20020728.01
Die Sprache ist schicksalhaft mit Bedeutungen und Nuancen
belastet, sie bezeugt nicht nur die Errungenschaften der
Vergangenheit sondern auch all deren Missverstaendnisse und
Irrtuemer. Um eine neue Einsicht auszusprechen bedarf es
gewissermassen einer neuen Sprache; oder zumindest einer
Umgestaltung der alten. Die Schoepfung einer neuen Sprache, oder
jedenfalls die Erneuerung, die Reformation der alten, ist
vornehmlich die Angelegenheit des Dichters: und deshalb laeuft
alle Philosophie auf Dichtung hinaus; muss letzten Endes nur als
Dichtung gedeutet, wird nur als Dichtung verstanden werden
koennen. Nur als Dichtung werden die Dunkelheiten des
philosophischen Schrifttums verstaendlich.
Sich in einer neu erfundenen Sprache verstaendlich zu machen
ist schwierig bis zur Unmoeglichkeit. Und versucht man sich
durch ausgewaehlten Gebrauch der ueberlieferten Sprache zu
erklaeren, so laeuft man die grosse Gefahr, dass die
Begriffsabwandlungen derer man sich bedient unverstanden
missdeutet werden.
Ich habe beschlossen, um mein Verstaendnis meiner selbst und
meiner Welt zu erklaeren zu versuchen mich der bekannten Begriffe
des Glaubens und des Zweifels zu bedienen. Es ist meine Absicht
den Worten Glauben und Zweifel eine neue Bedeutung geben,
solchermassen, dass der Zweifel nicht als das Gegenteil sondern
als Komplement zum Glauben erscheint, zugehoerig zu ihm und ihn
ergaenzend; und umgekehrt. Wieviel Unfug ueber Glauben und
Zweifel hat man nicht in die Welt getragen. Es sollte moeglich
sein, all diesen Unsinn zu uebersehen und sich mit einer ganz
allgemeinen Begriffbestimmung ueber den Glauben zu begnuegen, mit
einer Begriffbestimmung welche ich dann in meinem Sinne, zu
meiner Bedeutung erweitern umdeuten und ausbauen moechte. Und
das Gleiche in Bezug auf den Zweifel.
Mein Ausgangspunkt ist nicht die Religionsfrage um Gott oder
um die ewige Seligkeit. Mein Ausgangspunkt ist die Frage um das
Wissen von der Welt und ihrer Wirklichkeit. Es ist die Frage der
Erkenntnistheorie. Und mit der erschreckenden Einsicht ins reine
zu kommen, dass die Welt die ich kenne, die Welt von der ich
weiss, dass diese Welt meine Vorstellung ist. Mit dieser
Festellung hat Schopenhauer recht. Unrecht aber hat er darin
dass er es unterlaesst den Folgen seiner Einsicht nachzuspueren.
Dass er in seinem Buche das den Titel die Welt als Wille und
Vorstellung traegt, so tut als ob die Welt doch etwas
handgreiflicheres waere als nur meine Vorstellung. Wir aber
wollen es uns nicht so leicht machen. Wir wollen die Folgen
ziehen aus der Einsicht dass die Welt eines jeden die Vorstellung
eines jeden ist, und wir muessen versuchen die Folgen dieser
Einsicht zu erforschen. Und diese Folgen sind der unablaessige
Zweifel an all unseren Vorstellungen.
Wenn ich den Glauben zitiere, so meine ich anderes als der
herkoemmliche Religionsbegriff besagt, nicht das Verhalten
Abrahams in Bezug auf die Verheissung der maechtigen Vaterschaft;
auch nicht das Vertrauen Davids auf seinen Gott; und nicht die
Zuversicht Hiobs in Angesicht seiner Leiden. Auch verstehe ich
unter Glauben nicht die Gebote des Christus an ihn um der ewigen
Seligkeit willen zu glauben; auch nicht die Glaubenbekenntnisse
der fruehen Christen, so wenig wie die Glaubensforderungen
Luthers und seiner Nachfolger.
Unter Zweifel verstehe ich ebensowenig die gekluegelte
Skepsis der Sophisten; noch die ausdrueckliche Zurueckhaltung der
Uebereinstimmung the refusal of assent mit den Behauptungen der
Bibel oder anderer dogmatischer Texte.
Unter Glauben verstehe ich eine bestimmte Zuversicht welche
unmittelbar dem Bewusstsein entspringt, und welche ihre
Ueberzeugungskraft daraus schoepft, dass es ihr ueberfluessig ist
Stuetze oder Bewaehrung, Bestaetigung, Bekraeftigung, Bestaerkung
(corroboration) ausserhalb des Bewusstseins zu suchen. Diese
Zuversicht bezieht sich nicht auf das Bestehen einer aeusseren
allgemein-erkennbaren Wirklichkeit. Diese Zuversicht bezieht
sich ausdruecklich auf die Gueltigkeit des Bewussten als solchen,
und es stellt die Gueltigkeit dieses Bewussten der aeusseren
allgemein-erkannten Wirklichkeit, sei sie begrifflich oder
anschaulich, genegenueber. Es ist die Wirklichkeit des ihm
Bewussten welche der Mensch als goettlich empfindet, und welche
er, da er sich selbst und sein Erleben nicht versteht, als
sachliche aeusserlich, unabhaengig bestehende Gottheit
bezeichnet. Dies Missverstehen seines Erlebens fuhert ihn zur
oeffentlichen Religion und zu deren nimmer endende Widersprueche.
Der Zweifel ist der komplementaere Gegensatz zum Glauben.
So wie der Mensch der Wirklichkeit und Gueltigkeit seines
Bewusstseins zuversichtlich ist; so muss er seine Vorstellungen
von der Welt, jene unendlich verwickelten Begriffsgeflechte die
sich ihn als zwingend (compelling) als Wirklichkeit aufdringen
als im Vergleich mit jenem unwirklich zu erkennen.
Der Zweifel an der Wirklichkeit der sachlichen, aeusseren
objektiven gesellschaftlichen Welt, hat eine zweifache Wurzel.
Er wurzelt einerseits in der maechtigen Zuversicht des
Bewusstseins an (um) sich selbst. Er wurzelt andererseits in der
unverkennbaren und unconcealable unverberglichen (undeniable)
Unzulaenglichkeit des objektiven Weltbildes und seiner
Erklaerungen.
Dieser Zweifel ist die Frucht und das Ziel jeglicher
gueltigen Erkenntnistheorie. Er liefert die entgueltige und
buendige Antwort auf die Frage nach der Gueltigkeit der
Erkenntnis.
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