20010903.00 Ich verstehe nichts vom ueberlieferten Schrifttum was ich nicht in irgendeiner Weise selbst erlebt habe; und alles was ich vom ueberlieferten Schrifttum verstehe, habe ich in irgendeiner Weise selbst erlebt. Wie kommt Verstaendnis zu stande? Wie entwickelt sich mein Verstehen? Wie ueberspringe ich den absoluten qualitativen Unterschied zwischen meinem Nichtverstehen und meinem Verstehen, zwischen meinem Nichtwissen und meinem Wissen? Das Verstehenlernen ist vergleichbar mit dem Wissenlernen, mit dem Sehen und Hoerenlernen; insofern jedenfalls dass all dieses Lernen ausserhalb des Rahmens des Bewusstseins vor sich geht. Das Ungekannte, Unverstandene, sei es als bildliche Vorstellung oder als Folge von Lauten wird im Gemuet mit eben jenen Umstaenden unter welchen es auftrat, oder welche sie begleiteten, verbunden. (verknuepft, verkoppelt, assoziiert). Hinterher, wenn es verstanden, oder wenn es gewusst ist, ruft der Reiz, ruft das Stichwort die ihm verknueften Umstaende hervor, Umstaende welche den Sinn, welche die Bedeutung des Reizes, des Stichwortes ausmachen. Etwas nicht verstehen, heisst demgemaess unfaehig zu sein, sich die gehoerige Verbindung zu vergegenwaertigen. Etwas nicht verstehen bedeutet nicht die voellige Abwesenheit einer geistigen Verknuepfung, sondern Unbefriedigung mit ihr. Denn irgend eine Assoziation entsteht immer, wenngleich sie nichts weiter als das Nichtverstandenhaben besagt. Lernen koennen heisst nicht verstehen ertragen koennen, heisst nicht wissen ertragen koennen. Der Mensch ist zu lernen faehig wenn er sein Nichtwissen ertragen kann, wenn er sein Nichtverstehen ertragen kann. Dann bringt er den Mut auf, sich dem Unbekannten, den Nichtgewussten und dem Nichtverstandenen preiszugeben. Das Verstehen, das Wissen entwickelt sich dann voellig ausserhalb des Rahmens des Bewusstseins, und ploetzlich wird sich der Einzelne gewahr, dass es "da" ist. * * * * *

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