 
                        20011126.01

     Jedes mal wenn er sich hinsetzt zu schreiben, muss der
Schriftsteller sich in Bezug auf das Geschriebene fragen:
Wer soll denn das lesen?  Diese Frage ist durchaus
vergleichbar mit der Frage die der Maler sich stellen muss:
Wer wird sich dies anschauen?  oder der frage des
Komponisten, Wir will denn dies hoeren?

     Die drei Fragen, sind aber doch, ungeachtet ihrer
Aehnlichkeiten, verschieden.  Auf die Frage ueber den
moeglichen (eventuellen) Leser und warum er bewogen sein
sollte, dieses oder jenes zu lesen, gibt es verschiedene
Antworten.  Am nachstliegenden ist, dass er es aus Neugier
liest, weil er es als im Bereich moeglicher Erkenntnis
liegend erkannt hat, und es dennoch nicht von ihm erkannt
ist, und weil er nun nicht unterlassen kann, es sich
anzueignen.  Just as he is drawn to a bend in the river, in
order that he might see what lies beyond it.  So wie es ihn
zu einer Biegung im Flusse zieht, um zu erspaehen was sich
jenseits der Biegung erstreckt.  Darueber hinaus verlockt
der Reiz der Sprache, welcher so unverkennbar
(eindruecklich, impressively, obviously) klar, deutlich,
offenbar, eindrucksvoll) durch Silbenmass und Reim
gesteigert wird.  Am staerksten und buendigsten aber ist es
die Oikeiosis, der Wunsch und die Notwendigkeit sich in der
fremd-vertrauten Geisteslandschaft einzubuergern, welcher
den Antrieb zu der intensiveren Beschaeftigung mit dem
Stoffe gibt.

     Denn der Mensch bedarf nicht nur einer gastfreundlichen
koerperlichen Umwelt, er bedarf auch einer gastfreundlichen
geistig-seelischen Umwelt; und weder die eine noch die
andere vermag er sich eigens zu verschaffen.  Er muss sie im
Einverstaendnis und durch die Zusammenarbeit mit seinen
Mitmenschen erst erbauen.  So ist auch das Lesen eine
spezifisch gesellschaftliche Betaetigung.  Zwar liest man in
Abgeschlossenheit und Einsamkeit, aber das was ein Mensch
liest verbindet ihn nicht nur mit dem Schriftsteller,
sondern zugleich mit all denen die den gegebenen Text je
gelesen haben und mit all denen die ihn je lesen werden.

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