19980823.00
Es ist ewig moeglich ueber etwas zu spekulieren, das man die
Form des Denkens nennen mag, ueber dessen Abhaengigkeit, zum
Beispiel, von der Sprache, von den Eigenschaften der Sinnen, oder
sogar von den Eigenschaften des Denkvermoegens, Gehirns oder
Geistes, wie immer man es nennen mag, oder auch dessen
Gesellschaftlichkeit, ueber dessen Abhaengigkeit von dem
bestaendigen, forwaehrenden, sich taeglich erneuernden Verkehr
mit anderen Menschen. Erwaegungen dieser Art jedoch, werden nie
den Inhalt des vermeintlich Gewuszten, - oder Wiszbaren -, zu
erreichen vermoegen.
Die Form des Wissens, sogenannt, liegt gaenzlich im Bereich
der Begriffe, umgekehrt, das am Wissen was in Begriffen zum
Ausdruck kommen kann, nenne ich dessen Form. Was aber den
Begriffen entgeht, nenne ich den Inhalt des Wissens, und dieser
Inhalt ist individuell, ist subjektiv, persoenlich, inwendig,
wird dem anderen Menschen zugaenglich nur dadurch, dasz er ihn
selbst erlebt. Der Inhalt also vermag nicht vermittelt,
uebertragen, mitgeteilt zu werden, sondern musz von jedem
Einzelnen an jedem Ort und in jedem Augenblick aufs neue und in
eigener Weise erlebt werden.
Dem entsprechend had die Erkenntnis, wie alle andere
geistige Taetigkeit, zwei Phasen, mitteilbare Form, und
einzigartigen Inhalt. Man ist geneigt sich vorzustellen, dasz
mit dieser Analyse das Wissensraetsel geloest sei. Jedoch ist
dies keineswegs der Fall. Mit dieser Analyse ist man nicht am
Ende sondern am Anfang des Verstehens. Die Erkenntnis des
Erkennens ist eine fortschreitende Aufgabe die nie erfuellt ist,
die, wie das Leben selbst, jeden Beschlusz nur als vorlaeufig
anerkennt, einen Ausgangspunkt fuer neues Erkennen auf anderer
und vermeintlich hoeherer Stufe.
Diese Erwaegungen, so scheint es mir, besagen viel ueber das
Verhaeltnis von Denken und Leben. Es ist ein Irrtum
vorauszusetzen, oder auch nur zu erwarten, dasz das Denken dazu
bestimmt sei, das Leben irgendwie zu beherrschen, ueber ihm zu
walten, die Irrtuemer und Vergaenglichkeiten des Lebens
aufzuheben, und den Geist aus dem Bereich des Endlichen ins
Unendliche, aus dem Bereiche des Sterblichen ins Unsterbliche,
aus dem Bereiche des Vergaenglichen ins Unvergaengliche zu
ueberleiten, die Beschraenktheit des Menschen aufzuheben, also
den Menschen zum Gotte zu machen. Das geht nicht an.
Das Erkenntnistheoretisieren also, das Denken ueber das
Denken, vowon Goethe gesagt hat, dasz er es nie getan hat, ist in
seiner Vorlaeufigkeit und Unvollstaendigkeit (tentativeness) von
dem Denken ueber andere Sachen, von dem Wirken, Arbeiten und
Muehen worin das Leben sonst besteht, nicht zu unterscheiden. Es
ist Zubehoer unseres geistig-seelischen Daseins, es gehoert zur
Ausstattung unserer Gedankenwelt, zum Instrumentar der
Geisteswerkstatt, das unsere Muehen eintraeglicher macht;
wenngleich es nicht faehig ist uns die entgueltigen Antworten zu
geben welche zu fordern wir uns toerichter Weise gedrungen
fuehlen.
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