20020610.00

                Ueber das Wesen der Philosophie.

     Diltheys Aufsatz ueber das Wesen der Philosophie birgt
selbst den Widerspruch welcher dem Wort Philosophie inne wohnt.
Denn um zu beschreiben was Philosophie ist, bedient Dilthey sich
der Historie, eines historischen Massstabs, und einer
historischen Beschreibung.  Damit setzt er, meines Erachtens,
irrtuemlicher Weise die Historie als etwas gegebenes, als etwas
selbstverstaendliches voraus.  Mit dieser Voraussetzung aber
umgeht er das eigentliche Problem.  Denn die Geschichte selbst
bedarf der philosophischen Begruendung.  Da Geschichte selbst der
philosophischen Erlaeuterung bedarf ist eine historische
Begruendung der Philosophie unmoeglich.

     Die Philosophie als spontane Taetigkeit des menschlichen
Geistes bedarf keiner Begruendung.  Begruendung bedarf die
Philosophie nur insofern sie als historische, als
gesellschaftliche Erscheinung betrachtet wird.  Und diese
Begruendung der Philosophie als gesellschaftliche Taetigkeit, als
akademische Disziplin, ist widerspruechlich.  Was die Geschichte
zu erlaeutern vermag ist nicht wirkliche Philosophie, sondern
etwas anderes.  Eben das ist die Schwaeche welche die Deutung der
Philosophie als einer fortlaufenden gesellschaftlichen Taetigkeit
behaftet; die Schwaeche welche die akademische Philosophie
untergraebt, und sie letzthin unhaltbar macht.  Denn die
Begruendung einer Sache, in diesem Falle, die Begruendung der
Philosophie ist nicht nur eine Frage begrifflicher Aesthetik.
Die Begruendung ist die gedankliche Basis, sie ist die
Konstellation der Vorstellungen, Richtlinien, Richt(ungs)punkten,
(reference points) an denen sich das Denken orientiert und nach
denen das Denken sich richtet.  Und diesem Sinne sollte die
Philosophie, fuer was sonst sie anders auch noch gelten moechte
die Begruendung des privaten und des oeffentlichen Denkens
darstellen.  Und dies vermag sie nicht, sofern sie
gesellschaftlich ist.

     Philosophie als Grundlage des Denkens ist Besinnung, nicht
lediglich die Cartesische Besinnung auf das eigene Bewusstsein,
sie ist zugleich Besinnung auf den jeweiligen Inhalt dieses
Bewusstseins, ungeachtet der unvermeidlichen Fluechtigkeit und
Beschraenktheit oder gar Fehlerhaftigkeit des
Bewusstseinsinhaltes.  Der Bewusstseinsinhalt bezieht sich immer
stets auf die Gegenwart.  Tatsaechlich (indeed) wird die
Gegenwart durch den Bewusstseinsinhalt bestimmt.

     Das dem Bewusstsein Gegenwaertige bestimmt die Gegenwart.
Auch das "Vergangene" das ich bedenke wird mir in meinem
Bewusstsein gegenwaertig.  Es ergibt sich also, dass Gegenwart
und Vergangenheit auf verschiedenen Ebenen (Levels) existieren.
Dass (sie) beide letzten Endes von einander getrennt sind, so
dass ein Uebergang von einem zum anderen, von der Ebene der
Gegenwart zur Ebene der Vergangeneheit, oder zurueck, unmoeglich
ist.

     Eine tiefere Frage aber ist, ob es moeglich waere, mittels
der Besinnung, der Beschaulichkeit, mittels des Nachdenkens,
mittels der Flucht in die Innerlichkeit, der Historizitaet zu
entkommen, der Geschichtlichkeit des Denkens zu entkommen, Oder
ob man nicht, in dieser Instanz jedenfalls, mit dem Akt
Cartesischen Zweifelns sich selbst betruegt.  Betreffs der
Vergangenheit ist der Cartesische Zweifel kaum ueberzeugend.  Der
Zweifel Descartes, zielte ja auf etwas ganz anderes.  von deren
Es waren die dogmatischen Behauptungen der pseudo-aristotelischen
Theologie wovon das Bewusstsein Abstand nehmen wuerde.  Die
Zurueckhaltung von den Dogmen der Theologie, worum es sich bei
Descartes handelte, wurde durch deren Geringfuegigkeit und
Erlebensfremdheit wesentlich erleichtert.  Hingegen bezieht sich
der Zweifel, die Zurueckhaltung des Urteils welche heutzutage
notwendig ist, auf einen weit solideren komplex geistiger
Errungenschaften.

     Zwar ist es moeglich heutzutage, nicht weniger als vor 350
Jahren, an allem ausser dem unmittelbaren Bewusstsein des Ich zu
zweifeln; aber das Bezweifelte, die Erinnerung an den vergangenen
Tag und ans vergangene Jahr, das gepruefte, organisierte Wissen
des Geschlechtes erheben einen weit zwingenderen Anspruch auf
unser Vertrauen und auf unseren Glauben als die die
abgedroschene, logisch verhunzte, pseudo-aristotelische Dogmatik.
Der Streit zwischen subjectiver Skepsis und objektivem Wissen ist
laengst nicht ausgetragen.  (is far from resolved)

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