20020323.00
Der Begriff Liebe
Der Mathematiker bezeichnet die unbekannte Zahl mit einem
willkuerlichen (arbitrary) Zeichen, sagen wir 'x', um hernach
mittels von Gleichungen und Funktionserklaerungen den
eigentlichen (wirklichen, tatsaechlichen) Wert von 'x'
festzustellen (determine). Gelegentlich (on occasion) bedienen
wir uns der Ausdruecke mittels derer wir unsere aeussere und auch
unsere innere Lebenswelt beschreiben in aehnlicher Weise,
vornehmlich wenn sie uns in anscheinend unloesliche Gedanken-
oder Gefuehlskonflikte verstrickt haben. So scheint es mir steht
es mit Kierkegaards Schriften ueber die Liebe, ins besondere mit
den Reden welche er unter dem Titel, Der Liebe Tun,
veroeffentlichte.
Es ist das Wesen des Zeichens, dass es von seiner Bedeutung
trennbar ist; dass ein abgenutzter oder unbefriedigender Sinn
ausgeloescht, und mit neuen Defginitionen ersetzt wird. Fuer den
Mathematiker werden alle frueheren Bedeutungen des Zeichens 'x'
belanglos, sobald ihm eine neue Anwendung fuer dies Zeichen
vorschwebt. Auch Worte gelten als Zeichen, aber im Gegensatz zu
den Symbolen der Mathematik haben Worte die Eigenart, dass der
Sinn der ihnen beikommt (which inheres in them) sich zwar logisch
negieren, jedoch nicht aus der Erinnerung ausmerzen laesst, so
dass es beschwerlich, wenn nicht gar gaenzlich unmoeglich ist,
ein alt-bekanntes Wort in eine funkelnagelneue Definition zu
kleiden.
Fuer kein Wort ist diese Beschraenkung (dies Caveat)
zutreffender (passender), als fuer den Ausdruck "Liebe", und doch
ist es gerade dieser von so viel Freude und so viel Leid
durchtraenkte Begriff, dem Kierkegaard einen strengeren, tieferen
Sinn zu verleihen (einzuverleiben aufzupfropfen) unternimmt.
Was er als Liebe und als Lieblosigkeit erlebt hat, das weiss
jeder Mensch fuer sich, und es ist wissbar nur von ihm, und
soweit er es nicht weiss, ist es ungewusst, und bleibt unbekannt.
Das Wissen um die Liebe und das Wissen um die Lieblosigkiet
welche ein jeder erfahren und geuebt hat vermag er je nach seinen
dichterischen Faehigkeiten zum Ausdruck zu bringen, erschoepfend
wohl aber nie. Und auch die dicchterische, und gerade diese,
Beschreibung erlebter Liebe und Lieblosigkeit wird nur halb
verstanden und halb wird sie missverstanden. Es scheint mir ein
grosses, gefaehliches, und vielleicht auch toerichtes Unternehmen
zu beanspruchen dies individuelle, inwendige Wissen mit einem
anderen, vermeintlich gueltigeren Wissen zu ersetzen. Es
begrifflich aufzuklaeren waere eine andere Sache.
Die Sprache hat ihren eigenen Sinn, ihre eigene Vernunft und
ihre eigene Weisheit; und es ist nicht duch Zufall, dass sich im
Deutschen das Wort Liebe, im Englischen "love" auf ein breites
Spektrum der Gemuetsbewegungen beziegt, in welches die
geschlechtlichen Begierden und ihre Befriedigungen eingeschlossen
sind.
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