20000321.00 Ich habe weiter in Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung gelesen. Die Welt als Vorstellung zu verstehen ist naheliegend. Schwieriger ist es die Welt als Wille zu begreifen. Die beiden Ausdruecke widersprechen einander in gewissem Masse. Ist die Welt Vorstellung und Wille zugleich, dann ist auch der Wille Vorstellung; und es ist dann ein Widerspruch den Willen, wie Schopenhauer es tut, als Ding an Sich zu konstieren. Die Doppelnatur der Welt die in Schopenhauers Formel zum Ausdruck kommt wird von ihm ungenuegend beachtet. Seine Darstellung des Willens als ein allgemein erkennbarer Gegenstand ist paradox: Denn ist der Wille objektiv, so vermag er nicht inwendigen, subjektiven Geist darzustellen. Aber bewuszt und erkennbar ist Wille nur als inwendige subjektive Kraft. Von diesem inneren Erleben auf das Dasein anderer Menschen, auf die Tierwelt, auf die Pflanzenwelt, und gar auf inorganische Natur zu schliessen ist mir wenig ueberzeugend; erstens, weil es mir unmoeglich ist auf ihren Willen zu schliessen, da der Wille inwendig ist, mit meinen Gedanken in ihre inwendigen Tiefen einzudringen, und zweitens, ganz allgemein, weil mir auch ihr aeuszerliches, vermeintlich objektives Sein niemals gueltigeres denn eine Vorstellung zu werden vermag. Schopenhauers Buch ist eine bewunderungswuerdige Leistung, ein poetisches Werk, ein Gedicht, das auf viele Seiten des Erlebens ein neues, erstaunliche Licht wirft. Aber den Problemenkomplex den er sich gestellt hat zu loesen, vermag Schopenhauer nicht. Um dies zu erreichen, mueszte er konsequent an der Vorstellungsbeschraenkung der Welt festhalten; mueszte auf gegenstaendliche Darstellungen verzichten; mueszte wie Sokrates es tat, sich mit der unentrinnbaren Subjektivitaet, mit den Unvollkommenheiten (imperfections) seiner Weltvorstellung zufrieden geben, mueszte lernen gerade diese Unvollkommenheit zu begreifen; und im Begreifen dieser Unvollkommenheit, dieser unentrinnbaren Subjektivitaet, und im Begreifen dieses unbezaehmbaren und doch erfolglosen Drang sie zu ueberwinden, die aufgabe der Erkenntnistheorie erkennen. Erkenntistheorie in diesem Sinne ist Schopenhauer miszlungen. Seine dichterische Phantasie, sein poetischer Pathos haben ihn zu Verallgemeinerungen verleitet, welche sympathisch und ueberzeugend klingen, ohne jedoch in der Erfahrung zu wurzeln, und ohne erfahrbar zu sein. So gestaltet Schopenhauer nicht unaehnlich der anderen Philosophen der deutschen Romantik eine erkuenstelte Wirklichkeit aus Begriffen und Worten, mit der inbegriffenen (implicit) Pflicht des Lesers sie sinnvoll zu machen indem er ihnen aus seinem eigenen Erleben einen Sinn hinzufuegt. Eine solche Gedankenuebung ist nicht zu verschmaehen, vorausgesetzt, (provided), dasz man sich durch sie nicht irrefuehren laeszt, dasz man ihre Eigenart als gekuenstelt nie aus dem Auge laeszt und sie nie mit der Wirklichkeit verwechselt. * * * * *

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