20020324.00
Die Wechselwirkung von Sprache und Erleben ist verwickelter
und geheimnisvoller als man ahnt. Wenn man sich auf die Sprache
verlaesst muss man schliessen dass das was in Deutschland Liebe
genannt wird, und in England "love", in Griechenland dreifaeltig
vertreten war als eros, agape und philia, in Rom als amor,
caritas und amicitia, und in Daenemark doppelt als elskov und
kjerlighed. Sollte es tatsaechlich der Fall sein, dass
verschiedene Erlebnisweisen in den verschiedenen Laender die
unterschiedliche Ausdrucksweise praegten, oder umgekehrt dass es
die Ausdrucksweise war welche verschiedene seelische Haltungen
verursachte; oder keines von beiden, dass Erleben und Sprache
nichts mit einander zu tun haetten, und dass alles nur Zufall
sei.
Jedenfalls scheint es mir fehlerhaft eros, agape und philia
streng von einander zu trennen. Sie haben jedenfalls dieses
gemeinsam, dass sie sich auf den anderen Menschen beziehen, ein
jeder von ihnen bezeichnet den Versuch des Einzelnen aus seiner
Einsamkeit hervorzubrechen und sich mit dem anderen koerperlich,
geistig und/oder seelisch zu vereinen. Und in dieser Perpektive
scheint auch die Unterscheidung zwischen vermutlich reiner,
geistig-seelischer Liebe und dem Drang zu koerperlicher
Verbindung ueberfluessiges, boshaftes Geschwaetz, als ob der
Mensch sich in Geist und Koerper trennen liesse.
Den Naechsten lieben wie sich selbst, bedeutet, wenn es
ueberhaupt etwas bedeutet, dem unendlichen Interesse an der
eigenen ewigen Seligkeit Einhalt zu gebieten, um es zumindesten
auf die ewige Seligkeit des Geliebten zu erweitern,
(auszudehnen), bedeutet auch in gegebenem Falle das eigene Leben
und die eigene ewige Seligkeit fuer den anderen zu opfern. Ich
wuesste nicht warum eine solche Naechstenliebe die koerperliche
Vereinigung weder unbedingt einschliesse noch unbedingt
ausschliessen sollte. Entscheidend ist dass in der Liebe, welcher
Art sie auch immer sei, der Einzelne seine Individualitaet zu
gunsten eines anderen aufgibt, oder das unendliche Interesse an
seiner eigenen ewigen Seligkeit sich verwandelt in ein
unendliches Interesse an einer ewigen Seligkeit in Gemeinschaft
mit dem/der Geliebten.
Es ist eine weitere Frage wie sich das Verhaeltnis zu einem
zweiten zu dem moeglichen Verhaeltnis zu mehreren, zu vielen
Anderen, zu einer Gesellschaft, zur Menschheit ueberhaupt
verhaelt. Es steht geschrieben: Liebe den naechsten, nicht Liebe
die Naechsten. Meine vorlaeufige Vermutung geht darauf hinaus,
dass in der Beziehung, das heisst, in der Liebe zu einem Zweiten
die seelische Verfassung des Einzelnen und seine seelische
Taetigkeit zwar veraendert und erweitert, aber dennoch erhbalten
bleibt, waehrend der Bezug auf die vielen Menschen, auf die
Gruppe, auf die Gesellschaft das individuelle Seelenleben bis zur
Unkenntlichkeit, wenn nicht gar bis zur Unmoeglichkeit
verwandelt; so dass man nur ein Individuum, nicht aber eine
Gruppe zu lieben vermag.
Ein besonderer Fall ist die Liebe zu Familienmitgliedern, zu
Eltern, Grosseltern, zu Kindern und Enkelkindern, oder
schliesslich zu einer Vielzahl vin Freunden. Diese liebt mans,
wenn auch abwechselnd, doch stets als Einzelne.
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