19991126.00
Es ist ein unentbehrlicher Bestandteil kirchlicher
Propaganda auf Grund, selbstverstaendlich der jesajaschen
Prophezediungen und der paulinischen Lehren, dasz Christus "fuer
uns" gestorben sei.
Sancte Socrate, ora pro nobis," beteten einst die fruehen
Christen welchen es noch nich gelungen war sich voellig von der
griechischen philosophischen Tradition abzuwenden.
In gewissem Sinne scheint es unverkennbar, dasz auch
Sokrates fuer andere gestorben ist, wenngleich leidenslos; darin
liegt eine bedeutender Unterschied.
Gestorben ist Sokrates in vorrangingem Sinne fuer seinen
Schueler Platon, fuer dessen Vorstellung vom guten und gerechten
Menschen (kalon kai agathon) Sokrates ein Vorbild ist. In noch
gueltigerer Hinsichtals dialektische Bekraeftigung fuer Platons
politischen Idealismus; denn dieser wird so gruendlich durch die
Verurteilung und Zerstoerung des vorbildlich guten Menschen
widerlegt, dasz jegliche Behauptung der politischen
Realisierbarkeit des Idealismus komisch, laecherlich, total
ridikuel wird, wenn man sie nicht ernst nimmt; wenn man sie aber
ernst nimmt, als die verfuehrerischte Luege. Diesen Widerspruch,
dies Paradox ist mit dem Sterben des Sokrates besiegelt,
bestaetigt, gueltigt gemacht.
Wie wir suendigen duerfen, oder jedenfalls, wie uns unsere
Suenden vergeben werden weil Jesus fuer uns gestorben sit; so
durfte Platon, so duerfen wir alle (phantastisch) idealisieren,
weil Sokrates Leben und Tod die Moeglichkeit eines vom Ideal
bestimmten Menschenlebens so deutlich veranschaulicht hat. Und
doch mit der entscheidenden Beschraenkung, dasz diese moegliche
Verwirklichung sich aufs persoenliche, private Dasein
beschraenkt, dasz im oeffentlichen Leben die Verwirklichung
jeglichen Idealismus eine Unmoeglichkeit ist.
So birgt die Moeglichkeit (feasibility) einer seelischen,
inwendigen Verwirklichung des Ideals, - oder ist auch diese nur
Taeuschung, das Saatkorn einer Entidealisierung, einer
Zuruecknahme des Ideals in sich; und diese Entidealisierung
stellt eine Aufgabe dar welche in ihrer Art nicht weniger
schwierig und nicht weniger bedeutsam ist als die der
urspruenglichen Idealisierung.
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