19990925.00 In den juengst vergangenen Monaten, und mich verwundert warum diese Einsicht bisher, ein Leben lang, ausblieb, ist mir die Erkenntnis gereift, dasz mein ganzes Leben bisher ein ungestuemer Drang zur Vergesellschaftung gedeutet werden kann; dasz ich sonst keine Deutung habe, welche so vieles erklaert. Die Eigenart der Beziehungen nach denen ich mich sehnte, die ich suchte, ist der hohe Grad der erwuenschten Intimitaet. Meine Schwester hingegen ist mit weit lockereren Beziehungen zufrieden. Sie setzt ein Verstaendnis voraus, welches meinem Urteil gemaesz garnicht besteht. Sie laeszt es sich mit Feiern, gesellschaftlichen Veranstaltungen, Geschenken und anderen Hoeflichkeiten genuegen; mehr will sie nicht; mehr koennte sie vielleicht garnicht ertragen. Unter meinen fruehsten Erinnerungen ist die Angst vor dem Alleinsein. Es war wohl schon im Alter von drei oder vier Jahren, vielleicht noch frueher, dasz ich allnaechtig meine Eltern mit dem Hilferuf, "Ich bin hier so alleine." belaestigte. Die Angst vor der Trennung von vertrauten Personen, besonders von meiner Mutter, setzte bald ein. Da ich mir der Abhaengigkeit von meiner Mutter schmerzhaft bewuszt war, war ich stets auf der Suche nach Stellvertreterinnen fuer sie; eine Suche welche im allgemeinen vergeblich war, nicht wei eine vergelichbare Beziehung prinzipiell unmoeglich gewesen waere, sondern weil die Personen an die ich mich zu binden versuchte andere Pflichten, andere Interessen hatten; weil letzten Endes ich und die Beziehung zu mir ihnen nicht wichtig genug war; weil ich es mir aber in solchen Beziehungen mit Halbheiten irgendwelcher Art nicht abfinden wollte oder konnte. Bis auf den heutigen Tag interessieren sie mich nicht. Meine Ehe habe ich unter denselben Gesichtspunkten und Bedingungen geschlossen und gefuehrt, so wie auch meine Beziehung zu Klemens, und die Beziehungen, so weit sie bestehen, zu den Enkelkindern. Meine Kindheit und meine Jugend waren von kaum beschreibbarem Heimweh geplagt. Meine Eltern, mein Zuhause, war die Gesellschaft die ich nicht zu entbehren vermochte. Meine Beziehung zu meinen Eltern war derart, dasz am Ende ich es war der sie betreute. Wenn ich jetzt an unser Familienleben zurueck denke, so faellt mir auf in welch beschraenktem Masze sie meine Liebe fuer sie erwiderten. Aber darauf etwas zu empfangen, auf Vergeltung kam es mir nicht an. Je aelter ich wurde, desto unverkennbarer wurde es, dasz die Gesellschaft der ich bedurfte fast einseitig, fast nur durch Bemuehungen meinerseits geschaffen wurde. Und so scheint mir ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. DAsz enge Beziehungen so wie ich lebenslang meinte sie zu benoetigen, unter Umstaenden den Anderen belasten und beschraenken und dasz sie dementsprechend demzufolge laestig werden koennen, das weisz ich sehr wohl und nehme es auch darum nicht ferner uebel wenn sie gekuerzt, wenn sie abgeschlagen werden. * * * * *

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