19990608.00
Man sollte in der Theologie nicht Aufklaerung ueber das
Wesen Gottes suchen, sondern Aufklaerung ueber das Wesen des
Menschen. Es ist suendhaft, - und dumm, - zu beanspruchen,
Gottes Wesen zu begreifen, der er doch wesentlich unbegreiflich
ist und bleiben musz. Da aber der Mensch von der Ahnung des
Goettlichen ueberwaeltigt ist, musz der sich selbst erkennende
Mensch besonders von diesem Gottesbewusztsein Rechenschaft
ablegen. So entpuppt sich Theologie als letzthin gueltige
Anthropologie.
Es ist aber durchaus ersprieszlich den Versuch zu machen,
den Menschen und das Menschliche zu begreifen, und sich selbst zu
erkennen. Wer den Menschen begreifen will, musz von der
Gottesvorstellung des Menschen, musz von des Menschen
Gotteserlebnis Rechenschaft ablegen. Unerkenntlich und unkennbar
ist Gott an sich; nur das Licht - und der Schatten, welche vom
Goettlichen ins Menschendasein fallen, sind uns erkennbar. Dasz
Gott nur durch das Menschliche erkannt wird, besagt die
Vermenschlichung Gottes, ein Vorgang welcher in der Inkarnation,
in dem Menschwerden des Heilands sein Vorbild und sein
Rechtfertigung hat. Es ist der Urfehler der Erkenntnis
anzunehmen, dasz der Mensch als ein Ebendbild Gottes geschaffen
sei. Vielmehr ist seine Vorstellung von Gott eine Ergaenzung,
ist vielleicht sogar die Vervollstaendingung des Menschendaseins.
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Das Menschwerden Gottes, die Vermenschlichung des
Goettlichen birgt auch, wie mir scheint, tiefgreifende
erkenntnistheoretische Bedeutung. Denn dem Gotte wurde
zugesprochen, alles das, was der Mensch nicht begreifen, nicht
erreichen, nicht zu schaffen vermochte. In dieser Ueberlegenheit
allem Menschlichen bestand seine Eigenschaft als Gott.
Wird Gott zum Menschen, so werden damit all seine
goettlichen, vermeintlich uebermenschlichen Eigenschaften und
Faehigkeiten zum Menschlichen zurueckgefuehrt: und dies in
doppelter Weise:
Erstens, wird mit dem Menschwerden Gottes der tatsaechliche
Erkenntnis- und Wirkungsbereich des Menschen erweitert. Nun ist
dem Menschen erlaubt, was ihm ehedem verboten war. Ebenso wie
durch das Menschwerden Gottes Gott erniedrigt wird, so wird der
Mensch durch das Menschwerden Gottes erhoeht: der Mensch wird
ermaechtigt Gott nachzufolgen, und was im Paradies als
verderblich galt, die Sehnsucht gottaehnlich zu werden, wirkt in
der Welt als erloesend. Warum sollte diese nun erlaubte
Gottaehnlichkeit das gottaehnliche Erkennen, das gottaehnliche
Wissen ausschlieszen? Dasz durch das Menschwerden Gottes die
Suende Adams getilgt wird, liegt im Wesen dieser Suende selbst:
Denn diese Suende bestand ja darin, dasz Adam gottaehnlich oder
gottgleich zu werden sich anmaszte. Nun, da Gott zum Menschen
wurde ist die Angleichung von Mensch und Gott endlich von Gottes
Seite vollendet und geloest.
Zweitens aber auch, und nicht weniger bedeutend, die
Residua, die Ueberbleibsel, jene weiten Gebiete und jene starken
Maechte, welche auszerhalb menschlichen Vermoegens sind, werden
nun nicht mehr Gott: sie werden Natur genannt. Diese Umnennung
ist mehr als ein Namenstausch: denn waehrend Gott einst dem
Menschen als Herrscher und Richter und Schicksal gegenueber
stand, so ist nunmehr, mit der Vermenschlichung Gottes, ein neues
Verhaeltnis entstanden: Natur, die Gemeinschaft von Mensch und
Welt. Der Mensch ist weder Herrscher der Natur, noch ist er ihr
unterworfen. Er ist ihr gleichgestellt, er ist in sie
eingegliedert, er ist ein Teil von ihr, und sie verwirklicht sich
in ihm.
Und dem alten, dem einstigen Gotte bleibt nichts als die
Vaterschaft; die Vaterschaft einerseits des Erloesers; die
Vaterschaft andererseits des Menschen, aller Menschen. Es ist
unumgaenglich, dasz wo der Sohn Gottes zum Menschen wird, auch
der Vater des Sohnes menschlich wird, und damit ist die
Zersetzung des Goettlichen vollstaendig.
