20020302.00

     Wenn Kierkegaard den Begriff Angst zugleich auf die
Erbsuende und auf die Spaltung des Menschen in Geist und Koerper
zurueckfuehrt, so weist diese Darstellung ja auch damit auf die
Aequivalenz der Spaltung und der Erbsuende, bedeutet eine
Verharmlosung der Erbsuende oder jedenfalls eine Anerkennung
ihrer Naturgegebenheit.  Es liegt in dem Begriff Erbsuende als
etwas das der Mensch nicht zu vermeiden vermag, eine Einsicht in
seine Willenslosigkeit, in seine Unterwerfung dem Gott oder dem
Schicksal, wie immer man es nennen mag, eine Unterwerfung die er
nur widerstrebend einraeumt.

     Meinerseits aber frage ich mich ob die Erklaerung des
Angstbegriffes als Ausdruck des menschlichen Doppelwesens als
Einzelner und als Buerger nicht uebermaessig einschraenkend ist.
Wie immer bedeutsam das Gesellschaftsdilemma auch sein mag, so
scheint es mir doch, indem ich darueber nachdenke, dass sie die
Angst ueber weitere und allgemeinere Gebiete erstreckt: fast als
waere die Angst, wie das Zittern, wie der Ausbruch des kalten
Schweisses, wie das Herzklopfen und die Atemnot eine allgemeine
Antizipation der mannigfaltigen Bedraengnisse, welchen der Mensch
anheimgegeben ist. Ich weiss auch nicht ob es abhilft, sie
saemtlich aufzuzaehlen; obgleich es vielleicht das Leiden
verringert wenn man sich seiner Psychologie bewusst wird.

     Es is nuetzlich sich von Zeit zu Zeit der Struktur unserer
Gedanken, und der Vorgaenge darin unser Denken besteht, klar zu
werden.  Kierkegaards Verlass auf Begriffe wie "die Logik", "die
Dogmatik" erinnern mich daran. Offensichtlich waren Logik und
Dogmatik zeitgebundene Vorstellungen in Kierkegaards
Gedankenwelt, fuer ihn mit spezifischem Sinn behaftet,
Vorstellungen welche wir aber nur mit Muehe, und auch dann noch
nur teilweise zu begreifen faehig sind.

     Aber all unser Denken geschieht under Bedingungen und
Beschraenkungen dieser Art: die Begriffe mittels derer wir
unseren Gedanken Ausdruck geben, sind niemals, sind unter keinen
Umstaenden, wie gekuenstelt sie auch immer sein moegen,
Spiegelungen wirklicher, unabhaengig von uns bestehender Dinge.
Unsere Begriffe sind und bleiben Erfindungen, sehr geistreich
zwar, aber dennoch, oder vielleich gerade deshalb, nur
Erfindungen, Zustammenstellungen, Synthesen, wie Kulissen welche
wir fuer die Geistesbuehne unseres Lebens zusammen basteln, und
vor, neben und hinter denen, wir unsere spitzfindigen Wortspiele
betreiben.

     Diese Erwaegungen moegen dann auch als ein Hinweis auf das
Mass gelten in welchem all unsere Begriffe scholastisch sind.
Denn die Scholastik ist Folge der Tatsache, dass unsere Worte und
somit unsere Begriffe eigenstaendig werden, ihren eigenen Sinn,
ihre eigene Bedeutung und zuletzt auch ihr eigenes Sein
behaupten.  Somit lassen sie sich nicht mehr unmittelbar aus
unserem (sprachlichen) Erleben erklaeren; sie stehen uns fremd
und bedrohlich gegenueber; und zwingen, dass wir unser Erleben
nach Schluesseln durchsuchen um Erklaerungen fuer sie zu finden.

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