19980424.00 Der Existenzbegriff, - und alle von ihm abgeleiteten Vorstellungen verhaften am Widerspruch; und sind sinnvoll eben gerade dadurch dasz der Widerspruch die Dialektik, die Auseinandersetzung bewirkt; und somit den Geist belebt. Das Christentum ist widerspruechlich wie der Existenzbegriff. Deshalb laeszt es sich - so Kierkegaard - vornehmlich durch den Existenzbegriff erklaeren. Und widerspruechlich wie das Christentum ist auch das Erleben des Menschen. Darum laeszt sich auch dieses vornehmlich durch die Anwendung, bezw. Ausuebung des Existenzbegriffes erlaeutern. Und damit dasz sich Christentum und Erleben in ihrer Widerspruechlichkeit entsprechen, waere auch der Erfolg, die Wirksamkeit, die historische Bedeutung des Christentums erklaert. Die Widerspruechlichkeit des Erlebens besagt aber, dasz es sich nicht begriffsmaeszig erklaeren laeszt: dasz alle Begriffe an ihm zum Widerspruch werden. Die Widerspruechlichkeit des Erlebens besagt auch, dasz die eindeutigen, widerspruchslosen Begriffe zur Erlaeuterung des Erlebens als solche, d.h. als widerspruchslose nicht taugen; sondern dasz auch sie in Bezug auf das Erleben sinnvoll werden nur insofern die Unmoeglichkeit, die Widerspruechlichkeit ihrer Behauptung widerspruchsfreien Sinn zu geben offenbar (evident) wird. In Hinsicht auf das Erleben also ist es umgekehrt: Das Paradox erscheint als Norm. Die (protokoll) Aussage erscheint als Widerspruch, als Absurditaet. Die schlichte Erklaerung fuer die Unstimmigkeit von Begriff und Erleben entspringt der Eigenart des Begriffes: eben dasz dieser, seinem Wesen nach, beansprucht das Erleben zu ersetzen, und dasz dieser Anspruch, welcher zwar die weitgreifendsten und durchdringensten geistigen Folgen hat, dennoch eine Unmoeglichkeit besagt. Die Begriffssatzung (Begriffssetzung), wie widerspruechlich in Bezug auf das Erleben sie auch immer sein mag, ist dennoch die Grundbedingung der Mitteilungsfaehigkeit des Menschen. Mit anderen Worten: um sich seinen Mitmenschen verstaendlich zu machen, um selbst erst, im Geistigen Mensch zu werden, musz der Mensch Vorstellungen entwickeln, und musz diese Vorstellungen mitzuteilen vermoegen. Er wird erst Mensch mittels mitgeteilter Vorstellungen. Die Fakultaet welche Vorstellungen ermoeglicht und auf welcher Vorstellungen beruhen, ist die Sprache. Die Sprache, welche nicht ein aeuszerliches Anhaengsel des Menschen ist, sondern welche zu seinem Wesen gehoert. Die Sprache ist die Grundlage der Verstaendigung, der geistigen Gemeinsamkeit welche das menschliche Dasein kennzeichnet (characterizes). Die Sprache vermag dem Erleben Ausdruck zu verleien, vermag aber niemals das Erleben erschoepfend wiederzugeben oder es zu ersetzen. Und doch, genau dieses beansprucht die Sprache ihrem Wesen nach. Denn in dem Moment da der Ausdruck, der Satz, das Wort, dem Menschen gegenwaertig ist bestimmen diese seine Gedanken und Gefuehle, stellen diese ihm die Wirklichkeit dar. Die Sprache, oder genauer gesagt, die symbolischen Formen unter denen die Sprache die hervorragendste ist, machen eine Pseudowirklichkeit, werden zu einer Pseudowirklichkeit, stellen eine Pseudowirklichkeit dar, constitute a pseudoreality, als Vorbedingung und Grundlage des geistigen Verkehrs der Menschen mit einander. Der grosze Irrtum herkoemmlicher Theorie ist die Verabsolutierung der symbolischen Formalitaet, ist den symbolischen Begriffen - und andere gibt es nicht - eine Bedeutung zu zumessen die weit ueber ihren Bedeutungkreis, ueber ihre Kompetenz, ueber ihre Anwendbarkeit, Gueltigkeit, Applicability hinausgeht. Dies geschieht - Hand in Hand - mit der Ueberschaetzung der Natur- und Geisteswissenschaften. Nicht nur die Einschaetzungen der Physik und Chemie werden ueberwertet, sondern auch die Deutlichkeit und der Sinn geschichtlicher und juristischer Erfindungen. Die vermeinte (pseudo) Wirklichkeit der geistigen Errungenschaften ersetzt dann die eigentliche genuine echte authentische Wirklichkeit des Erlebens. Die Verwechslung des unechten Erlebens mit dem echten erinnert an die ersten zwei der zehn mosaeischen Gebote; welche den Ersatz des wahren Gottes durch Goetzen verbietet. "Ich bin der Herr dein Gott: Du sollst keine anderen Goetter neben mir haben. Du sollst Dir kein Bildnis machen... Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn Ich der Herr dein Gott bin ein eifriger Gott." Um die Beziehung zu erkennen, braucht nichts als Gott mit Wirklichkeit ersetzt werden. Ist Gott wirklich, ist Gott die Summe alles wirklichen Erlebens, dann ist die Hypothesis einer falschen Wirklichkeit durchaus vergleichbar mit der Hypothesis eines falschen Gottes. Waere vielleicht also Moses der Urheber, der Gruender der uralten urspruenglichen "Existenzphilosophie", mit der Erklaerung der einzigen Gottheit, der Entdecker der Subjektivitaet, der Verkuender der Erkenntnis der Einzigartigkeit (uniqueness) Gottes, der Erkenntnis der Einzigartigkeit (uniqueness) des Erlebens. Somit tritt in Erscheinung die eingewurzelte tiefe Unwahrheit (Zweideutigkeit) der Behauptung: Wir glauben all an einen Gott. Denn dies, dasz wir an _einen_ Gott glauben sollten, ist doch eine Unmoeglichkeit, da der Gott an welchen ein jeder Mensch glaubt sein eigener sein musz. Wird gesagt, dasz wir alle an einen Gott glauben, so bedeutet dies entweder, dasz wir an einen Goetzen glauben oder dasz wir garnicht glauben, oder aber dasz unsere vermeintliche Glaubensgemeinschaft eine Taeuschung waere. Die Gleichheit des Gottes an den wir vermeintlich alle glauben ist illusorisch. * * * * *

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