Was uebrig bleibt sind vornehmlich die Noete des Menschen
welche ihn ueberhaupt erst zur Entdeckung (oder Erfindung) Gottes
veranlaszten.
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Der Existenzbegriff, - und alle von ihm abgeleiteten
Vorstellungen verhaften am Widerspruch; und sind sinnvoll eben
gerade dadurch dasz der Widerspruch die Dialektik, die
Auseinandersetzung bewirkt; und somit den Geist belebt.
Das Christentum ist widerspruechlich wie der
Existenzbegriff. Deshalb laeszt es sich - so Kierkegaard -
vornehmlich durch den Existenzbegriff erklaeren. Und
widerspruechlich wie das Christentum ist auch das Erleben des
Menschen. Darum laeszt sich auch dieses vornehmlich durch die
Anwendung, bezw. Ausuebung des Existenzbegriffes erlaeutern. Und
damit dasz sich Christentum und Erleben in ihrer
Widerspruechlichkeit entsprechen, waere auch der geschichtliche
Erfolg, die Wirksamkeit, die historische Bedeutung des
Christentums erklaert.
Die Widerspruechlichkeit des Erlebens besagt aber, dasz es
sich nicht begriffsmaeszig erklaeren laeszt: dasz alle Begriffe
an ihm zum Widerspruch werden. Die Widerspruechlichkeit des
Erlebens besagt auch, dasz die eindeutigen, widerspruchslosen
Begriffe zur Erlaeuterung des Erlebens als solche, d.h. als
widerspruchslose nicht taugen; sondern dasz auch sie in Bezug auf
das Erleben sinnvoll werden nur insofern die Unmoeglichkeit, die
Widerspruechlichkeit ihrer Behauptung widerspruchsfreien Sinn zu
geben offenbar (evident) wird. In Hinsicht auf das Erleben also
ist es umgekehrt: Das Paradox erscheint als Norm. Die
(protokoll) Aussage erscheint als Widerspruch, als Absurditaet.
Die schlichte Erklaerung fuer die Unstimmigkeit von Begriff
und Erleben entspringt der Eigenart des Begriffes: eben dasz
dieser, seinem Wesen nach, beansprucht das Erleben zu ersetzen,
und dasz dieser Anspruch, welcher zwar die weitgreifendsten und
durchdringensten geistigen Folgen hat, dennoch eine
Unmoeglichkeit besagt.
Die Begriffssetzung, wie widerspruechlich in Bezug auf das
Erleben sie auch immer sein mag, ist dennoch die Grundbedingung
der Mitteilungsfaehigkeit des Menschen. Mit anderen Worten: um
sich seinen Mitmenschen verstaendlich zu machen, um selbst erst,
im Geistigen, Mensch zu werden, musz der Mensch Vorstellungen
entwickeln, und musz diese Vorstellungen mitzuteilen vermoegen.
Er wird erst Mensch mittels mitgeteilter Vorstellungen.
Die Fakultaet welche Vorstellungen ermoeglicht und auf
welcher Vorstellungen beruhen, ist die Sprache. Die Sprache,
welche nicht ein aeuszerliches Anhaengsel des Menschen ist,
sondern welche zu seinem Wesen gehoert. Die Sprache ist die
Grundlage der Verstaendigung, der geistigen Gemeinsamkeit welche
das menschliche Dasein kennzeichnet (characterizes).
Die Sprache vermag dem Erleben Ausdruck zu verleien, vermag
aber niemals das Erleben erschoepfend wiederzugeben oder es zu
ersetzen. Und doch, genau ist dies was die Sprache ihrem Wesen
nach beansprucht. Denn in dem Moment da der Ausdruck, der Satz,
das Wort, dem Menschen gegenwaertig werden, bestimmen diese seine
Gedanken und Gefuehle, stellen diese ihm, wenn auch nur
voruebergehend, die Wirklichkeit dar.
Die Sprache, oder genauer gesagt, die symbolischen Formen
unter denen die Sprache die hervorragendste ist, werden dem
Sprechenden, wie dem Hoerenden, zu einer Pseudowirklichkeit,
constitute a pseudoreality, als Vorbedingung und Grundlage des
geistigen Verkehrs der Menschen mit einander.
Der grosze Irrtum herkoemmlicher Theorie ist die
Verabsolutierung der symbolischen Formalitaet, ist den
symbolischen Begriffen - und andere gibt es nicht - einen Sinn
zuzumessen die weit ueber ihren Bedeutungkreis, ueber ihre
Kompetenz, ueber ihre Anwendbarkeit, Gueltigkeit, Applicability
hinausgeht. Die Ueberschaetzung des Begriffes bewirkt dann die
Ueberschaetzung der Natur- und Geisteswissenschaften. Nicht nur
die Einschaetzungen der Physik und Chemie werden ueberwertet,
sondern auch die Deutlichkeit und der Sinn geschichtlicher und
juristischer Erfindungen. Die vermeinte (pseudo) Wirklichkeit
der geistigen Errungenschaften und Einrichtungen verdraengt dann
die eigentliche, genuine, echte, authentische Wirklichkeit des
Erlebens.
