19980822.00

     Der Fehler, der Mangel, der durchdringende Irrtum
herkoemmlicher Erkenntnistheorie ist die Anmaszung die Erkenntnis
durch Erkenntnis zu entwirren; zu beanspruchen, sozusagen, sich
an den eigenen Schnuersenkeln aufzurichten.  (to raise oneself by
ones own bootstraps.)  In beschraenktem Sinne ist dies moeglich.
So mag man, zum Beispiel, einsehen in welchem Ausmasze das Denken
ein sinnbildliches, ein symbolisches ist, inwiefern es von der
Sprache abhaengt, und durch die Sprache gestaltet und begrenzt
wird; und darueber hinaus noch allgemeiner, inwiefern das
Erkannte ein Spiegelbild des Menschengeistes, des menschlichen
Gemuetes ist, ins besondere, dasz die Bilder die wir erkennen,
die Beschaffenheit unserer Gesichtsorgane widerspiegelt.  Auch
ist es notwendig die dem Wissen zugrunde liegende
Gesellschaftlichkeit all unseres Wissens zu bedenken.  Bei all
diesen Ueberlegungen faellt ins Auge, dasz sie ueberzeugend sind,
weil und insofern sie das unmittelbare Erleben betreffen, so dasz
ein jeder faehig ist sich in jedem Moment ihrer Gueltigkeit zu
ueberzeugen, (vergewissern).  So etwa, dasz das Erkennen ein
symbolishes ist, seine Sprachbedingtheit und seine
Gesellschaftlichkeit, seine Abhaengigkeit von den
Beschaffenheiten unserer Erkenntnisorgane, der Augen etwa und des
Gehirns, dies alles ist unmittelbar erkenntlich, und wird von
keinem der es je wahrgenommen hat hinfort geleugnet werden
koennen.  Das ist die eine Seite, die eine Phase des Verstehens
von der Erkenntnis.

     Die andere Phase ist die Einsicht der Verhaeltnismaeszigkeit
des tatsaechlich und dennoch nur vermeintlich Gewuszten.  Diese
Verhaeltnismaeszigkeit erscheint auf mannigfaltige Weise.  Am
Buendigsten als der sokratische Beschlusz, Ich weisz dasz ich
nichts weisz.  Das Ich weisz hat hier den Doppelsinn der sich aus
dem Widerspruch von Innen und Auszen, von Privat und Oeffentlich,
von Subjektiv und Objektiv ergibt.  Was gewuszt wird, wird
subjektiv, persoenlich, inwendig gewuszt; das Nichtgewuszte ist
das Aeuszerliche, das Objektive, das Gegenstaendliche, das
Oeffentliche, das von aller Welt Wiszbare.  Und dies wird
abgelehnt, weil es unbestaendig, widerspruechig, irrtuemlich,
weil es falsch und unwahr ist.  Weil es veraenderlich ist, wo es
doch Unveraenderlichkeit beansprucht und verspricht.

     Objektiv, von auszen, als Naturgeschehen betrachtet ist das
Innewenige auch veraenderlich.  Subjektiv aber wird es immer nur
auf das hier und jetzt bezogen; der Bezug auf die Gegenwart nacht
es unveraenderlich.

     Bemerkenswert, wie der Wahrheitsbegriff von dem Begriff der
Unveraenderlichkeit eingenommen zu sein scheint.  Und dies trotz
der so offenbaren Veraenderlichkeit der Welt.  Die verlangte
(beanspruchte) Unabaenderlichkeit aber ist Ausdruck des
menschlichen Unbedingtheitsbeduerfnisses; ist ein Entwurf
(Projektion) persoenlicher Noete, persoenlicher Beduerfnisse in
die auswendige Geisteswelt.

     Es ist unmoeglich eine stichhaltige Erkenntnistheorie als
objektive Lehre, als Gewebe objektiver Tatsachen zu entwerfen.
Was kommt es aber auf Lehre, auf Theorie an?  Sollte es nicht
vielmehr auf das Wirken der Erkenntnis, auf das Erleben von ihr,
auf Erkenntnishandlung ankommen?  Ist es nicht merkwuerdig und
bedeutsam wie diesem erkennenden Wirken und Handeln die
Erkenntnislehre zuwider steht, im Wege ist?

     Nein, was wir beduerfen, was wir brauchen ist nicht
Erkenntnistheorie, sondern ist Erkenntnisfaehigkeit.  Das
Erkennen will, wie manches andere, eingeuebt sein.  Und die
fortschreitende Faehigkeit auch das Widersprechende auf und
anzunehmen ist der Inbegriff des Erkentnisverstehens.

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