19991125.00
Platon schreibt:
"dia touto ouden panu moi eleeinon eiseei"
Fowler uebersetzt:
"and for this reason I was not at all filled with pity"
Der Satz, und die Uebersetzung erinnern mich an das Kyrie
Eleison der H-Moll Messe. Eleison hat den doppelten Sinn des
Mitleids und des Erbarmens. (the double meaning of pity and
mercy). Hoere ich nun das Kyrie Eleison der H-Moll Messe, so
frage ich mich, ist diese Vertonung Verlautbarung menschlichen
Flehens um Erbarmen, ist diese Vertonung Verlautbarung
goettlichen Mitleids, oder ist diese Vertonung Verlautbarung
goettlichen Erbarmens? Gewiszlich ist hier nichts mit Sicherheit
- oder auch nur mit Unsicherheit zu bestimmen -, doch ist es
erbaulich danach zu fragen, und mit der Frage im Sinn, der Musik
noch einmal zu lauschen.
Was die erste Moeglichkeit anlangt, das Kyrie Eleeison sei
Verlautbarung menschlichen Flehens um Erbarmen, so sei bemerkt,
dasz insofern das Leiden den Menschen unvermeidlich vereinzelt
und verseinsamt, es unreimt ist gemeinschaflich um Mitleiden zu
flehen, eine Gegebenheit welche zwar den Kirchenvaetern, aber
vielleicht doch Bach nicht entgangen ist. Man erinnere die
Probleme der gesellschaftlichen verallgemeinerung religoesen
Erlebens welche in den verschiedensten Choeren bachscher Musik
zum Ausdruck kommen. Ich beabsichtige diese Problematik bei
anderer Gelegenheit ausfuehrlich auseinanderzusetzen. Man
moechte voirschlagen, dasz das erste Kyrie Eleison einen Anruf an
Gott den Vater, das zweite Kyrie Eleison den Anruf an Gott den
Heiligen Geist zu bedeuten hat, dazwischen das Duet als
ausdruecklichen Anruf an Gott den Sohn. Wie wollte man aber dann
den Stil-Unterschied zwischen den beiden Choeren erklaeren? Mir
ist eine andere Erklaerung ueberzeugender.
Ich bin geneigt die drei Stuecke dieses einleitenden Teils
der Messe, Kyrie Eleison, Christe Eleison, und Kyrie Eleison
also, ueberhaupt nicht als Verlautbarungen menschlichen Flehens,
sondern als Darstellung goettlichen Mitleids, und goettlichen
Erbarmens zu betrachten. Den Eingangschor hoere ich als
Vertonung goettlicher Sympathie mit den Leiden der Menschen, ein
goettliches Mitleid das sich an seinem Ende in einen
zuversichtlichen Beschlusz verwandelt, den Entschlusz naemlich,
als Folge des Mitleids und als Ausdruck des Erbarmens, den Sohn
in die Welt zu senden.
Von dieser goettlichen Mission handelt der zweite Satz, das
Christe Eleison. Auch hier wird eine Offenbarung goettlichen
Geistes, nicht ein menschliches Flehen um Mitleid und Erbarmen
beschrieben, Das Unisono der Violinen bedeutet das
Einherschreiten Christi auf dieser Welt, auf und ab, hin und her,
und die Duetstimmen besingen abwechselnd den in Mitleidenschaft
gezogenen Gottessohn und dessen entschlossenes Erbarmen.
Der abschlieszende dritte Satz des Kyrie ist eine woertliche
Widerholung der ersten, welche sich dies mal in der Absicht der
verfassenden Kirchenvaeter an den heiligen Geist richtete. Ich
hoere aber in der bachschen Vertonung keine Anspielung auf den
heiligen Geist als solchen, sondern den Ausdruck der
Entschlossenheit, der Entschlossenheit naemlich des Erbarmens im
Gegensatz zur Verzweiflung des Mitleids welches der erste, der
Eingangschor bekundigt.
Diese am Gesichtspunkt des Goettlichen orientierte Deutung
des Kyrie erstreckt sich dann auch auf das folgende Gloria in
Excelsis. Es ist nicht zu vergessen, dasz diese Lobpreisung, dem
Urtext entsprechend, nicht von Menschen sondern von Engelszungen
gesungen wurde. Es ist ein Himmelschor welcher die Ehre Gottes
verkuendet, und es ist ein Himmelschor der den Menschen bonae
voluntatis Frieden verheiszt, und einer solcher himmlischen
Verheiszung sind begleitender Paukenwirbel und Trompetenstoesze,
auch wo es sich um Ruhe und Frieden handelt, durchaus angemessen.
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