Die Verwechselung des unechten Erlebens der Symbolik mit dem
echten Erleben der Existenz erinnert an die ersten zwei der zehn
mosaeischen Gebote; welche den Ersatz des wahren Gottes durch
Goetzen verbieten.
"Ich bin der Herr dein Gott: Du sollst keine anderen Goetter
neben mir haben. Du sollst Dir kein Bildnis machen... Bete sie
nicht an und diene ihnen nicht. Denn Ich der Herr dein Gott bin
ein eifriger Gott."
Um die Beziehung dieser beiden Gedankengebilde aufzuweisen,
bedarf es nichts als "Gott" mit "Wirklichkeit" zu ersetzen. Ist
Gott wirklich, ist Gott die Summe alles wirklichen Erlebens, dann
ist die Hypothesis einer falschen Wirklichkeit durchaus
vergleichbar mit der Hypothesis eines falschen Gottes. Waere
vielleicht also Moses der Urheber, der Gruender einer uralten
urspruenglichen "Existenzphilosophie", mit der Erklaerung der
einzigen Gottheit, der Verkuender der Einzigartigkeit
(uniqueness) Gottes, der Verkuender der Einzigartigkeit
(uniqueness) des Erlebens. der Verkuender der Subjektivitaet?
Somit tritt in Erscheinung die eingewurzelte tiefe
Unwahrheit (Zweideutigkeit) der Behauptung: Wir glauben all an
einen Gott. Denn dies, dasz wir an _einen_ Gott glauben sollten,
ist doch eine Unmoeglichkeit, da der Gott an welchen ein jeder
Mensch glaubt sein eigener sein musz. Wird gesagt, dasz wir alle
an einen Gott glauben, so bedeutet dies entweder, dasz wir an
einen Goetzen glauben oder dasz wir garnicht glauben, oder aber
dasz unsere vermeintliche Glaubensgemeinschaft eine Taeuschung
waere. Die Gleichheit des Gottes an den wir vermeintlich alle
glauben ist illusorisch.
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Wenn man die Forderungen der Ethik unvoreingenommen,
nuechtern und sachlich bedenkt, dann ist die erste Betrachtung,
dasz die urspruengliche Ethik, die Ethik des Paradieses, das
Gebot des Herrn, das Gebot Gottes, der Befehl des Maechtigen war.
Gott als Herrscher heiszt Gott als Person. Und wo wuerde
der Mensch eine Vorstellung der Person schoepfen, wenn nicht vom
eigenen Ich? wenn nicht als Erweiterung, als Projektion des
eigenen Ich? Mein Erlebnis meiner Selbst ist das Vorbild, ist
die Vorlage meiner Gottesvorstellung. (Oder ist das Umgekehrte
der Fall, ist die Vorstellung des Ich ein Spiegelbild der
Personen und Persoenlichkeiten welche mir im Laufe meines Lebens
begegnet sind, solche mich beeindruckt, welche mich verwandelt
(umgestaltet, transformiert) haben.) Dann waere Gott eine
Fortsetzung, eine Projektion meiner Persoenlichkeitsvorstellung
ins Allmaechtige, ins Unendliche, ins Grenzenlose, ins
Unbegrenzte. Oder ist, die der Mystiker behauptet, das
Goettliche das Unmittelbare, wovon die Vorstellungen meiner
Mitmenschen und meiner Selbst abgeleitet sein sollten?
Der Ausdruck Person stammt bekanntlich von der
Schauspielermaske als der sichtbaren Erscheinung durch welche die
Stimme als Ausdruck des Inneren hindurch (per) toent (sona).
Demgemaesz unterscheide ich zwischen dem Bewusztsein als der
begrifflichen Bestimmung der Subjektivitaet, und der Person als
der objektiven Erscheinung des (bewuszten) Menschen. Objektiv
ist Gott als die absolute allmaechtige unendliche unbegrenzte
Person vorzustellen. Und doch bleibt Person stets Maske: das
wohindurch toenen die Stimme, das Pneuma, der Geist. Also ist
Gott doch mehr als Person, unendlich mehr, und qualitativ absolut
unterschieden von jeglicher Persoenlichkeit.
