20020827.00
Die Ausgangspunkte einer jeden Ethik sind die Fragen: Warum
muss ich dieses oder jenes Bestimmte tun? Was ist das Bestimmte
das ich tun muss?
Warum muss ich dieses oder jenes Bestimmte tun? Was
bedeutet es, dass es _bestimmt_ waere. Das Ein- und Ausatmen
vermag ich in nur beschraenkten Grenzen zu beschleunigen oder zu
verlangsamen, zu verflachen oder zu vertiefen. Den Herzschlag
vermag ich ueberhaupt nicht zu kontrollieren. Die Verdauung
kaum: ueber die Diaet habe ich je nach meiner Willenskraft mehr
oder weniger Kontrolle; den Brechreiz kann ich nur bis zu
gewissem Grade kontollieren. Das Urinieren und den Stuhlgang
gleichfalls. Das Schwitzen ueberhaupt nicht.
Problematischer noch ist die Steuerung von koeperlichen
Bewegungen. Die naive Vorstellung haelt es damit, dass ich
hingehen kann wohin ich will, und dass ich ueber die Bewegungen
meiner Haende verfuegen zu vermag, wie ich will, dass ich ueber
Kopf und Augenbewegungen die Vollmacht habe. Mache ich aber den
Versuch mich zu beeilen, schneller zu laufen oder hoeher zu
springen als ich es gewoehnlich tue; mache ich den Versuch ein
Sonate von Beethoven oder eine Fuge von Back auf dem Klavier zu
spielen, so wird es augenblicklich klar, dass auch die
Faehigkeiten die ich Grund haette mir zuzutrauen beschraenkt und
unverlaesslich sind. Diese Ueberlegungen weisen ganz im
allgemeinen auf die Fragwuerdigkeit hin welche in der Behauptung
der Willensfreiheit liegt. Vermag ich wirklich das zu tun, was
ich will? Und wenn nicht, wenn es mir nicht vergoennt ist das zu
tun was ich will, was waere dann Ethik mehr als Geschwafel?
Geschwafel vielleicht nicht. Jedenfalls aber haette dann
Ethik nicht mit dem Handeln zu tun, sondern mit dem Denken ueber
das Handeln; waere eine Art des Denkens ueber das Denken.
Bestaetigung meiner Vermutung, dass es nicht bewusste,
ausdrueckliche Entschluesse sind durch welche unsere Handlungen
gesteuert werden; sondern unscheinbare (inapparent) Einfluesse,
welche statt unsere Handlungen unser Denken gestalten. Dann
wuerde wiederum der Geist durch das umgestaltete Denken
umgestaltet.
Warum muss ich dieses oder jenes Bestimmte tun? Die Frage
hat zwei Wurzeln. Die biologische Wurzel heisst: weil die
erforderten Handlungen zu meinem Ueberleben notwendig oder
jedenfalls foerderlich sind. Die psychologische Wurzel sagt:
weil das Bewusstsein meiner selbst es erfordert dass ich
wesentlich handle. Weil ich bin was ich tue, und weil, wenn ich
Unwesentliches tue ich selbst unwesentlich bin. Weil das
unwesentlich sein mir entsetzlich und unertraeglich ist,
entsetzlich und unertraeglich wie der Tod.
Was ist das Bestimmte das ich tun muss? Dem Vorgehenden
zufolge besteht keine Frage, dass ich wesentlich handeln muss;
aber worin denn dieses Wesentliche, worin das Wertvolle meines
Handelns besteht ist voellig unklar. Und ist tatsaechlich umso
schwieriger festzustellen, je vielfaeltiger, verzweigter und
verwickelter die Vorstellungen und Forderungen sind, die auf mein
Handeln Anspruch erheben.
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