19990325.00
Das Menschwerden Gottes, die Vermenschlichung des
Goettlichen birgt auch, wie mir scheint, tiefgreifende
erkenntnistheoretische Bedeutung. Denn dem Gotte wurde
zugesprochen, alles das, was der Mensch nicht begreifen, nicht
erreichen, nicht zu schaffen vermochte. Diese Ueberlegenheit war
seine goettliche Eigenschaft.
Wird Gott zum Menschen, so werden auch all seine
goettlichen, vermeintlich uebermenschlichen Eigenschaften und
Faehigkeiten zum Menschlichen zurueckgefuehrt: und dies in
doppelter Weise: Erstens: Der tatsaechliche Erkenntnis- und
Wirkungsbereich des Menschen wird erweitert. Dem Menschen ist nun
erlaubt, was ihm ehedem verboten war. Durch das Menschwerden
Gottes wird der Mensch ermaechtigt Gott nachzufolgen,
gottaehnlich zu werden. Warum sollte diese nun erlaubte
Gottaehnlichkeit das gottaehnliche Erkennen, das gottaehnliche
Wissen ausschlieszen? Dasz durch das Menschwerden Gottes die
Suende Adams getilgt wird, scheint selbstverstaendlich. Denn
diese Suende bestand ja darin, dasz Adam gottaehnlich oder
gottgleich zu werden sich anmaszte. Nun, da Gott zum Menschen
wurde ist die Angleichung von Mensch und Gott endlich doch
vollendet und geloest.
Zweitens aber auch, und nicht weniger bedeutend, die Residua, die
Ueberbleibsel, jene weiten Gebiete und jene starken Maechte,
welche auszerhalb menschlichen Vermoegens sind, werden nun nicht
mehr Gott: sie werden Natur genannt. Diese Umnennung ist mehr als
ein Namenstausch: denn waehrend Gott dem Menschen als Herrscher
und Richter gegenueber steht, so ist Natur die Gemeinschaft von
Mensch und Welt. Der Mensch ist weder Herrscher der Natur, noch
ist er ihr unterworfen. Er ist ihr gleichgestellt, er ist ein
Teil von ihr, und sie verwirklicht sich in ihm.
Und dem alten, dem einstigen Gotte bleibt nichts als die
Vaterschaft; die Vaterschaft einerseits des Erloesers; die
Vaterschaft andererseits des Menschen, aller Menschen. Es ist
unumgaenglich, dasz wo der Sohn Gottes zum Menschen wird, auch
der Vater des Sohnes menschlich wird, und damit ist die
Zersetzung des Goettlichen vollstaendig.
Was uebrig bleibt sind vornehmlich die Noete des Menschen welche
ihn ueberhaupt erst zur Entdeckung (oder Erfindung) Gottes
verleiteten.
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