19990524.00 Das Ziel der geistigen Entwicklung ist nicht die Entdeckung eines Zeuberspruchs, nicht die Erfindung von Zauberworten; ist auch nicht die Anhaeufung von Tatsachen in einem Gedaechtnisspeicher. Das Ziel der geistigen Entwicklung des Menschen ist das Erwerben einer Faehigkeit, der Kunst naemlich, mit den scheinbaren Widerspruechen seiner Existenz zu Rande zu kommen. Der Ausdruck von Edmund Husserl, Phaenomenologische Reduktion, klingt mir in den Ohren; aber eine Reduktion, eine Zurueckfuehrung auf ein Einfacheres, Grundsaetzliches, eine Reduktion zu Prinzipien (first principles) ist nicht was ich im Sinn habe. Denn das Vertrauen auf den Anfang, auf die Grundlage, auf die arche besagt ein Miszverstaendnis unseres Denkvermoegens. Die Grundlage, das Urprinzip (first principle), ist nicht der Augangspunkt unserer Denkens sondern ist eines seiner Ziele, und vielleicht nicht das gluecklichst gewaehlte. Vielleicht sollte das denkziel sogar etwas Entgegengesetztes sein, eine Erweiterung des Erlebnisses, welches ich zuerst, voellig unzulaenglich, mit einem Stichwort zu erfassen suche, dann vom Denken in alle moeglichen, alle vorstellbaren Erlebnisbereiche in der Vergangenheit in der Zukunft, in der Naehe und in der Ferne, erweitert. Um eine solche Erweiterung zu bewirken, bedarf es die Schaetze des Gedaechtnisses, die Fluegel der Vorstellungskraft: und was entsteht ist eine mir persoenliche Welt von groszer Vielfaeltigkeit und Buntheit. Diese Welt ist vergleichbar, und doch nicht zu verwechseln, mit der aueszeren objektiven, vermeintlich allen Menschen zugaenglichen Welt. Genauer betrachtet aber ist es diese objektive Welt, welche dem leidenschaftlichen Erleben zuletzt als Taeuschung erscheint, indessen die erweiterte Welt der Vorstellung der Geistesraum ist, worin der Mensch tatsaechlich lebt. Es ist ein allgemeiner Irrtum die erweiterte Welt der Vorstellung als gegenstaendlich, als allen Menschen zugaenglich, als objektiv zu betrachten. Die vermeintliche Objektivitaet dieser Welt ist ein Miszverstaendnis. Dasz eine Situation, ein Vorgang, ein Gegenstand "objektiv" gueltig sein sollte, ist eine Annahme welche stets nur beschraenkte Berechtigung hat. Voellige (totale) Objektivitaet ist (wahrscheinlich) eine Unmoeglichkeit. Gaenzliche Abwesenheit aller Objektivitaet ist gleichfalls sehr problematisch, insofern als man sich einen Menschen bar aller Objektivitaet als voellig in sich selbst gekehrt vorstellen musz, idiotisch also und abgetrennt von den anderen Menschen die sein Leben moeglich machen. * * * * *

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