Aus dem Widerspruch von Person und Bewusztsein ergibt sich
eine theologische Dialektik. Erkennt man Gott als Person, so ist
er entfernt (remote), mittelbar; wie alle Personen mittelbare
Masken sind. Nach und nach wird man sich des erkuenstelten
Wesens der Personenvorstellung bewuszt. Vielleicht faellt die
Unzuverlaessigkeit und Ohnmacht der Personenvorstellung ins
Besondere bei der Vorstellung der goettlichen Person auf;
jedenfalls aendert sich die Betonung. Wenn man so zu sagen Gott
vor der Unwesenheit der Person retten will, dann kan man nicht
anders als Gott als Geist, als pneuma, als Seele zu erkennen, -
als Bewusztsein also. Gott wird nunmehr ein Teil, eigentlich der
wesentlichste Teil des Bewusztseins, des Selbstbewusztseins
erkannt, dieses begruendend und erhaltend. Dasz demgemaesz die
Person Gottes in den Hintergrund geschoben werden sollte, ist
unvermeidlich.
Man kann die Erscheinung Christi in Menschengestalt als
Zeugnis fuer die Unzulaenglichkeit (incongruity) der Vorstellung
von Gott als Person deuten: mit der Inkarnation, mit dem
Menschwerden Christi, verwandelt sich die Gottesvorstellung und
die Personifizierung Gottes geraet auf eine neue Stufe; eine
Stufe naemlich auf welcher sie sich selber aufhebt. Der
gekreuzigte Christus ist menschlich in einem ueberwaeltigenden
Masze. Christus am Kreuz hat alles Goettliche abgelegt. Er ist
ganz Mensch geworden. Indessen musz die Gottesnatur, wenn sie
gerettet werden soll, in das Bewusztsein des einzelnen Menschen
verlegt werden.
Die biblischen Texte zeigen, wie stark sich das
Gottesbewusztsein im Laufe der Jahrtausende verwandelt hat. Die
urspruenglichen Verbote im Paradies waren was Gott anlangt,
selbstdienend, waren darauf abgestimmt Gottes Stellung den
Menschen gegenueber zu sichern, waren in Bezug auf Gott, selbst
erhaltend. Insofern diese Gebote vorbildlich waeren To the
extent that these commands are taken as exemplary, as God
protects himself, so does man, and self protection, self
preservation is represented as an ethical imperative. Und dieser
Selbsterhaltungstrieb welcher am Anfang (der Bibel) so
dramatischen Ausdruck bekommt ist biologisch durchaus
gerechtfertigt und selbstverstaendlich; ist aber gesellschaftlich
ungenuegend. Denn es ist dem Menschen nicht gegeben als Gott
ueber andere Menschen zu herrschen. Das Leben in der
Gesellschaft fordert ein positives, konstruktives Verhaeltnis zu
anderen Menschen. Dies ist der zweite Teil der Ethik, welcher in
den Zehn Geboten zum Ausdruck kommt.
Die ersten drei der Zehn Gebote wiederholen, erweitern und
vertiefen die Paradiesesgebote indem sie die Integritaet Gottes
bekraeftigen, und dies in hochverfeinerter Weise; die uebrigen
sieben Gebote sind darauf abgestimmt die Beziehung des Menschen
zu seinen Mitmenschen zu regeln, indem sie die Integritaet des
Fremden sichern. Als setzten sie Zaeune welche das materielle,
emotionale und seelische Eigentum der Menschen von einander
trennt, welche jedem sichert was ihm rechtens gebuehrt.
Das Neue Testament bringt die Unzulaenglichkeit dieser Ethik
zum Ausdruck. Der Mensch ist nicht nur Individuum; er ist auch
Gesellschaft. Der Mensch lebt nicht getrennt von seinen
Mitmenschen. Sein jedes Tun hat Einflusz auf sie (affects them),
zieht sie in Mitleidenschaft. Sein Dasein an sich ist ihnen
gegenueber ein Unrecht. Darum kann das Verhaeltnis kein
gleichgueltiges sein. Die Gerechtigkeit des Gesetzes musz
gleichgeltend, musz gleichgueltig sein. Die Gleichgueltigkeit
des Gesetzes ist ungenuegend. Der Mensch bedarf, die
Gesellschaft bedarf, der Agape, der Liebe.
Das Urverbot im Paradies war besondernd, war spezifisch: "Du
sollst nicht von diesem Baume essen." Dies Verbot ist nur unter
den Besonderheiten der damaligen Lage im Paradies bedeutsam. Die
Zehn Gebote sind vermutlich, ihrem Inhalt (Sinn) entsprechend,
unter allen Umstaenden, zu allen Zeiten, in allen Lebenslagen
gueltig. Eine universelle Gueltigkeit welche ausgerechnet
(gerade) ihre Anwendung in bestimmten Umstaenden schwierig,
raetselhaft, fragwuerdig macht.
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