19990707.01 Was Cassirer nicht einzusehen vermag, ist dasz auch die moderne Wissenschaft viele Eigenschaften der Mythologie aufweist; und dasz wir uns so wenig an die Wissenschaft gebunden fuehlen sollten, wie an die (anderen) ueberlieferten Mythen, alle saemtlich Versuche des Menschengeistes sonst unerklaerliches erklaerbar zu machen; und doch vergebens. Die eigentliche Aufgabe des Denkens ist den Menschen zu befaehigen sich in der Welt einzurichten: und nicht nur in der aeuszeren, nicht nur in der Welt der allgemeinen Vorstellungen, sondern auch in der inneren Welt, mit sich selbst zur Ruhe zu kommen, sich mit seinen Hoffnungen, Wuenschen und Enttaeuschungen abzufinden. Hierzu bietet das Christentum unentbehrliche Hilfe indem es uns die Wunscherfuellung im Jenseits und in der Zukunft verspricht. Es ist in Anerkennung des Eindrucks (It is a tribute to the impression) welchen die Gesellschaft auf den Menschen ausuebt, dasz er sich sehnt beruehmt, dasz er strebt geschichtlich bedeutend zu werden; dasz er in diesem Bedeutsam sein eigentliches Bestehen zu erkennen meint. Mit anderen Worten, dasz er sich wirklich vorkommt, nur in sofern er beruehmt wird oder beruehmt geworden ist. Er will also sich selbst als Helden, als Weisen, als historisch bedeutend wissen. Ach, diese Wichtigkeit, die der Mensch sich anmaszt waehrt zu kurze Zeit, ist allzu gering, als dasz sie nicht laecherlich erschiene. Man gestehe es geradewegs (unverhohlen) (straight out): die Sehnsucht historisch (weltgeschichtlich) bedeutend zu werden ist eine Sehnsucht gottaehnlich, wenn nicht gar gottgleich zu werden. Man mag sie, so gesehen, als Erbsuende betrachten. Zu diesem Thema eine abschlieszende, und weil eigentlich skurril, nur mit Entschuldigung geaeuszert, ist die Betrachtung, dasz, wenn man die Erscheinung des Heilands auf dieser Welt als ganz und gar Menschlich auffaszt, so wie die Dogmatik es lehrt; wenn auch die Beziehung Jesu zum Gottvater eine voellig menschliche war, dann musz dem Anspruch als Messias "Gottes Sohn" zu sein, eine vergleichbare welthistorische Bedeutung zuerkannt werden, wie wenn ein gewoehnlicher Mensch, - und Jesus musz der Voraussetzung gemaesz als "gewoehnlicher Mensch", vorgestellt werden. Denn Mensch sein, heiszt gewoehnlicher Mensch sein - wie wenn ein gewoehnlicher Mensch, sich als von Gott gesandt, oder mit Gott verwandt, sich anmaszt als welthistorische Person aufzutreten. Das haben ihm die hohen Priester und die Schriftgelehrten nicht erlauben wollen, und deshalb haben sie ihn umbringen lassen. Als rein Mensch betrachtet, wie ihn zu betrachten wir uns versprochen haben, hat Jesus welthistorische Bedeutung im hoechsten Masze erreicht; und ich frage in welchem Masze die Bereitschaft ihm Nachfolge zu leisten darauf abgestimmt ist, - damit rechnet, - nicht nur an seiner Passion, sondern auch an seiner welthistorischen Bedeutung stellvertretend, (by proxy,) teilzuhaben. Tatsaechlich, wenn mich mein Gedaechtnis nicht taeuscht, versprechen verschiedene Artikel der protestantischen Liturgie, dasz wir, wenn wir an ihn glauben, und ihm folgen, dann auch damit belohnt werden, dasz wir an seiner Ehre, an seiner Glorie teilnehmen. Und ist nicht letzten Endes das ewige Leben das uns versprochen wird der Gipfel welt-historischer Verwirklichung? * * * * *

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