20020213.01

     In seiner Einfuehrung zur Nachschrift schreibt der
Uebersetzer, Hans Martin Junghans, die Nachschrift bedeute,
gleich der Kritik der reinen Vernunft, eine scheidende Epoche im
europaeischen Denken.  Vielleicht. Aber die Geschichtsschreibung
ist eine gefaehrliche Sache, und das Erfinden der Geschichte ist
noch gefaehrlicher.

     Was ich bei Kierkegaard vermisse, ist die Einsicht, dass die
Welt die ich erkenne, meine Vorstellung ist, und dass die
Bezeichnung Wirklichkeit eine qualitative Bewertung der
Vorstellung, uns als solche gaenzlich innerhalb der
Vorstellungswelt ist. Die Bezeichnung Wirklichkeit ist kein Hebel
mittel dessen man den Kaefig der Vorstellung von innen zu oeffnen
vermag (aufzubrechen, pry open), ist kein Sprungbrett von welchem
man die Gefaengnismauern die uns einschliessen ueberspringen
kann.  Und auch das Religionserlebnis hat sein Bestehen innerhalb
der Vorstellung, und ist keineswegs ein Tunnel durch welchen der
Geist in eine transzendentale Freiheit zu schluepfen vermoechte.

     Kierkegaards Vorgehen fuehrt, buchstaeblich und
sinnbildlich, zur Absurditaet. Das ist nichts Neues. Credo quia
absurdum est, hat der Kirchenvater gesagt. Und es ist auch nichts
schlechtes.  Der Glaube an das Absurde hat die Menschheit seit
Urzeiten beseelt.  Es wird aber wegen seine ehrwuerdigen
Antiquitaet nichts Vernuenftiges. Es bleibt aller Philosophie zum
Trotz, ausserhalb des engen Kreises des Vernuenftigen, des
Erklaerbaren, des begrifflich Mitteilbaren.

                            * * * * *

Zurueck : Back

Weiter : Next

Inhaltsverzeichnis