20020623.00
So triftig (und gueltig) es ist den Einzelnen als den Herd
der geistigen Existenz zu deuten, so unvermeidlich und notwendig
ist es das Zusammenwirken mehrerer, gar vieler Menschen, als
Vorbedingung und Erklaerung fuer die wesentlichen
Errungenschaften des Geistes (Intellekts) anzuerkennen.
Es ist dann auch ein Irrtum aus der Unmittelbarkeit des
Ichbewusstseins, auf die Zugaenglichkeit (accessibility) eines
allgemeineren, oeffentlichen Subjektiven zu schliessen: schon die
begriffliche Darstellung spricht den Widerspruch aus. Die
Subjektivitaet, das Ich, ist nur in verbaler Exposition, in
dichterischer Suggestion, zu erreichen. Anderweitig, in
Wirklichkeit bleibt es voellig unerreichbar.
Es bleibt nichts uebrig als die Welt als historisch
(geschichtlich) zu erkennen und als historisch (geschichtlich) zu
deuten, historisch (geschichtlich) im eigentlichen Sinne dieses
Wortes, als das wovon erzaehlt werden kann, als das wovon
erzaehlt wird. In diesem Sinne sind auch die Wissenschaften, die
Natur sowohl als die Geisteswissenschaften historisch.
Unhistorisch aber wird alles Wissenschaftliche in jenem
Augenblick, in jener Gegenwart in welcher man es versteht. Zu
Verstehen heisst das Erzaehlte aus seinem geschichtlichen Rahmen
herauszuloesen und zu verinnerlichen. Der Uebergang vom
Historischen zum (inwendig) Begriffenen ist ein Uebergang von
grosser Bedeutung, ein Uebergang welche ausserhalb oder unterhalb
des Bewusstseins geschieht. Ein Gegebenes letzthin unbegreiflich
wie Hoeren oder Sehen oder das Denken selbst.
So betrachtet waere die Philosophie das Bewusstwerden des
Ueberganges von Historischem zu Erlebtem. Und umgekehrt der
Ausdruck des Erlebens als Geschichte; das Erzaehlen im
eigentliche Sinne dieses Wortes.
So besteht das geistige Leben des Menschen in einem hin- und
widerspringen ueber die Grenzung zwischen Objekt und Subjekt, im
Begreifen einerseits und im sich Ausdruecken andererseits. Die
Unuebersehbarkeit des Historischen hat sein Spiegelbild in der
Unerreichbarkeit des Inwendigen. Die Unmoeglichkeit des
historischen Wissens ist vergleichbar mit der Ohnmacht des
Subjektiven. Die philosophischen Bestrebungen alle muenden in
die Erkenntnis und Bekenntnis des Nichtwissens. Der Weg dahin
ist ein Kreislauf, durch Hybris, Arroganz, Hoffnung,
Selbsttaeuschung, Ruhm und Eitelkeit bezeichnet.
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