20010924.00
Ich habe begonnen in den Schriften Ciceros zu lesen,
ins besondere in De Natura Deorum, in erster Linie, als
Grundlage mich in die Geisteswelt des spaeten Mittelalters
und der Renaissance einarbeiten zu koennen, um das
Schrifttum des 16. 17. und 18. Jahrhunderts mir zugaengig zu
machen.
Der Glanz seines Stils leuchtet mir auch schon von
Standpunkt meiner Unkenntnis ein. Zugleich aber wird es mir
klar, in welchem Ausmasse dieser Stil, die Macht der Sprache
sein Denken nicht nur beherrscht sondern tatsaechlich
begruendet. Die theologischen Vorstellungen welche hier
vorgetragen werden entspringen der Beredtsamkeit,
entspringen dem Redefluss, nicht der Furcht, der Sorge, der
Hoffnung, der Freude, der Begeisterung welche ein
persoenliches, inwendiges Gotteserlebnisses entzuendet.
Hier wird kein Zeugnis abgelegt von einem Ringen mit Gott,
von einem "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn."
Anstatt wird ueber die Goetter in einem gesellschaftlichen,
politischen Zusammenhang verhandelt, in einer Weise nicht
unaehnlich der, wie Gesetzgeber, oder Richter, oder banale
Rechtsanwaelte, ueber Vorstellungen von Gut und Schlecht,
von Wahrheit und Unwahrheit verhandedln, bar jeglicher
eigenen Ueberzeugung, durchaus bereit alle Standpunkte, alle
Gesichtspunkte versuchsweise einzunehmen, und unter diesen,
letzten Endes, aus Gruenden der Brauchbarkeit, pragmatisch
zu unterscheiden. Dass dabei eine gewisse logische
Uebereinstimmung, eine Gleichfoermigkeit (consistency) des
Denkens als Erklaerung und Berechtigung der
Schlussfolgerungen angefuehrt wird, aendert nichts an diesem
Bilde von Schalheit und Oberflaechlichkeit, denn wie wir
seither gelernt haben, ist es ja gerade der Widerspruch, es
ist vornehmlich das Paradox, welches die (unvermeidliche,
inevitable) Gesellschaftsoberflaeche durchbricht, und es dem
Geist ermoeglich in die Bereiche des Inwendigen und zu
dessen Reichtum abzustuerzen oder hinaufzusteigen, wie immer
man will. Dabei vergesse man nicht das Paradox des
gekreuzigten Gottes von dem Cicero noch unberuehrt war.
Doch auch das Paradox des sokratischen Nichtwissens das ihm
zur Kenntnis gekommen war, hat er nicht begriffen.
Wir beobachten hier die zermuerbenden Folgen der fast
vollkommenen (vollstaendigen) Politisierung, der fast
vollkommenen Vergesellschaftung des Denkens, wie sie ein
Jahrtausend spaeter bei weitem stilloser und uneleganter in
den Wortpanschereien der Scholastik zu Tage kommen. Auch
bietet das Lesen von Ciceros Schriften, jedenfalls von De
Natura Deorum, Gelegenheit zu betrachten, wie das Denken
nicht unmittelbar aus dem Erleben, sondern durch die
Vermittelung der Sprache zustande kommt, und wie bei
geringfuegigem Erleben die Sprache selbst, und ihr
gesellschaftlicher Nexus die Quelle des Denkens wird. Dann
darf, dann vermag, gedacht zu werden, alles was sich
aussprechen laesst, alles was sich (politisch) im
Gesellschaftskreise anfuehren laesst, alles was sich aus
Worten zusammenreimen laesst; und all dieses fuer moeglich
betrachtet zu werden lediglich weil es sich, auch in
Abwesenheit persoenlicher Ueberzeugung, aussprechen laesst.
Wenn mir die Goetterwelt Ciceros unverstaendlich
scheint, so ist dies der Fall, weil sie auf mangelndem
persoenlichem Erleben beruht. Begreift man sie aber als
Ausdruck sprachlicher Vergesellschaftung, so eroeffnet sich
ein voellig neuer, und tatsaechlich ueberraschender Bereich
literarischer, geisteswissenschaftlicher Hermeneutik.
* * * * *
Zurueck : Back
Weiter : Next
Index 2001
Website Index