19991023.00
Ein Grundsatz, vielleicht der wesentlichste, der
griechischen Psychologie, wie ich sie verstehe, ist dasz die
Handlung des Menschen nicht Ausdruck seines Willens, sondern
Ausdruck seiner Erkenntnis ist. vgl. z.B., Sophokles Darstellung
der Oedipuslegende, und die sokratische Variante, dasz ein Mensch
nur durch Unwissen boeses tut.
Die juedisch-christliche Tradition ist eine
entgegengesetzte. Das Befolgen des vorgeschriebenen Gesetzes ist
ein Ritus welcher keiner Erkenntnis, keiner Deutung der Welt
bedarf.
Wenn nun Jesus nicht laenger die Befolgung der Gesetze,
sondern den Glauben an ihn als den Christus als seligmachend
bestimmt, so bestaetigt er den Vortritt der Erkenntnis ueber den
Willen. Denn der Glaube, wie ich ihn erlebe, ist nicht eine
Entscheidung, ist nicht ein Willensakt, sondern ist ein Phaenomen
des Erkennens welches den Unglauben unmoeglich macht. Luthers
Leugnung des freien Willens scheint mir diese Auslegung zu
bestaetigen.
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