19990812.00 Ueber Feindseligkeit, Liebe und Vergesellschaftung Es ist auffallend, wie primitiv, wie unentwickelt unsere Vorstellungen und Zergliederungen von Feindseligkeit und Liebe doch sind. Es ist auffallend, in welch primitivem, unentwickeltem Zustande unsere Vorstellungen und Zergliederungen ueber Feindseligkeit und Liebe sich befinden. Wie vernunftlos, wie unwissenschaftlich im eigentlichen Sinne, wie unbeschwert von jedem wirklichkeitsgetreuen (realistischen) Verstaendnis des menschlichen Daseins und Schicksals. In dieser Hinsicht moechte die Soziologie die rueckstaendigste der modernen Wissenschften sein. Die Grundvorstellung ist jene des Menschen als eines Einzelwesens, welches dennoch des seelischen, geistigen und koeperlichen Beistands anderer Menschen, seiner Mitmenschen bedarf. Dasz diese (scheinbare) Doppelnatur des Menschen als Widerspruch erscheint, ist Ausdruck nicht der Widersinnigkeit der menschlichen Natur, sondern der Unzulaenglichkeit des Verstandes der diese Natur zu begreifen sich anmaszt. Eine weitere Voraussetzung ist die Leidensanfaelligkeit unseres Wesens; es ist gewisz verstaendlich, gesund, und fuer unsere (Ueber)lebensfaehigkeit durchaus notwendig, dasz wir bestrebt sind die Schmerzen zu meiden, dem Leiden zu entfliehen. Aber es ist ebenso unverkennbar, dasz dies unmoeglich ist: dasz Schmerz und Leiden unvermeidbare Bestandteile (concomitants) unseres Daseins sind. Es ist die naturgebotene Meidung des Leidens welche uns die Moeglichkeit eines schmerzlosen Existenz im diesseitigen Leben vorgaukelt; und welche uns im jenseitigen eine nimmer endende Glueckseligkeit verspricht. Vergleichbar durchaus mit der Weise in welcher eine ueberaus gesunde Angst vor dem Tod uns zu dem Glauben an ein ewiges unsterbliches Leben bewegt. Die Vorstellung eines von jeglicher Feindseligkeit bereinigten Lebens ist utopistisch und unrealistisch: denn der Mensch bedarf der Feindseligkeit um sich gegen das Zudraengen der Welt zu wehren. Allen Menschen, der ganzen Welt, mit selbstloser Liebe offen zu stehen ist mit der Integritaet der oeffentlichen (objektiven) Person unvereinbar. Anders ausgedrueckt, Allen Menschen, der ganzen Welt mit selbstloser Liebe offen zu stehen ist mit der Integritaet des Einzelnen vereinbar insofern, und nur insofern, das Wesen des Menschen ein innerliches, ein verinnerlichtes ist. Nur der Mensch desen Seele voellig in Gott ruht, nur der Mensch welcher der Welt entsagt hat, - oder ihr entflohen ist, - vermag den Naechsten wie sich selbst, vermag die ganze Welt indiscriminately, ungeachtet der Drohungen mit denen sie ihn gefaehrdet, zu lieben. Wobei zu bemerken ist, dasz die christliche Bekehrung zu Gott, das Bekenntnis zu Jesus, die Nachfolge Christi, eine Ablehnung alles Weltlichen, und somit eine Feindseligkeit gegen die Welt bekundet. Nur der Mensch welcher in religioeser Abwendung von ihr, die Welt hasst, vermag seinen Naechsten wie sich selbst zu lieben. Gewoehnliche Sterbliche beduerfen des Hasses, oder jedenfalls der Feindseligkeit, um sich gegen die Welt zu wehren, um ueberhaupt in ihr bestehen zu koennen. Vielleicht ist auch die viel gepriesene Liebe Gottes zur Welt ein Ausdruck seiner Befremdung von ihr. Was nun die bindende Beziehung der Menschen zu einander, die Liebe, betrifft, so scheint es dasz man sie miszversteht, ob man wie im Deutschen verschiedenste Gefuehle mit nur einem Wort: Liebe, bezeichnet, oder wie im Englischen (und griechischen) mit mehreren: love, affection, (eros, agape, philia) Die grosze Verwirrung auf diesem Gebiete beruht auf der Verwechslung des Geschlechtstriebes (oder seine Befriedigung) mit Liebe: eine Verwechslung zugegeben, auf welcher das herkoemmliche (traditional) Familienleben beruht, eine Verwechslung welche aber dennoch der Wirklichkeit nur annaehernd entspricht: denn bekanntlich geschieht die Befriedigung der Geschlechtstriebe auch in Abwesenheit der Liebe, in der Prostitution, und auch unter Eheleuten, von denen Rilke berichtet, dasz sie einander hassen. Es ist tunlich, wie mir scheint, zu unterscheiden, zwischen der Liebe (agape) die nichts fuer sich begehrt, die, weil sie nichts begehrt, nicht enttaeuscht zu werden vermag, die Liebe die der Genuegsamkeit, die dem Reichtum, dem seelischen Ueberlusz entflieszt, und jener anderen sehnsuechtigen, beduerfnisreichen Liebe, welche erotisch heiszt. Die Vorstellung aber, dasz die erotische Liebe vornehmlich den Geschlechtstrieb zu befriedigen abgerichtet sein sollte, ist ein Irrtum. Wenn die erotische Liebe den Geschlechtstrieb befriedigt, so tut sie dies nur beilaeufig, nur zufaellig. Dergleichen Befriedigung ist der erotischen Liebe keinesweg wesensnotwendig. Der Bedarf welcher die erotische Liebe antreibt und welchen sie zu befrieigen strebt ist der Bedarf der Vergesellschaftung, der Bedarf des Menschen mit einem anderen Menschen der ihn kennt, der ihn versteht, der seine Sprache spricht eine Beziehung zu gruenden zu pflegen, aufrecht zu erhalten. Die Liebe des Vaters zu seinem Sohn, der Mutter zu ihrer Tochter, der Eltern zu ihren Kindern ist saemtlich erotisch in dem Sinne, dasz es ein urspruenglicher Trieb der Eltern ist ihre Welt mit ihresgleichen zu bevoelkern um eine Gemeinschaft mit ihren Kindern zu ermoeglichen und zu befestigen. Umgekehrt ist die Liebe und Treue der Kinder Ausdruck der Anerkennung dieser Gesellschaft und des Triebes sie zu schuetzen und zu wahren. * * * * *

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