20020329.01
Geisteswissenschaft ist ein Oxymoron, ein Widerspruch im
Begriff, insofern der Geist, Pneuma, Spiritus individuell ist,
Wissenschaft aber eine ausgezeichnet gesellschaftliche
Taetigkeit. Der Geisteswissenschaftler ist ein Gelehrter der
seinen Geist, seine Individualitaet, seine Inwendigkeit, seine
Subjektivitaet dem allgemeinen Verstaendnis, der
gesellschaftlichen Objektivitaet opfert, oder der, umgekehrt, die
Objektivitaet des Wissens, oder das objektiv Gewusste an die
individuelle Willkuer, an die Subjektivitaet verraet.
Die tatsaechliche Unterscheidung von Natur und
Geisteswissenschaft ist nicht immer einwandfrei. Es kann kein
Zweifel bestehen, dass die Physik zur Naturwissenschaft, die
Geschichte zur Geisteswissenschaft gehoert. Wie aber soll man
die Archaeologie oder die Biologie einstufen, Wissenschaften
welche zugleich auf unmittelbare Beweisbarkeit und auf
geschichtliche Bedeutung Anspruch erheben, um von der
Psychologie, Anthropologie, Soziologie ganz zu schweigen.
Zwei Betrachtungen sind diesbezueglich treffend. Erstens die
Entstehung und Entwicklung der Wissenschaften als politische
Erscheinungen: Man bedenke die politische Logik welche der
Einfuehrung von Afro-american Studies, Womens Studies, und
dergleichen zugrunde liegt. Die mehr konventionellen
Wissenschaften haben aber vergleichbar politische Grundlagen,
wenngleich auch so weit in der Vergangenheit, dass sie nicht mehr
erkennbar (recognizable) sind. Zweitens, ganz im allgemeinen,
der Begriff und die Begriffsbestimmung dieser oder jener
Wissenschaft als Gesellschaftsphaenomen welches bestimmbare, oder
jedenfalls bestimmte, gesellschaftliche Ursachen hat, wie etwa
die Vervielfaeltigung der Spezialitaeten innerhalb der
medizinischen Wissenschaften. Man identifiziert nach belieben
einen Wissenbereich, man fuegt dessen Namen den Ausdruck "logos"
bei, und man hat, pronto, eine neue Wissenschaft.
Die Geisteswissenschaft par excellence, ist die Geschichte:
und die prototypische Geschichte ist die Erzaehlung dessen was
ich einst selbst erlebte, wie es sich mir ins Gedaechtnis
eingepraegt hat, und wie ich es nun sprachlich zusammenfassend
wiederhole, (recapitulate). Es ist aber das Wesen der Sprache,
dass ich in ihr micht nur mein eigenes Erleben zu verstehen
vermag, sondern auch das Erleben anderer welches sie mir
erzaehlend mitteilen. Somit dringt mein Verstaendnis der
Vergangenheit ueber die eigene Erinnerung hinaus, um all das
einzuschliessen (include) was andere Menschen mir von ihren
Erinnerungen erzaehlen, stets unter der Voraussetzung dass ich
sie in einer Weise verstehe, wie ich mich selbst verstehe, und
dass das mitgeteilte Erleben durchaus vergleichbar ist mit dem
eigenen.
Die von mir nicht erlebbare Geschichte ist der Mythos. Die
Orpheuslegende ist mir ein Mythos insofern es mir unvorstellbar
ist, dass ich Orpheus in die Unterwelt haette begleiten koennen.
Inwiefern sind die Zeitalter von denen die Geologie erzaehlt
mythisch? Inwiefern die Darwinschen Evolutionstheorieen? Waere
es moeglich mittels symbolhafter Rechnung eine biologische oder
geologische Theorie aus dem Bereich des Mythos herauszuloesen (to
extract).
Die Veroeffentlichung des Geistes, die Vergesellschaftung
des Geistes wie sie Hegel und die anderen deutschen
idealistischen Philosophen betrieben ist eine Grundlage fuer die
Vorstellung von Geisteswissenschaften; denn inbegriffen in diesem
Wort ist dies Annahme dass Geist zugleich etwas Individuelles und
etwas Gemeinschaftliches waere, eine Ueberbrueckung sozusagen vom
Innerlichen zum Oeffentlichen. Der Ausdruck Wissenschaft besagt
unzweideutig oeffentliches. Der unsichtbare Gott der Hebraeer ist
Inbegriff der Innerlichkeit. So auch das Christentum welches
sich aus dieser Theologie entwickelte.
Das Uebernatuerliche an einer Geschichte macht es zum
Mythos, weil das Uebernatuerliche jegliches (moegliche) Erleben
(des Einzelnen) ausschliesst. Die (vermeintlich) vernuenftige
Demonstration Beweisfuehrung des Geschehen speaks against its
being mythical, because the rationalization demonstrates that it
was hypothetically susceptible to being experienced.
* * * * *
Zurueck : Back
Weiter : Next
Inhaltsverzeichnis