19990730.00 Von Zeit zu Zeit denkt jemand nach ueber die vermeinte Freiheit des menschlichen Willens, und kommt irrtuemlicherweise zu dem Beschlusz, dasz es einen solchen gibt, oder vernuenftigerweise zu dem Beschlusz, dasz es keinen freien Willen gibt, sondern, dasz die Handlungen des Menschen unbewuszt und in ihrem Ursprunge unerkannt dem Wesen des Menschen entflieszen; dasz er sich ihrer erst im Rueckblick gewahr wird, und dasz die Eitelkeit seiner Seele dann darauf schlieszt, dasz er das von ihm Getane gewaehlt und gewollt habe. Selbst aber wo die Unfreiheit des Willens ausdruecklich anerkannt wird, verfehlt man die sich daraus notwendig ergebenden Schluesse ueber die Handlungsweisen der Menschen zu ziehen. Zwei bedeutsame Ausnahmen fallen mir ein: 1) Luthers Erklaerung der goettlichen Erloesung des Menschen auf der Basis der Unfreiheit des menschlichen Willens; und 2) die griechische Entdeckung (oder Erfindung) des Eros als einer den Menschen von auszen bewegenden, antreibenden Macht. Was Luthers Anthropologie anlangt, so besagt sie die Erkenntnis der tatsaechlichen Verschmelzung des Menschen mit der Gottnatur die ihn umgibt, aus welcher er bei seinem Erwachen entsteht und in welche er bei seinem Einschlafen vergeht, besagt somit einen gewaltigen erkenntnistheoretischen Vorsprung, einen Vorsprung welcher dem Menschen sein Dasein in ein verstaendlicheres, vernuenftigeres Licht versetzt, selbst wenn dieser Vorsprung bis auf den heutigen Tag unerkannt geblieben ist. Die griechische Erfindung des Eros als des den Menschen von auszen antreibenden schaffenden Triebes beginnt der Willensunfreiheit des Menschen gerecht zu werden. Es ist auch verstaendlich, dasz dieser Trieb dem vulgaeren Geist ausschlieszlich als Begattungsdrang verstaendlich ist. In Platons Symposion, aber, wenn ich mich recht besinne, wird Eros als eine um vieles ausgedehntere Schoepfungslust erkannt. Im Augenblick, - im Zusammenhang meiner gegenwaertigen Besorgnis, - frage ich mich ob es nicht sinnvoller ist, Eros als den allgemein gesellschaftssuchenden, gesellschaftsbildenden Trieb im Menschen zu erkennen, so dasz Eros nicht nur der Zug zur Liebesgefaehrtin ist, sondern auch die Liebe zum Kind das mit ihr erzeugt wird, und zu allen Kindern, aus dem Beduerfnis nicht einen koerplichern Bedarf zu stillen, sondern auch hier oikeioistisch, sich eine Familie, eine congeniale Gesellschaft zu erzeugen und zu erziehen. * * * * *

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