20020211.01

Das geistige Leben des Einzelnen im Raume seiner Vorstellung.

     Ist es nicht merkwuerdig, dass ungeachtet der grossen
Entdeckung dass die Welt meine Vorstellung ist, Schopenhauer
daraufhin die Welt doch als etwas objektiv Bestehendes
beschrieben hat.  Trotz dieser tiefen Einsicht hat Schopenhauer
die Menschen, die Tiere, die Natur und die Erzeugnisse
menschlichen Wirkens als Gegenstaende, als objektives geistiges
Gemeingut beschrieben.  Die Aufgabe hingegen, welche sich aus der
Deutung der Welt als Vorstellung ergibt, ist gerade das
Gegenteil, naemlich alles was der Einzelne empfindet, alles was
er denkt, alles was er erkennt, als Inhalt seiner
Vorstellungswelt zu begreifen, auch die Vergangenheit, und
besonders diese.

     Die Einsicht, dass die Welt meine Vorstellung ist, ist nicht
das Ende, sie ist der Anfang, der Ansatzpunkt des Denkens, des
Verstehens.  Diese Einsicht macht es nunmehr notwendig das
gesammte Weltbild vorerst nicht als Widergabe eines Wirklichen zu
betrachten, sondern als ein Gewebe geistiger Gebilde welche zu
einem jenseitigen (transzendentalen) Wirklichkeitshintergrund in
unbestimmter Beziehung stehen.  Die primaere Aufgabe ist aber
nicht dkese Vorstellungswelt auf ihren jenseitigen Hintergrund
zurueckzuleiten und sie an ihm zu korregieren.  Wuenschenswert
waere es zwar, ist aber gaenzlich unmoeglich.  Die primaere
Aufgabe aber ist die Vorstellungen an einander zu pruefen. Ihre
Harmonien und ihre Dissonanzen zu bestimmen, hernach ihre
Beziehungen zur Sinneswahrnehmung, zu unserern Erinnerungen und
zu dem gemeinsamen Verstaendnis der Welt das wir in Gesellschaft
anderer Menschen entwickeln und pflegen.

     Die Vorstellungswelt ist unvollkommen, wie alles andere am
menschlichen Leben unvollkommen, und vom Standpunkt des Ideals,
fehlerhaft ist.  Zweifellos werden sich Unstimmigkeiten,
Widersprueche, Ungereimtheiten in dieser Vorstellungswelt
ergeben, sie muss mit den Vorstellungswelten anderer Menschen
vereinbart werden, und es muss festgestellt werden, warum diese
Vorstellungswelt wirksam in dem Masse ist wie sie es ist.

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