19940924.00
Ich besinne mich jetzt, als ich in Konnarock als zwoelf oder
dreizehnjaehriges Kind aufwuchs, dasz die hiesigen Lutheraner,
deren Kirche meine Eltern und ich angehoerten, um in der
ortlichen Konkurrenz nicht zu unterliegen, im Stil der Southern
Baptists "a revival", ein Fest der Erneuerung veranstalteten.
Dies Fest der Erneuerung bestand aus einer Reihe von Predigten,
welche von einem beredsamen, aus South Carolina importierten,
(flamboyant) Gastprediger, zwei Wochen lang, Abend fuer Abend in
der groszen, alten scheunenartigen Holzkirche der
zusammengetrommelten Gemeinde vorgetragen wurden. Fast meine ich
den Namen dieses als Christ vermummten Buehnenhelden unter den
duesternen Erinnerungen jener Jahre noch aufspueren zu koennen.
Aber dann, kaum meine ich seinen Namen endlich wiederentdeckt zu
haben, ist er mir doch entschluepft, und ich befinde mich mit
meinem versagenden Gedaechtnis gedemuetigt und vereinsamt,
vergeszlich und vergessen, in engste Gegenwart eingekerkert.
Doch unausloeschlich lodert eine Erinnerung mir im
Gedaechtnis; an eine Begebenheit erinnere ich mich lebhaft von
Tag zu Tag, naemlich, dasz die Hoererschaft aufgefordert wurde
nach dem Beschlusz des Gottesdienstes, Fragen nicht nur ueber den
Inhalt seiner Predigt, sondern auch ueber religioese
Unbestimmtheiten die sie beunruhigen moechten, an den Prediger zu
richten, und dasz ich zu meiner nachhaltenden Verlegenheit mich
dazu verleiten liesz, die Frage welche mich damals beschaeftige,
und welche tatsaechlich bis auf den heutigen Tag fortfaehrt mich
zu reizen, mich zu unterhalten, mich zu quaelen, in meiner
sauberen, vorsichtigen Kinderschrift auf einen dazu zur
Verfuegung gestellten weiszen Zettel verzeichnet, dem henkellosen
Korb anzuvertraute, welcher bei den sonntaeglichen
Gottesdiensten, von widerwilliger Hand zu unwilliger Hand die
Baenke entlang gereicht, die Sonntagsspenden der Gemeinde
empfing, welcher bei dieser Gelegenheit aber, anstatt Muenzen und
Geldscheine und sorgfaeltig versiegelte Couverts, die Fragen der
vorlauten oder unbesonnen Hoerer als Stoff zu weiterer Erbauung,
oder war es Unterhaltung, zu Kanzel befoerderte.
Bis auf eine einzige, verliefen die Fragen ausschlieszlich
auf die sentimental hochgeschraubte Begriffsextravaganz welche in
unsererm aufgeklaerten Jahrhundert dem Gottesbeduerfnis der
Menschen seinen Ausdruck verleiht. Und diese einzige andere
Frage war meine. Sie war beschaemend anderer Art, und diese
Verschiedenheit an sich schon bezeichnete die Trennung von ihnen,
und die Einsamkeit in welcher ich mich befand. Aber es war nun
zu spaet sie zurueckzuziehen.
Mit andachtsvoller Wuerde hob der stattliche Geistliche
einen jeden Zettel aus dem Korb als waere es eine Hostie.
Stillschweigend ueberlas er jede Frage und bewegte dabei die
Lippen mit lautloser Rede. Ob es aber die Frage war, welche er
mit solch stummen Worten Ausdruck gab, oder die Antwort mit
welcher er im Begriff war die Frage abzutun, war nicht zu
entscheiden. Es machte auch keinen Unterschied. Belanglos,
nichtssagend waren sie beide.
Als sein Blick auf meine Frage fiel, stutzte er, oder schien
jedenfalls aus seiner Gewohnheita gewiesen. Diesmal bewegte sich
seine Lippen nicht. Seine Lippen erstarrten, und sein Blick
verfinsterte sich. Mir war als wurde er zornig. Ich meinte in
seinen Zuegen einen Abglanz goettlichen Zornes zu erlesen. Ich
ahnte, dasz ich mir mein Seelenheil verspielt, mein ewiges Leben
verdorben, verloren hatte. Angestrengt horchte ich auf mein
Urteil, denn es war mir jetzt vollkommen klar, welch eine Suende
ich mit meiner Frage begangen hatte. Das Urteil aber blieb aus.
Inzwischen war der Zorn von des Predigers Gesichtszuegen einem
nachdenklichen Gruebeln gewichen. Momentan schien es mir, als ob
er selbst keine Antwort auf meine Frage finden koennte; dann aber
da alles faselndes Gerede war, dasz er doch faehig sein sollte,
denn darin bestand ja seine Kunst, auch dies mit glatten,
wohlklingenden Worten abzutun. Zuletzt schuettelte er den Kopf
und sagte resigniert in einer ihm ungewohnten, flachen Stimme:
"Manche Fragen lassen sich nicht beantworten, manche Fragen
verdienen keine Antwort, denn der Teufel hat sie gestellt."
Meine Frage war, wie es denn zu verstehen sei, dasz Gott den
Menschen in seinem Ebenbilde geschaffen habe. Wenn ich mir diese
Aussage (Feststellung, statement) heute vorfuehre, so faellt mir
am ersten dabei auf, wie widerspruechlich sie ist, in welchem
Ausmasze sie anderen Bibel feststellungen widersprich, und somit
die Frage aufwirft, wie wir die sich wiedersprechenden
Bibelstellen mit einander vereinbaren. Dann aber, dasz die
Gleichsetzung des Menschen mit Gott ein inbegriffener Widerspruch
ist, dasz Gott dem Menschen aehneln sollte, oder der Mensch dem
Gott. Sollte dadurch Gott zum Menschlichen herabgewuerdigt
werden? oder der Mensch goettlich veredelt?
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