriffes
ueberzeugt ist, naemlich des Seinigen, so wird doch der Naechste
von der Wahrheit eines anderen Begriffes eingenommen. Wie
zwischen dem Naechsten und dem Einen unvermeidlicher Wettstreit
entsteht, so entsteht auch Wettstreit zwischen den verschiedenen
Vorstellungen welche sie hegen. Vermeintlich, aber keineswegs
unbedingt, setzt sich _die_ Vorstellung durch, welche praktischer
ist, welche wirksamer ist, welche tatsaechlich die Meerstraszen
nach der verheiszenen Welt eroeffnet.
Inbegriffen in der Erklaerung, dasz sich eine oder die
andere Vorstellung "durchsetzt", ist die Annahme, dasz die
Vorstellung welche sich "durchsetzt" eine einzige Vorstellung
ist; dasz dementsprechend die Vorstellungen der vielen
verschiedenen Menschen, zugegeben, dasz sich diese auf eine
einzige Formel beziehen, ein und dieselbe Vorstellung sein
sollten. Dies ist aber nicht durchgaengig der Fall.
Tatsaechlich hat jeder Einzelne sein eigenes Verstaendnis von dem
gemeinsamen Wissen. Inwiefern dieses eigene Verstaendnis mit dem
Verstaendnis des Naechsten uebereinstimmt ergibt sich stets aus
den gegebenen Umstaenden. Voellig wird es nie uebereinstimmen;
praktisch aber, in sehr vielen Faellen, werden
Verstaendnisunterschiede unmerklich sein. In many instances,
differences in understanding will be merged in common action;
which will cause the intepretations to appear identical and
indistinguishable.
Ein mir sehr eindrucksvolles Beispiel gemeinsamer Handlung
ist die Auffuehrung von Musik; das Zusammenklingen (die
Symphonie) der vielen Stimmen welche durch wiederholtes Einueben
der Dirigent zu einem geschlossenen Gefuege gestaltet, wo
jegliche Individualitaet des Verstaendnisses unterdrueckt und
verloren wird und letztlich verloren geht.
So geht es mit der Wissenschaft ueberhaupt. Das Erlernen der
Wissenschaft ist die berechnete, systematische Unterdrueckung
individueller Ein- und Ansichten. Was uebrig bleibt ist eine
Rechenkunst mit einem eigentuemlichen, zugegeben, auch
aesthetischen Reiz, beschraekt jedoch durch das Aufgeben eigenen
Erlebens. Dies jedenfalls auf niedriger Stufe. Bei sehr faehigen
Wissenschaftlern wird das Verstehen erfinderisch, schaffend und
entdeckt neue Zusammenhaenge.
Auf dem Gebiet der Sprache geschieht aehnliches. Auch hier
werden wir gezwungen wie alle anderen zu denken und zu fuehlen.
Bis sich das Verstehen jedenfalls scheinbar dem herkoemmlichen
Gemeinsamen entwindet, sich weigert sich dem Gemeinsamen zu
fuege; und das Bestreben das Inwendige und Innere zu
Oeffentlichem zu machen draengt die Sprache zur Grenze des
Unverstaendlichen.
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